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Ein Gibbon-Affen-Leukämie-Virus (GALV) wurde im Genom eines Nagetiers in Neuguinea, der Weißbauch-Mosaikschwanzratte, entdeckt.

© Carlos Bocos

Forscher berichten über sehr seltenen Fall: Virus schreibt sich in Erbgut eines Tieres ein

Seit Jahrzehnten ist bekannt: Das Erbgut eines Virus kann sich so in das eines Wirts einschreiben, dass es mitvererbt wird. Forschende haben einen solchen Fall nun aufgespürt.

Von Annett Stein, dpa

In das Erbgut des Menschen haben sich im Verlauf der Jahrtausende schon zahlreiche Viren dauerhaft eingeschrieben. Nun haben Forscher einen aktuellen Fall einer Retrovirus-Integration bei einem Tier aufgespürt. Über die gesundheitlichen Folgen dieses Virus für die Nagetiere sei bisher nichts bekannt, erklärt Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW). Von Gibbons wisse man, dass infizierte Tiere an Leukämie sterben.

Retroviren vermehren sich, indem sie ihr genetisches Material in das Erbgut einer Wirtszelle einbauen. Ein bekanntes Beispiel ist der Aids-Erreger HIV. Im Laufe der Evolution kam es immer wieder dazu, dass sich ein Retrovirus in Keimzellen, also Eizellen oder Zellen, die Spermien produzieren, einschrieb. Es kann dann als sogenanntes endogenes Retrovirus (ERV) an Nachkommen weitergegeben werden. Das komplette Virusgenom wird Teil des Erbguts der Art. 

Was passiert mit Virus und Wirt?

Bei Wirbeltieren machen ERV rund ein Zehntel des Erbguts aus, wie das Forschungsteam in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erläutert. Die meisten der bekannten Integrationen liegen demnach Millionen von Jahren zurück und sind inzwischen längst inaktiv. Es sei daher weitgehend unklar, was mit einem Virus und dem Wirt während eines solchen Prozesses der Genomkolonisierung passiere, erklärt Greenwood. „Auch wissen wir nicht, was der Wirt während des Übergangsprozesses gesundheitlich erlitten hat.“

Man geht davon aus, dass sich solche Viren in Nagetieren ansammeln und von dort aus auf andere Tiere übertragen werden können.

Alex Greenwood, Forscher am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)

Einer der seltenen bekannten, aktuell noch ablaufenden Prozesse ist der Eintrag des Koala-Retrovirus (KoRV) ins Genom von Koalas. Das Virus kolonisiert das Erbgut der Tiere den Forschenden zufolge seit etwa 50.000 Jahren. Sein autark lebendes Gegenstück gebe es womöglich gar nicht mehr. 

Das Team unter Leitung des Leibniz-IZW hat nun einen weiteren noch andauernden Einbau entdeckt: ein Gibbon-Affen-Leukämie-Virus (GALV) im Genom eines Nagetiers in Neuguinea, der Weißbauch-Mosaikschwanzratte (Melomys leucogaster). Es war bei der Analyse von 278 Proben von Fledermaus- und Nagetierarten aufgefallen, die in Australien und Neuguinea endemisch sind, also nur dort vorkommen. 

Ursprung in Neuguineas

Es handle sich um ein genomisch vollständiges, vermehrungsfähiges Virus. GALV und KoRV sind eng miteinander verwandt, beide haben ihren Ursprung vermutlich in der vielfältigen Fauna Neuguineas, wie das Team schreibt. Das neu entdeckte Retrovirus wird Woolly Monkey Virus (WMV) genannt. Bei fünf der Mosaikschwanzratten von zwei Sammelstellen sei es an der gleichen Stelle in das Genom integriert. Das deute darauf hin, dass es sich als Gen und nicht durch Infektion verbreitet hat. Es ist also bereits Teil des Erbguts der Art geworden. 

In anderen Populationen der Nagetiere fehle das Virus noch – ähnlich wie bei KoRV, das alle im nördlichen Australien lebenden Koalas in ihrem Genom haben, im Süden Australiens hingegen nur ein Teil. „Es handelt sich wahrscheinlich um ein sehr junges Kolonisierungsereignis, viel jünger noch als KoRV“, sagt Mitautorin Saba Mottaghinia, ehemalige Doktorandin am Leibniz-IZW. Mit den gemachten Beobachtungen lasse sich künftig besser verstehen, wie Retroviren Wirtsgenome umprogrammieren, so die Forschenden.

Leukämie bei Koalas

GALV und KoRV werden Alex Greenwood zufolge stark mit der Entwicklung von Leukämie in Verbindung gebracht. „Im Fall von KoRV haben wir gezeigt, dass es in engem Zusammenhang mit der Entwicklung von Leukämie/Lymphomen bei Koalas steht.“ Diese hätten eine der höchsten Krebsraten bei Säugetieren überhaupt. 

Gibbons, die mit GALV oder WMV infiziert sind, sterben Greenwood zufolge an Leukämie. Für Mosaikschwanzratten seien die Folgen des neu entdeckten Virus noch unklar, erklärt der Forscher. Bekannt sei aber, dass die meisten Viren der Gesamtgruppe relativ geringe Auswirkungen auf kleinere Nagetiere haben, da diese eine kurze Lebensspanne haben und sich bereits in sehr frühen Lebensstadien fortpflanzen.

Die Tumorbildung werde eher bei größeren Säugetieren beobachtet, die länger leben und erst im höheren Alter Nachwuchs bekommen. „Aus diesem Grund geht man davon aus, dass sich solche Viren in Nagetieren ansammeln und von dort aus auf andere Tiere übertragen werden können, da die Nagetiere sie tolerieren können.“

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