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Umweltaktivistin Luisa Neubauer (M) protestiert während einer Demonstration gegen den Kohleabbau am zweiten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath.

© dpa / Roberto Pfeil

Moratorium für Lützerath gefordert: „Substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung“

Der Forschungsverband Scientists for Future fordert den Stopp der Abbaggerung. Andere Forscher sehen keine Probleme für den Klimaschutz.

Eine Gruppe von WissenschaftlerInnen des Forschungsverbandes „Scientists for Future“ (S4F) hat in einem Offenen Brief an den Ministerpräsidenten von Nordrheinwestfalen, Hendrik Wüst (CDU), dazu aufgerufen, die Abbaggerung von Lützerath mit einem Moratorium zu stoppen. Der Brief wurde innerhalb von weniger als 24 Stunden von über 500 Wissenschaftler:innen unterschrieben.

In dem Schreiben heißt es, dass sich die Wissenschaftler:innen in der Pflicht sehen, auf die Konsequenzen einer Räumung  des rheinischen Braunkohleorts Lützerath hinzuweisen: „Wir stellen die Frage nach den gesellschaftlichen Kosten einer erzwungenen Räumung, und welche Wirkung die Räumung im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit der deutschen Klimapolitik hat“.

Den Forschenden geht es um ein aussagekräftiges Zeichen für die notwendige Abkehr vom fossilen Zeitalter.

„Es gibt substanzielle wissenschaftliche Zweifel an der akuten Notwendigkeit einer Räumung“, heißt es in dem Brief weiter. Die Forschenden führen wissenschaftliche Gutachten an, die zu dem Schluss kommen, dass ein Abbau der Braunkohle unter Lützerath für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt sei.

„Vielmehr steht die Förderung und Verstromung dieser Kohle einer am Pariser Klimaabkommen und dem europäischen Klimagesetz ausgerichteten Energiepolitik entgegen“, schreiben sie.

Auch wenn Lützerath abgebaggert wird, hat die Kohle keine Zukunft.

Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

Aus der Wissenschaft kommen zu Lützerath aber auch andere Einschätzungen. Der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Ottmar Edenhofer, betonte in dem Zusammenhang, dass Deutschland für das Erreichen der Klimaziele die Kohle im Energiesystem durch Windkraft und Sonnenstrom ersetzen müsse. Entscheidend sei dabei aber der Emissionsdeckel der Europäischen Union, der gesenkt und nicht angehoben werden dürfe.

500
Wissenschaftler:innen hatten innerhalb von weniger als 24 Stunden den Offenen Brief unterzeichnet. 

„Solange die Obergrenze für den Ausstoß von Treibhausgasen wirklich hart bleibt und sinkt, und der CO2-Preis wirkt, können wir vorübergehend auch mehr Kohle verfeuern – weil dies zur Einsparung von Emissionen an anderer Stelle führt“, sagte Edenhofer gegenüber dem „Science Media Center Deutschland“ (SMC). Unterm Strich würden keine zusätzlich klimaschädlichen Abgase in die Atmosphäre gelangen. „Auch wenn Lützerath abgebaggert wird, hat die Kohle keine Zukunft“, so Edenhofer.

Hier sehen Sie ein Video von Tagesspiegel-Reporter Felix Hackenbruch zur aktuellen Situation in Lützerath:

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Der Leiter des Forschungszentrums Global Commons und Klimapolitik, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel (IfW), Wilfried Rickels, betont, dass die CO₂-Emissionen, die entstehen, wenn die Kohle unter Lützerath verstromt wird, keine Auswirkungen darauf haben, ob das 1,5-Grad Ziel erreicht wird oder nicht:

„Unabhängig davon, dass das Abkommen von Paris keine nationalen CO₂-Budgets beinhaltet – geschweige denn vorschreibt – sind die CO2-Emissionen in der EU im Energiesektor durch den Europäischen Emissionshandel begrenzt. Vereinfacht gesagt: Genauso wie durch einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke keine CO₂-Emissionen eingespart würden, würde es durch die Verstromung der Braunkohle aus Lützerath keine zusätzlichen CO₂-Emissionen geben.“

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Auch der wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Manfred Fischedick, kommt zu dem Schluss, dass bei Einhaltung der Obergrenzen der veränderte Kohleausstiegspfad in NRW – ein vorgezogener Kohleausstieg bei kurzfristig erhöhten Fördermengen – dem Erreichen der deutschen und EU-Klimaziele insgesamt nicht im Wege steht.

„Unterstellt man einen konstanten Emissionsdeckel im Rahmen des Europäischen Emissionshandels – das heißt, eine konstante Zertifikatemenge –, dann ergibt sich EU-weit durch die Maßnahmen bis 2030 kein Netto-Effekt auf die Emissionen“, so Fischedick

„In Summe ist damit davon auszugehen, dass insbesondere unter Berücksichtigung der Wirkungen des Europäischen Emissionshandelsystems die Entscheidungen von Bundes- und Landesregierung einen klaren emissionsmindernden Effekt haben.“

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Fischedick gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass für den Erhalt von Lützerath andere Orte im Tagebau weichen müssten: „Eine Entscheidung, wenn man so will, zwischen Pest und Cholera. Die Landesregierung hat sich nachvollziehbarerweise für den Erhalt der Dörfer entschieden, in denen heute aber noch Menschen wohnen“, so der Energie- und Klimaschutz-Experte.

Letztlich müsse bei der Frage der Notwendigkeit, Lützerath abbaggern zu müssen, auch zwischen energiewirtschaftlichen und klimapolitischen Aspekten unterschieden werden – und auch strukturelle Aspekte des Tagebaus müssten in Betracht gezogen werden. So sei der Abraum, der beim Abbaggern von Lützerath entsteht, notwendig, um den benachbarten Tagebau Garzweiler zu befüllen.

Im Unterschied zu anderen Tagebauen kann hier am Ende kein Restsee entstehen, da dieser direkt ,versauern‘ würde und nicht lebensfähig sei. Auf der anderen Seite brauche es hohe Abraummengen, um die Tagebau-Abbruchkanten dauerhaft zu befestigen. „Für beide Maßnahmen muss der Abraum wegen des großen Volumens aus der unmittelbaren Nähe kommen“, beschreibt Fischedick das Dilemma.

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