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Ostsee-Schweinswale fressen wahrscheinlich deutlich mehr kleine Fische als angenommen.

© picture alliance / dpa / Ingo Wagner

Großer Hunger auf kleine Fische: Zahnwale sind auf ergiebige Nahrungsquellen angewiesen

Was Wale fressen, lässt sich an gestorbenen Tieren gut untersuchen. Auf die Frage, wie viel sie fressen, liefern Laborversuche nun eine neue Antwort.

Zahnwale wie die in Nord- und Ostsee heimischen Schweinswale (Phocoena phocoena) verdauen Nahrung deutlich schneller als bisher angenommen, berichtet eine Gruppe um Lisa Klemens und Michael Dähne vom Deutschen Meeresmuseum in Stralsund im Journal „Open Biology“.

Das beeinflusst das Ökosystem und ist auch von Bedeutung für Fischer in der Ostsee, die an den gleichen Fischarten wie die Schweinswale interessiert sind. Deren Speiseplan enthält nach der aktuellen Untersuchung deutlich mehr kleine Fische als bisher geschätzt, folgert das Team vom Deutschen Meeresmuseum aus Labor-Experimenten.

 Sprotten waren nach 50 Minuten vollständig aufgelöst.

Lisa Klemens, Deutsches Meeresmuseum Stralsund

Das Verdauungssystem der Wale unterscheidet sich von dem anderer Raubtiere. Die Meeressäuger haben einen Magen, der ähnlich wie bei ihren engsten Verwandten an Land, den Flusspferden, und auch bei Wiederkäuern wie den Rindern bis zu vier Kammern hat. Die Raubtiere einschließlich der Robben, viele andere Säugetiere und auch Menschen haben dagegen in ihrem zentralen Verdauungsorgan nur eine Kammer, die tierische Nahrung gut verarbeitet.

Landtiere mit Mehrkammer-Mägen ernähren sich pflanzlich, während Zahnwale Fische und andere Meerestiere jagen. Schweinswale verdauen also mit dem Magen-Design eines Grasfressers tierische Proteine und Fette. Das Team vom Meeresmuseum hat die Verdauung im Magen der Wale in Experimenten nun realistischer als bislang nachgestellt.

Im Greifswalder Bodden zwischen der Insel Rügen und dem südlichen Festland werden mittlerweile ganzjährig Kegelrobben (Halichoerus grypus) gesichtet.

© imago/blickwinkel / AGAMI/H. Bouwmeester

Frühere Experimente hatten sich nämlich am Verdauungstrakt von Robben mit einer Magenkammer orientiert. Darin zerlegen die Tiere ihre Beute in einer Flüssigkeit, die mit einem pH-Wert von ungefähr 2 stark sauer ist. Im Vormagen von Flusspferden und vermutlich auch Walen ist das Milieu mit einem pH-Wert von etwa 4 schwächer sauer. Dieser Magen ist aber mit sehr kräftigen Muskeln ausgekleidet, die den Inhalt gut durchkneten können.

Da sich die Verdauung von Meeressäugern in der Natur und auch in Delfinarien bisher schlecht untersuchen lässt, greifen Forschende auf Labor-Experimente zurück. In diesen beobachteten sie, wie schnell sich typische Beutefische in einer Flüssigkeit mit einem Säurewert von 2 und Magenenzymen zersetzen. Vergleicht man die so erhaltenen Werte mit dem Mageninhalt verstorbener Wale, kann man ausrechnen, wie viele der gefundenen Fische die Meeressäuger durchschnittlich erbeuten.

Schwindende Fischbestände machen Ostseefischern zu schaffen.

© dpa / Frank Molter

Die Geschwindigkeit, mit der die jeweilige Beute zersetzt wird, ist bei solchen Berechnungen ein sehr wichtiger Faktor. Das Tempo scheinen die früheren Verdauungsversuche nach dem Vorbild des Robbenmagens mit einem Säurewert 2 deutlich unterschätzt zu haben: Das Team vom Meeresmuseum stellte den pH-Wert jetzt auf 4 ein und bearbeitete die Versuchsfische mit einem Knethaken. Dadurch beschleunigte sich die Verdauung bei den kleinen untersuchten Arten wie Grundeln und Sprotten sehr stark, während sich das Zersetzungstempo bei größeren Fischen wie den zu den Dorschen gehörenden Wittlingen zwar ebenfalls, aber weniger stark erhöhte.

„Rund neun Zentimeter lange Sprotten waren zum Beispiel nach 50 Minuten vollständig aufgelöst“, erklärt Lisa Klemens. Das bedeutet, dass bisher der Konsum von kleineren Fischen unterschätzt wurde und die Schweinswale in der Ostsee deutlich mehr Heringe und Sprotten fressen als vermutet.

Ein Moratorium könnte Fischern und Walen helfen

„Heringe wurden stark überfischt und sind in der westlichen Ostsee praktisch zusammengebrochen, die Schweinswale finden weniger Beute“, schildert Rainer Froese ein zentrales Problem für die Meeressäuger, das auch den Fischern zu schaffen macht. Der Meeresbiologe vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR) kennt aber auch einen Lösungsansatz für dieses Problem: „Wir müssen die viel zu hohe Sterblichkeit von Arten wie den Heringen und den Sprotten senken.“ Ein sehr großer Teil dieser Fische endet in den Netzen der Fischer.

Helfen könnte den Schweinswalen und den Fischern gleichermaßen ein befristetes Fangverbot für Heringe und Sprotten. „Den Fischern sollte man Entschädigungen in Höhe ihrer bisherigen Erträge bezahlen“, erklärt Froese. „Das wären sicherlich keine Milliarden-Beträge.“ Nach einem solchen fünfjährigen Moratorium sollten sich die Bestände von Heringen und Sprotten wieder so weit erholt haben, dass sie wieder nachhaltig befischt werden könnten.

Dann fänden auch nicht nur die Schweinswale mehr Heringe und könnten so vor dem Verschwinden aus der westlichen Ostsee bewahrt werden. „Profitieren könnte auch der aus der westlichen Ostsee fast verschwundene Dorsch, der ebenfalls Heringe mag“, erklärt Froese.

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