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Ein Virus, das Reispflanzen infiziert, verlängert die Flügel von männlichen Zikaden (Laodelphax striatellus) – wie bei dem oberen Tier.

© Jinting Yu

Gekaperter Körper: Virus manipuliert die Flügel von Insekten

Forschende haben herausgefunden, dass ein Virus die Flügel von Zikaden verlängert – bei einem Geschlecht deutlich häufiger als bei dem anderen.

Die Natur kann grausam sein. Sie hat Lebewesen hervorgebracht, die Tiere zu Zombies machen. Gelangt etwa der Wurm Leucochloridium paradoxum in den Verdauungstrakt einer Schnecke, lässt er sie aussehen wie eine Raupe, damit Vögel sie fressen. (Denn Vögel sind der sogenannte Endwirt des Wurms.) Schlupfwespen versklaven Spinnen, indem sie ihnen eine psychoaktive Substanz injizieren. Der Pilz Ophiocordyceps unilateralis befällt das Gehirn von Ameisen und zwingt sie, auf Bäume zu klettern, damit er sich besser verbreitet. Und nun haben Zoologinnen der Chinesischen Akademie der Wissenschaften ein Virus entdeckt, der sogar die Entwicklung eines Insekts manipuliert: Es verlängert die Flügel von Zikaden.

Bislang dachten Insektenkundige, es läge an den Umweltbedingungen, wenn Tiere derselben Art verschieden lange Flügel haben. Wer mehr Flügelfläche hat, der kann leichter neue Lebensräume erobern, so die Theorie. Doch nun melden die Wissenschaftler:innen aus Peking in der FachzeitschriftPNAS“, dass ein Virus in ihren Experimenten die Flügel von männlichen Spitzkopfzikaden verändert hat – ganz ohne Reize aus der Umgebung. Dabei spielt ein bislang unbekanntes Gen eine Rolle.

Zikaden sind nicht gerade die Posterboys und -girls unter den Insekten. Manche sind kleiner als ein Stecknadelkopf, andere etwas länger als der Durchmesser einer Zwei-Euro-Münze. Laien verwechseln sie gern mit Heuschrecken, dabei sind sie mit denen gar nicht verwandt.

Eine Zwergzikade der Art Homalodisca vitripennis. Sie ist besonders farbenfroh und kommt ursprünglich aus Nordamerika.

© dpa/dpa-Bildfunk

Zikaden haben, ähnlich wie die Heuschrecken, Hinterbeine, mit denen sich besonders gut hüpfen lässt, sogenannte Sprungbeine. Außerdem haben sie einen Rüssel. Damit stechen sie Pflanzen an und saugen den Saft aus. Lecker für die Zikade, schlecht für Landwirtinnen und Landwirte. Für die sind die Tiere oft Schädlinge, nicht nur, weil sie ihren Pflanzen den Saft rauben, sondern auch, weil sie Viren von Pflanze zu Pflanze transportieren können. Ein besonders effektiver Virenüberträger ist die kleine braune Zikade (Laodelphax striatellus). Mit ihr experimentierten die chinesischen Zoolog:innen.

Mehr Männchen als Weibchen verändert

Sie infizierten sowohl männliche als auch weibliche Tiere mit dem Reisstreifenvirus und verglichen sie. Die Männchen entwickelten im Vergleich zu den Weibchen ungewöhnlich oft lange Flügel. Wie kann das sein? In weiteren Experimenten entdeckten die Forschenden ein bislang unbekanntes Gen, das wohl nur bei Zikaden vorkommt und die Entwicklung der Flügelform im Larvenstadium reguliert: Contig2490.1 oder „Encounter“, wie es die Wissenschaftler:innen nannten. Sie vermuten, dass dieses Gen für die Deformierungen verantwortlich ist. Denn es wird vor allem in den Hoden der Zikaden exprimiert und solche haben nur die männlichen Tiere. Bei den Weibchen fanden die Forschenden das Encounter-Gen kaum. Sie hatten überwiegend kurze Flügel, obwohl sie ebenfalls mit dem Virus infiziert wurden.

Aus Energiesparperspektive ergibt es für das Virus durchaus Sinn, bei seinen männlichen und weiblichen Wirten unterschiedlich zu wirken, meinen die chinesischen Wissenschaflter:innen: „Insekten mit langen Flügeln verbrauchen erhebliche Mengen an Energie während des Fluges, wenn sie nach Nahrung suchen, Raubtieren ausweichen und sich fortbewegen. Bei weiblichen Insekten kann der Flug die für die Eiproduktion benötigten Ressourcen aufzehren, was zu einem Kompromiss zwischen Flugfähigkeit und Fruchtbarkeit führt.“

Indem das Reisstreifenvirus vor allem bei den männlichen Zikaden zu verlängerten Flügeln führt (und damit ihre Fähigkeit fördert, Viren über weitere Strecken zu verbreiten), setzt es auf den wahrscheinlich effizienteren Wirt, vermutet das Forscherteam aus Peking. Bei Weibchen bleiben die Flügel in der Regel kurz, sodass mehr Energie für die Fortpflanzung bleibt. Die molekularen Mechanismen hinter der Flügelveränderung können die Zoologinnen und Zoologen noch nicht erklären.

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