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Deutschlandticket am Hauptbahnhof München

© action press/Alexander Pohl

Update

„Müsste eigentlich 29 Euro kosten“: Mobilitätsexperte findet Deutschlandticket schon jetzt zu teuer

Verbraucherschützer und Umweltverbände kritisieren mögliche Preiserhöhungen beim Deutschlandticket. Experten warnen, dass weniger Menschen das Ticket nutzen könnten.

| Update:

Angesichts der Diskussionen über das Deutschlandticket hat ein Mobilitätsexperte vor einer Preiserhöhung gewarnt. „Nach unseren Berechnungen nutzen rund 10 Millionen Menschen derzeit das Deutschlandticket. Sollte der Preis auf 59 Euro steigen, blieben vielleicht noch sechs bis sieben Millionen“, sagte Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin der Deutschen Presse-Agentur.

„Das Ticket müsste eigentlich 29 Euro kosten, dann hätte man viel mehr Menschen in den Zügen.“ Von den aktuellen politischen Entwicklungen sei er „bestürzt“.

Bund und Länder haben sich am Montag zwar darauf verständigt, dass es das Deutschlandticket auch im kommenden Jahr geben wird − die Finanzierung ist aber weiterhin nicht in allen Punkten geregelt.

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Verteuerung des Tickets nicht ausgeschlossen

Die Verkehrsminister der Länder wurden aufgerufen, ein Konzept für die Zukunft des Deutschlandtickets über den 1. Mai 2024 hinaus zu entwickeln − inklusive einer möglichen Preiserhöhung.

Das Ticket müsste eigentlich 29 Euro kosten, dann hätte man viel mehr Menschen in den Zügen.

Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung

Wissenschaftler Knie kritisierte, dass das Ticket bereits jetzt ein Fahrschein für Menschen mit höherem Einkommen sei. Er geht davon aus, dass lediglich 400 000 bis 500 000 Menschen, die vorher gar kein ÖPNV-Ticket hatten, mit dem Deutschlandticket nun Busse und Bahnen nutzen.

Vor allem Menschen, die in den Speckgürteln großer Städte wohnen und vor dem Deutschlandticket teils dreistellige Beträge für einen Monatsfahrschein zur Arbeit ausgeben mussten, profitierten vom 49-Euro-Angebot.

Bei Verkehrsverbünden sparen

Um das Deutschlandticket günstiger anbieten zu können, sollten die Verkehrsverbünde bei der Bürokratie sparen − hier gebe es viel Potenzial. „Man könnte ja sparen, aber bei den Verkehrsverbünden tut man sich schwer“, sagte Knie.

In Deutschland gibt es mehr als 60 Verkehrsverbünde. In manchen Regionen hat auch diese Zersplitterung in der Vergangenheit zu komplizierten Tarifstrukturen geführt, die durch das Deutschlandticket Geschichte sein sollen.

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Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich zuletzt mehrfach dafür ausgesprochen, die Zahl der Verkehrsverbünde zu reduzieren, um so zu effizienteren Strukturen zu kommen und Geld für Verwaltungsaufgaben einzusparen. „Wissing hat recht, es gibt zum Teil schon sehr aufgeblähte Strukturen bei den Verkehrsverbünden und Aufgabenträgern“, meint auch der Berliner Verkehrsforscher Christian Böttger.

Die fehlende Einigung bei der Ministerpräsidentenkonferenz sei letztlich ein Sparauftrag an die Länder. Der öffentliche Nahverkehr sei allerdings einer der wenigen Bereiche, in denen Landes- und Kommunalpolitiker noch eigenen Entscheidungsspielraum hätten − und dieser werde nun verteidigt. „Da geht es auch um Jobs vor Ort, die wegfallen würden, wenn es beispielsweise ein bundeseinheitliches Ticketsystem geben würde“, sagte Böttger.

Der Verkehrsforscher sieht eine mögliche Ursache für die Härte des Konfliktes zwischen Bund und Ländern: „Viele Bundesländer und Verbünde haben das Deutschlandticket um eigene Sonderangebote ergänzt, eine unbekannte Zahl bekommt das Ticket sogar kostenlos vom Arbeitgeber gestellt“, sagt Böttger.

Bei der Einführung wurde zwischen Bund und Ländern eine Kostenteilung vereinbart. „Jetzt wollen die Länder mehr Geld vom Bund als ursprünglich vereinbart − vorstellbar, dass dies den Bund verärgert hat.“

Die Einigung von Montagabend

Nach wochenlangem Streit und Warnungen vor einem Aus des Deutschlandtickets hatten Bund und Länder Schritte zu einer weiteren Finanzierung vereinbart. So sollen in diesem Jahr nicht verbrauchte Mittel 2024 zum Ausgleich finanzieller Nachteile durch das günstigere Ticket bei Verkehrsunternehmen eingesetzt werden können. Darauf hatten sich Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am Montagabend in Berlin verständigt.

1,5
Milliarden Euro zahlen Bund und Länder jeweils an Bus- und Bahnbetreiber zum Ausgleich von Einnahmeausfällen

Nach einer Verabredung von Ende 2022 schießen beide Seiten in diesem und im nächsten Jahr schon je 1,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Bus- und Bahnbetreibern zu. Doch Knackpunkt waren zuletzt etwaige Mehrkosten darüber hinaus. Dass Bund und Länder sie ebenfalls je zur Hälfte tragen, ist nur für das Einführungsjahr 2023 vereinbart.

