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Der Grabstein auf dem Waldfriedhof Dahlem trägt eine Widmung für die Opfer von Verbrechen im Namen der Wissenschaft, aufgenommen nach der Beisetzung der Knochen.

© dpa/Monika Skolimowska

Letzte Ruhe für Opfer im Namen der Wissenschaft: FU-Knochenfunde in Dahlem beigesetzt

Vor acht Jahren wurden auf dem FU-Gelände Knochenfragmente aus rassistischer Forschung gefunden - nun ruhen sie in einer eigenen Grabstätte.

Acht Jahre Kleinarbeit vieler Forscher sind am Donnerstag zu Ende gegangen, fünf schlichte Holzkisten wurden bestattet – und über allem lag das immer wiederkehrende Entsetzen über die Verirrungen der Wissenschaft in der Nazizeit. Es war eine bescheidene Feier unter freiem Himmel auf dem Dahlemer Waldfriedhof, ohne religiöse Symbolik, um alle unbekannten Opfer einzuschließen ins Gedenken.

Beendet wurde mit dieser Beisetzung eine Geschichte, die 2014 mit einem Zufallsfund auf dem Campus der Freien Universität begonnen hatte. In der Ihnestraße 22 befand sich von 1927 bis 1945 das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Forscher, die von rassistischen Annahmen geleitet wurden, arbeiteten dort bereits vor der Nazizeit an der Idee der eugenischen Forschung zur „Verbesserung“ des menschlichen Erbguts. Das schreckliche Erbe dieser Arbeit verschwand nach dem Krieg auf dem Gelände des Instituts, Knochenfragmente wurden heimlich verscharrt. Sie kamen erst zufällig bei Bauarbeiten ans Tageslicht zurück.

Knochenstücke von mindestens 54 Menschen

Die intensive Erforschung des Fundes erbrachte neben viel Ungewissheit ein paar sichere Erkenntnisse. Die Knochenstücke stammen von mindestens 54 Frauen und Männern alter Altersgruppen, vermutlich aus den anthropologischen und archäologischen Sammlungen des Instituts. Es gibt keine Namen oder Gesichter dieser Menschen, nur nahe liegende Vermutungen: Die Gebeine stammen einerseits aus kolonialen Verbrechen, andererseits aus der Kooperation mit den Vernichtungslagern der Nazis und den dort geschehenen Menschenversuchen.

Es ist beispielsweise bekannt, dass der Auschwitzer Lagerarzt Josef Mengele das Institut mit Proben seiner unmenschlichen Versuche bedachte. Deshalb sei „sehr gut möglich“, wie es im Text der geplanten Informationstafel an der Grabstelle heißt, dass Teile der gefundenen Knochen von den Opfern des Holocaust, von Juden, Sinti und Roma und Menschen mit physischen und psychischen Beeinträchtigungen stammten. Aus dieser Ungewissheit ergab sich der weite Rahmen der Gedenkfeier, die auf jede religiöse Symbolik verzichtete.

Je länger das Gras wächst, desto schwieriger ist es, Untaten dem Vergessen zu entreißen

Günter M. Ziegler, FU-Präsident

Die Federführung für die Untersuchungen und die Beisetzung lag bei der Freien Universität, die Denkmalschützer, Archäologen und die Max-Planck-Gesellschaft eingeschaltet hatte. FU-Präsident Günter M. Ziegler setzte sich in seiner Gedenkrede mit dem Satz auseinander, es gebe Verbrechen, über die kein Gras wachse. Das sei oft Wunschdenken, meinte er, denn es gebe zu viele Untaten, über die durchaus Gras wachse, die in Vergessenheit gerieten. Je länger das Gras wachse, desto schwieriger sei es, Untaten zu erkennen und sie dem Vergessen zu entreißen. Ohne ständiges Erinnern und kontinuierliches In-Erinnerung-Halten über Generationen hinweg gerieten alle Untaten in Vergessenheit, „diese Aufgabe ist mit Mühen verbunden“.

Weiter sagte Ziegler, man sei zusammengekommen, um Menschen zu bestatten, die Verbrechen im Rahmen der Wissenschaft zum Opfer gefallen seien. Er dankte den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, deren jahrelange Arbeit nun ihr Ziel erreicht habe. Die Analyse der 16.000 Knochenfragmente sei in enger Abstimmung mit dem Zentralrat der Juden, dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und anderen Opferverbänden erfolgt.

Gemeinsam habe man sich darauf verständigt, keine weiteren, tiefergehenden Untersuchungen mehr vorzunehmen, sagte Ziegler. Auf die Einteilung der Opfer in verschiedene Gruppen sei bewusst verzichtet worden, um die rassistische Ideologie der Vergangenheit nicht zu reproduzieren. Weitere kurze Redebeiträge kamen von Daniel Botmann für den Zentralrat der Juden und von Dotschy Reinhardt für den Zentralrat der Sinti und Roma, außerdem von Ulman Lindenberger von der Max-Planck-Gesellschaft und vom Landeskonservator Christoph Rauhut.

Das Kapitel der 16.000 Knochenfragmente ist nun geschlossen. Die Erforschung des Kaiser-Wilhelm-Instituts geht aber weiter. Idealerweise begründet sie eines Tages ein Gedenk-und Bildungszentrum.

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