zum Hauptinhalt
Psychose durch Freiheit? Im Bild: Julius Nyerere, Premier von Tanganyika, feiert die Unabhängigkeit

© Getty Images / Keystone

Tagesrückspiegel – Heute vor 61 Jahren: Lachen ist nicht gesund

Es gilt als ansteckend, das Lachen. Aber so ansteckend, dass gleich eine Epidemie daraus wird? 1962 passierte im heutigen Tansania genau das.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Es gibt ein paar Sachen, die sind wissenschaftlich nicht zu erklären, und doch gibt es sie. Heute vor 61 Jahren, am 30. Januar 1962, fingen, wenn man der Dokumentation im „Central African Medical Journal“ von 1963 trauen kann, an einer Schule für Mädchen und junge Frauen in Kashasha am Ufer des Victoriasees in Tanganyika drei Mädchen an zu lachen. Allerdings hatten sie dafür offenbar nicht nur keinen Grund, sie konnten auch über Stunden nicht mehr damit aufhören.

Grenzenloses Lachen

Innerhalb kurzer Zeit hatten sich mehr als die Hälfte der 159 anderen zwischen 12 und 18 Jahre alten Schülerinnen „angesteckt“. Damit nicht genug, die Lachanfälle breiteten sich epidemieartig in der Gegend aus und gingen mit anderen Symptomen wie Weinen, Angstzuständen und Gewaltausbrüchen einher. Nach Abebben der Anfälle konnte es Tage oder Wochen später erneut zu den Symptomen kommen.

Ausbrüche wurden in der gesamten Region und auch im benachbarten Uganda registriert. Insgesamt soll die Tanganyika-Lachepidemie mindestens anderthalb Jahre gedauert haben.

Interpretationen, nicht mehr

Zwar haben sich Psychologen, Psychiater und Psychoanalytiker sowohl bei dieser als auch bei anderen Ausbrüchen so genannter Massenhysterie viel Mühe beim Interpretieren und Suchen nach Zusammenhängen gemacht. Und zumindest bemerkenswert ist, dass gerade aus Tansania, dem Staat, zu dem sich Sansibar und Tanganyika 1964 zusammenschlossen, immer wieder ähnliche Phänomene berichtet werden.

Doch was 1962 der oder die Auslöser waren, ist vollkommen unklar. Die Hypothese, die als am ehesten plausibel gilt, sieht in Stressfaktoren die wichtigste Ursache. So fand die Psychologin Jennifer McVige bei zehn Mädchen, die 2012 in Le Roy im US-Bundesstaat New York an ebenfalls als Massenhysterie interpretierten „ansteckenden“ Krämpfen und Zuckungen litten, dass alle schwierige Zeiten in der Familie hinter sich hatten, Scheidungen der Eltern etwa.

In Tanganyka könnte der Stressor ein anderer gewesen sein: Am 9. Dezember des Vorjahres war der Staat unabhängig geworden. Psycholinguisten, Soziologen und Psychiater haben einander ähnelnde Thesen veröffentlicht.

Sie sehen als Faktor einerseits die hohen Erwartungen an die junge Generation, nach der Kolonialzeit einen neuen, unabhängigen Staat aufzubauen.

Auch schwer zu verarbeitende Gegensätze zwischen den traditionellen familiären, sozialen und religiösen Strukturen und den neuen Ideen von Freiheit und Unabhängigkeit könnten junge Menschen überfordert und zu den Symptomen geführt haben. Tatsächlich aber hat bis heute niemand die geringste Ahnung, was damals so zum Lachen war.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false