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Die Hälfte bleibt zu Hause. Bei der Horiba Tocadero GmbH in Adlershof ist die Hälfte der Belegschaft im Homeoffice.

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Hauseigene Showrooms, VR-Brillen, Homeoffice: Wie das Coronavirus den Berliner Mittelstand verändert hat

Die Coronakrise hat viele Firmen gezwungen, sich der Digitalisierung zu stellen. Dabei kämpfen sie jedoch mit der Erreichbarkeit von Senat und Bezirken.

Von Matthias Matern

Die Pandemie als Innovationstreiber? Zumindest was die Digitalisierung betrifft, hat die Coronakrise vielen Berliner Unternehmen offensichtlich Beine gemacht. Einer Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK) zufolge haben von Ende Juli bis Mitte August knapp 66 Prozent aller befragten Unternehmen wegen der Pandemie mehr als früher auf Homeoffice gesetzt. Rund ein Viertel wollen auch künftig auf mobiles Arbeiten setzen. Fast die Hälfte der befragten Unternehmen versucht, in Zukunft beide Arbeitsformen zu kombinieren.

Bei der Horiba Tocadero GmbH in Adlershof wurde während des Lockdowns sogar ausschließlich von zu Hause aus gearbeitet. Inzwischen ist die Hälfte der Belegschaft an den angestammten Arbeitsplatz zurückgekehrt, um die weitere Produktion zu gewährleisten. Das Unternehmen wurde im vergangenen Jahr gegründet, beschäftigt derzeit 15 Mitarbeiter und stellt Analysegeräte für die Wasserqualität her. Zu den Kunden gehören große Industriekonzerne wie Bayer.

„Ich war früher ein großer Gegner von Homeoffice. Am Anfang war ich also entsprechend skeptisch“, erinnert sich Geschäftsführer Oliver Rothe. Als mittelständischer Unternehmer habe man eben manchmal so ein gewisses Kontroll-Faible, will einen Überblick haben, wie gearbeitet wird, gibt Rothe zu. Doch der 47-jährige Firmenchef hat sich eines Besseren belehren lassen: „Das hat besser als gedacht funktioniert. Allerdings haben wir hier auch ein sehr junges Team mit einem entsprechenden Commitment.“

Aus Sicht von Sven Weickert, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB), hat die Coronakrise dem Digitalisierungsprozess im Berliner Mittelstand sogar einen richtigen Schub verpasst, zumindest im Büroalltag.

„Videokonferenzsysteme zum Beispiel gab es ja schon vorher. Aber durch die Notwendigkeit des Homeoffice hat das jetzt Einzug in den Büroalltag gehalten.“ Ein Zurück zu alten Zeiten kann sich Weickert kaum vorstellen. „Die Vorteile liegen doch klar auf der Hand. Ich muss mich nicht immer vor Ort treffen. Es geht oft am Rechner sehr viel schneller, effizienter und kostengünstiger“, meint der UVB-Geschäftsführer.

Digitalprämie startet im November

Das Land Berlin will ab November die Digitalisierung der Unternehmen mit der sogenannten Digitalprämie fördern. Bis zu 17.000 Euro erhalten die Firmen als Zuschuss. Weickert zufolge ein wichtiges politisches Signal und ein Angebot von hoher Bedeutung. „Ich bin mir sicher, dass die Digitalprämie sehr gut nachgefragt wird.“

Allerdings würde er sich wünschen, dass dafür vielleicht noch mehr Geld zur Verfügung steht. Schließlich gehe es inzwischen nicht nur darum, den Büroalltag flexibler zu gestalten, sondern auch die anderen, teils komplexeren Prozesse auf den digitalen Prüfstand zu stellen. „Der Service, die Produktion, der Vertrieb, der Verkauf – das sind jetzt die Aufgaben.“

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Auch bei Rothes Horiba Tocadero GmbH macht das verstärkte Homeoffice nur einen Teil der digitalen Neuerung aus. Für den Unternehmer stellte sich plötzlich die Frage, wie man ein neues Produkt präsentieren und erläutern kann, wenn man den Neukunden nicht persönlich besuchen kann? Die Lösung ist ein mit Kameras ausgestatteter, hauseigener Showroom, vom dem aus Produkte virtuell per Videokonferenz und mithilfe einer VR-Brille vorgestellt werden.

Eine Zwangsneuerung, die für den Firmenchef einen entscheidenden Vorteil hat: „Ein Serviceeinsatz in Malaysia kostet mich rund 5000 Euro. Da muss ich erst mal einen Techniker hinschicken. Künftig setzt sich ein Mitarbeiter des Unternehmens vor Ort die Brille auf und löst zusammen mit einem unserer Experten in Berlin das Problem.“

Kleine Firmen haben es schwer

Neu sind die technischen Möglichkeiten natürlich nicht, aber dass sie jetzt so schnell zur Anwendung kommen, sei der Pandemie geschuldet, meint auch Rothe. Indes ist der Berliner Ableger des japanischen Horiba Konzerns ohnehin ein technologieaffines Unternehmen. Für viele andere Mittelständler in der Stadt sei die Digitalisierung sämtlicher Geschäftsprozesse sicherlich eine „riesige Herausforderung“, schätzt der Unternehmer, der außerdem Mitglied im Kompetenzteam Mittelstand der IHK ist. „Für eine Fünf-Mann-Firma ist das eher schwierig.“

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Zumal manche Unternehmen das Thema mangels Ressourcen und mit Blick auf das Tagesgeschäft vielleicht ein bisschen auf die lange Bank geschoben haben, ergänzt UVB-Geschäftsführer Sven Weickert. Dabei scheint die Bedeutung der Digitalisierung vielen auch schon vor der Krise durchaus bewusst gewesen zu sein. Immerhin haben bei einer entsprechenden IHK-Umfrage im Jahr 2018 rund drei Viertel der Unternehmen angegeben, die Digitalisierung sei von großer und zentraler Bedeutung für den Geschäftserfolg.

Hausaufgaben aber haben aus Sicht der Wirtschaftsverbände nicht nur die Unternehmen zu machen: „Eine wunderbare Corona-Digitalhilfe für Betriebe wäre es, die Berliner Verwaltung zu digitalisieren, Prozesse zu beschleunigen und mehr Verwaltungsdienstleistungen digital abrufbar zu machen“, erklärt etwa Sandra Trommsdorf, IHK-Bereichsleiterin Wirtschaft und Politik. Hilfreich wäre es auch, die geringen Berliner Quoten für Glasfaseranschlüsse bis zum Haus von drei Prozent massiv zu erhöhen.

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Auch Sven Weickert wünscht sich ein besseres Onlineangebot des Senats und der Bezirke. „Von der Ausstellung einer Aufenthaltsgenehmigung für einen ausländischen Mitarbeiter über die Gewerbeanmeldung bis zur Parkvignette für Lieferwagen“, nennt er nur einige Bespiele. Perspektivisch mindestens so wichtig wie innovative Soft- und Hardware, ein leistungsfähiges Breitband auf Industrieniveau und eine umfassende digitale Verwaltung sind für den UVB-Geschäftsführer aber gute Digitalkompetenzen der Fachkräfte von morgen.

Dabei sei die Anschaffung von Tablets und Whiteboards für die Schulen gar nicht das Problem. „Bei der Erstellung entsprechender Lerninhalte und der Weiterbildung von Lehrern dagegen stehen wir noch am Anfang“, meint Weickert.

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