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Noch wächst hier Unkraut: Eine stillgelegte Bahnstrecke in Mecklenburg-Vorpommern.

© dpa/Jens Büttner

Reaktivierung von alten Strecken: Deutsche Bahn kommt nur langsam in die Fläche zurück

Die Politik will den ländlichen Raum wieder ans Bahnnetz anbinden. Doch trotz verbesserter Rahmenbedingungen werden bisher kaum Projekte umgesetzt.

Um zwölf Prozent ist das Schienennetz seit 1995 geschrumpft. Auf dem verkleinerten Netz sind aber fast doppelt so viele Güterzüge unterwegs, bei Personenzügen nahm der Verkehr um 30 Prozent zu. „Das ist ein wesentlicher Grund, warum wir aktuell so viele Probleme im Bahnverkehr haben“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, am Montag. Zusammen dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warb er dafür, möglichst viele der stillgelegten Strecken rasch zu reaktivieren.

Mehr Bahnverkehr in der Fläche – dafür sprechen sich auch Politiker fast aller Parteien aus. Trägt doch ein fehlender Bahnzugang viel dazu bei, dass sich Menschen in ländlichen Regionen abgehängt fühlen.

Dennoch wurden in den vergangenen Jahren nur sehr wenige alte Bahnstrecken wieder in Betrieb genommen. 2022 wuchs das Streckennetz laut Flege so lediglich um acht Kilometer. Auch dieses Jahr komme nur eine einstellige Zahl an Kilometern durch Streckenreaktivierungen dazu.

Kaum Wachstum beim Schienennetz

Nicht nur für die betroffenen Regionen ist das ein Problem, betonte Flege. Es reiche nicht, die Hochleistungskorridore zu sanieren. Es fehlten Erweiterungen. Neue Bahnstrecken würden in diesem Jahrzehnt aber kaum eröffnet. „Wir brauchen Wachstum durch Reaktivierungen“, so Flege.

Noch die große Koalition erhöhte die Mittel hierfür deutlich. Eine Milliarde Euro pro Jahr stellt der Bund den Ländern nun zur Verfügung, damit sie Regionalzugstrecken ausbauen. Der Bund fördert die Projekte dabei mit bis zu 90 Prozent. Ab 2025 stehen hierfür über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sogar zwei Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung.

Zudem hat der Bund die Bewertungskriterien überarbeitet. Der Nutzen von Regionalverbindungen für den Klimaschutz und für einheitliche Lebensverhältnisse in Stadt und Land wird nun stärker berücksichtigt.

Diese Reform zeigt nun erste Erfolge. In den Ländern laufen inzwischen viele Machbarkeitsstudien, zu 103 Projekten liegen bereits Ergebnisse vor. Bei 79 geplanten Reaktivierungen seien diese positiv, nur 24 fielen negativ aus, sagte VDV-Geschäftsführer Martin Henke. 1,1 Millionen Bürger würden so wieder an die Bahn angeschlossen, betonte Henke. „Die Zahl der beauftragten Machbarkeitsstudien in Deutschland wächst praktisch täglich – damit ist das Thema Reaktivierung vor Ort angekommen.“

Länder scheuen die Betriebskosten

Spitzenreiter ist Baden-Württemberg mit 22 erfolgreichen Machbarkeitsstudien, vor Nordrhein-Westfalen (16) und Niedersachsen (11). In Baden-Württemberg übernimmt die Landesregierung 75 Prozent der Kosten, während anderswo die Kommunen den Großteil der Kosten stemmen müssen.

Wir fordern ein Bundesprogramm Reaktivierung.

Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene

Das große Interesse beruhigt Dirk Flege allerdings nicht. Er warnte vor einem „Schneckentempo“ bei der Umsetzung. Das Problem: Die Betriebskosten für den Regionalverkehr auf den Strecken sind vielen Ländern zu hoch. So bestellte Brandenburg die reaktivierte Regionalbahn zwischen Joachimsthal und Templin wegen zu wenig Fahrgästen wieder ab – obwohl der Probebetrieb in die Coronazeit fiel.

„Wir fordern ein Bundesprogramm Reaktivierung“, erklärte Flege. Darin sollten aus seiner Sicht auch Zuschüsse für die Betriebskosten enthalten sein. Nötig sei auch eine Förderung für die Wiederinbetriebnahme von Güterstrecken. Bisher verhalte sich der Bund viel zu passiv. Er habe noch nicht vernommen, dass sich Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) für Streckenreaktivierungen einsetzen würde.

Dafür setzen sich die Ampel-Fraktionen nun für die Nebenstrecken ein. In das am Freitag vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Planungsbeschleunigung von Verkehrsprojekten verhandelten sie eine Umkehr der Beweislast hinein: Wer künftig eine Bahnfläche entwidmen will, wie die Fachleute sagen, muss beweisen, dass für das Areal kein verkehrliches Interesse mehr besteht. Das sichere Bahnflächen für zukünftige Entwicklungen, sagte Matthias Gastel, bahnpolitischer Sprecher der Grünen, Tagesspiegel Background. Von einem „Entwidmungsverbot“ sprach SPD-Fraktionsvize Detlef Müller.

Zudem liegen nun künftig auch Reaktivierungsprojekte und der Bau von neuen Nahverkehrsstrecken im überragenden öffentlichen Interesse. „Schienen bauen statt abreißen“, sei künftig das Motto, so Gastel. Gerade der Nahverkehr habe für die Mobilitätswende eine zentrale Bedeutung, betonte er. Das Gesetz sei ein wichtiger Grundstein, um die Planungszeiten für Reaktivierungen zu verkürzen, sagte Müller.

Nach einer internen Übersicht aus dem Bundestag werden durch das Genehmigungsbeschleunigungsgesetz nun vor allem Schienenprojekte angeschoben. 734 Projekte profitieren von der Hochleistungskorridorsanierung, über Streckenreaktivierungen, Elektrifizierungen sowie Neu- und Ausbau. Das sind zusätzliche 412 Projekte im Vergleich zum Gesetzentwurf, der vom Bundeskabinett verabschiedet worden war – darunter 344 Projekte im Regionalverkehr. Der Großteil der Ausbaumaßnahmen im Bundesschienennetz sei damit künftig im „überragenden öffentlichen Interesse“, lobte Flege.

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