zum Hauptinhalt
Eine Krankenpflegerin schiebt ein Bett über einen Flur.

© dpa/Marijan Murat

Exklusiv

Zeitdruck, Lärm und Kundenkonflikte: Arbeit in Dienstleistungsberufen ist oft ungesund

Fast die Hälfte der Beschäftigten in Dienstleistungsberufen kann sich nicht vorstellen, bis zur Rente durchzuhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Verdi-Studie. Die Gewerkschaft spricht von einer „Katastrophe für die Arbeitswelt“.

Arbeitsbelastung hoch, Arbeitsschutz mangelhaft – die Arbeitsbedingungen in vielen Berufen sind so belastend, dass sich nur 46 Prozent der Beschäftigten vorstellen können, bis zur Rente durchzuhalten. Dieses Ergebnis einer Befragung von 4615 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sei „eine echte Katastrophe für die Arbeitswelt“, findet Verdi-Vorstandsmitglied Rebecca Liebig.

Die Gewerkschaft hat eine Studie über die Arbeitsbelastung in Dienstleistungsberufen in Auftrag gegeben, um auf Defizite beim Arbeitsschutz aufmerksam zu machen. „Im Dienstleistungssektor wird im großen Stil gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen“, resümieren die Autoren die Umfrageergebnisse.

Knapp 35 Millionen Personen sind hierzulande im Dienstleistungssektor beschäftigt. Dazu gehören Handel und Gesundheit, Ver- und Entsorgung, Verkehr und öffentliche Verwaltung sowie das Bildungssystem. Die Belastungen am Arbeitsplatz in diesen Branchen wurden mithilfe von vier Kategorien ermittelt: Zeitdruck, körperliche Arbeit, Lärm und Konflikte mit Kunden.

Im Gesundheitswesen wird die Arbeit als besonders schwer empfunden: Nur 36 Prozent der Beschäftigten können sich den Job in der Kranken- oder Altenpflege bis zur Rente vorstellen. Am anderen Ende der Skala liegt die Informationstechnologie mit einem Anteil von 80 Prozent. Informatiker arbeiten offenbar unter deutlich weniger Stress als andere Dienstleister.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Pflegepersonal und Ärzte stehen besonders unter Zeitdruck. „Die Branche mit dem höchsten Anteil gehetzt Arbeitender ist das Gesundheitswesen mit 74 Prozent“, heißt es in der Studie. Der Bereich Erziehung und Unterricht liegt mit 62 Prozent auch deutlich über dem Durchschnitt von 52 Prozent. „Zeitdruck ist ein wesentlicher Faktor schlechter Arbeitsbedingungen“, unter dem fast zwei Drittel der vollzeitbeschäftigten Frauen besonders leiden. Das erklärt sich wiederum mit dem überproportionalen Anteil von Frauen in den Gesundheits- und Erziehungsberufen.

Auch im Handel arbeiten überdurchschnittlich viele Frauen, von denen mehr als die Hälfte sehr häufig oder oft körperlich schwere Arbeit leisten muss. Sehr hoch liegen die Anteile auch im Bereich Transport, Verkehr und Post mit 48 Prozent und im Gesundheitswesen mit 44 Prozent.

67
Prozent der Beschäftigten in Kitas und Schule leiden unter Lärm.

Insgesamt 37 Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungssektor sind Umgebungsgeräuschen und Lärm ausgesetzt, in der Industrie liegt die entsprechende Quote bei 44 Prozent. Die am stärksten von Lärm betroffenen Personengruppen sind Erzieherinnen und Lehrer mit 67 Prozent. Deutlich über dem Durchschnitt liegen auch Transport und Verkehr mit 49 Prozent.

„Lärm ist für die psychische und physische Gesundheit der Menschen eine erstrangige Gefährdungsquelle“, schreiben die Studienautoren. Das sollte für den Kontakt mit Kunden oder Patienten eigentlich nicht gelten. Doch 35 Prozent der in der öffentlichen Verwaltung Beschäftigten berichten über häufigere Streitigkeiten mit Kunden. Im Bereich Erziehung und Unterricht liegt der Anteil mit 32 Prozent sowie im Gesundheitswesen mit 29 Prozent über dem Durchschnitt von rund 20 Prozent.

Ein Viertel der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes hat schon Beleidigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen und auch sexuelle Gewalt erlebt.

Deutscher Beamtenbund

Mehr als zwei Drittel der Beschäftigten im Dienstleistungssektor leisten häufig sogenannte Interaktionsarbeit, das heißt, sie sind beruflich in direktem Kontakt mit Kundinnen, Patienten, Klientinnen, Lernenden oder Bürgern tätig. Das ist teilweise gefährlich. Übergriffe gegen Feuerwehrleute und Polizisten machten Schlagzeilen. Nach Angaben des Beamtenbundes hat „ein Viertel der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes schon Beleidigungen, Bedrohungen, (versuchte) Körperverletzungen und auch sexuelle Gewalt erlebt“. 

Mehrfachbelastungen durch Lärm oder Zeitdruck, körperlich anstrengende Arbeit oder schwierige Kunden sind im Dienstleistungssektor die Regel: 87 Prozent der Beschäftigten sind von mindestens zwei der vier untersuchten Belastungsarten betroffen. Die höchsten Werte für Doppelbelastung gibt es im Gesundheitswesen (95 Prozent) und im Bereich Erziehung und Unterricht (94 Prozent). Den niedrigsten Wert weisen mit 74 Prozent die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen auf.

Nur für die Hälfte der betroffenen Beschäftigten im Dienstleistungssektor haben die Arbeitgeber arbeitsorganisatorische Maßnahmen ergriffen, die auf Entlastung zielen. Dazu gehören etwa die Reduzierung von Gewichten, die Installation von Schallschutz, geringere Arbeitsmengen oder verkürzte Wartezeiten für Kunden.

Die Vorgabe des Arbeitsschutzgesetzes ist eindeutig: „Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.“

Doch das machen die wenigsten Behörden und Unternehmen. „Nur 36 Prozent der Beschäftigten beantworten die Frage mit Ja, ob für ihren Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen wurde; selbst in der öffentlichen Verwaltung beträgt der Anteil nur 43 Prozent“, heißt es in der Verdi-Studie. „Im großen Stil“ werde gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen und das beeinträchtige die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten und verschärfe den Arbeitskräftemangel.

Auf die Frage, warum es so wenige Gefährdungsbeurteilung gibt, antwortet die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände: „Laut Grundauswertung der Betriebsbefragung 2015 und 2011 geben 80 Prozent der Verantwortlichen für Arbeitsschutz an, dass an den Arbeitsplätzen in ihrem Betrieb eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wird.“ 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false