Höhe der Mehrkosten unklar

Verkehrsbranche und Länder forderten das lange auch für 2024. Davon war nun keine Rede mehr. Als Puffer soll ungenutztes Geld von 2023 dienen können, wozu eine Gesetzesänderung nötig ist. Mit dem angepeilten Konzept der Verkehrsminister soll „eine weitere Nachschusspflicht durch Bund und Länder“ 2024 ausgeschlossen werden.

Welche Mehrkosten es wirklich gibt, lässt sich noch nicht beziffern. Bund und Länder peilen daher eine genaue „Spitzabrechnung“ für 2023 und 2024 an, die nach Vorliegen endgültiger Daten für beide Jahre von den Ländern gemacht werden soll.

4,1
Milliarden Euro könnten die Verluste der Verkehrsunternehmen im Jahr 2024 betragen

Laut einer Prognose des Verbands der Verkehrsunternehmen dürften die Verluste für die Branche dieses Jahr 2,3 Milliarden Euro betragen, nachdem das Ticket erst Anfang Mai gestartet war. Im vollen Jahr 2024 sollen es dann 4,1 Milliarden Euro sein. Bei sechs Milliarden Euro Zuschüssen für 2023 und 2024 könnte sich unter dem Strich also eine Lücke von 400 Millionen Euro ergeben.

Verkehrsministerkonferenz soll Konzept vorlegen

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte vor der Beratung mit Scholz, die Übertragung nicht verbrauchter Mittel von 2023 schaffe die Grundlage, dass das Ticket auch im nächsten Jahr weitergehen könne. „Ob und in welcher Form das Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben wird, das müssen uns die Verkehrsminister sagen.“ Insofern werde der Ball da an die Fachminister zurückgegeben.

Ob und in welcher Form das Auswirkungen auf die Preisgestaltung haben wird, das müssen uns die Verkehrsminister sagen.

Stephan Weil (SPD), Niedersachsens Ministerpräsident

Bund und Länder beauftragen die Verkehrsministerkonferenz, ein Konzept vorzulegen − und zwar rechtzeitig vor dem 1. Mai 2024. Dann wird das Ticket ein Jahr alt. Dafür sollen sich Bund und Länder über die weitere Finanzierung und einen Mechanismus zur Fortschreibung des Ticketpreises verständigen, „der auch eine Erhöhung beinhalten kann“.

Pro Bahn: Zu große Preiserhöhung bei Deutschlandticket „inakzeptabel“

Der Fahrgastverband Pro Bahn hat enttäuscht auf die von Bund und Ländern vereinbarten Eckpunkte zur weiteren Finanzierung des Deutschlandtickets reagiert und vor einer zu großen Preiserhöhung gewarnt. Man könne Preiserhöhungen nun nicht mehr ausschließen, dies „sollte aber in einem vertretbaren Rahmen bleiben“, sagte Pro-Bahn-Bundesvorstand Detlef Neuß den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).

Einen Preis, der mit den Kosten für ein Abo-Ticket der unteren Preisstufen von Verkehrsverbünden gleichzieht oder diese übersteigt, werden viele Inhaber des Deutschlandtickets nicht akzeptieren und aussteigen. „Eine Preiserhöhung um 20 oder gar 30 Euro im kommenden Jahr halten wir für inakzeptabel“, sagte Neuß.

Gleichzeitig forderte er den Bund auf, sich an den steigenden Kosten angemessen zu beteiligen. „Auch wenn der Nahverkehr Sache der Länder ist, so ist der Bund doch Initiator dieses Tickets und darf sich jetzt nicht aus der Verantwortung stehlen“, betonte der Fahrgastvertreter. 

Grüne Jugend: „ein schlechter Witz“

Dass der verlockende Start-Preis von 49 Euro einmal wie andere Tarife auch steigen kann, war prinzipiell immer klar. Doch nun kommt eine mögliche Anhebung als Finanzierungselement für 2024 konkret auf den Tisch.

Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte prompt, Scholz wolle sich mit dem D-Ticket schmücken, dafür zahlen wolle er aber nicht. Das könne nicht funktionieren. „Wenn die Kundinnen und Kunden jederzeit mit einer Preiserhöhung rechnen, dann würgt das den Erfolg des Tickets ab, noch bevor es überhaupt richtig angekommen ist“, sagte Clara Thompson, Verkehrsexpertin bei Greenpeace Deutschland.

Auch die Grüne Jugend zeigte sich enttäuscht über den Zwischenschritt der Bund-Länder-Runde bei der weiteren Finanzierung des Deutschlandtickets. „Dass diese MPK endet, ohne dass es eine klare Absage an Preiserhöhungen beim Deutschlandticket gibt, ist ein schlechter Witz“, sagte die Co-Chefin der Grünen-Nachwuchsorganisation, Svenja Appuhn, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin zur Ministerpräsidentenkonferenz (MPK).

Das Neun-Euro-Ticket habe das Leben der Menschen sprunghaft verbessert und gezeigt, wie Klimaschutz breite Mehrheiten finden könne, erklärte Appuhn. „Dass die Bundesregierung zuerst den Preis des Tickets verfünffachte und jetzt nicht mal diesen – ohnehin schon zu hohen Preis – absichert, ist peinlich.

Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Verunsicherung brauche es eine soziale Politik, die Rechten den Nährboden entziehe. „Statt weiterer Asylrechtsverschärfungen und einer möglichen Ticketverteuerung hätte es gerade jetzt Zusagen für ein deutlich günstigeres Ticket gebraucht.“

Eine Anhebung des Preises gefährdet die Akzeptanz des Deutschlandtickets.

Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbandes

Kritik von Verbraucherzentrale und Deutscher Umwelthilfe

Verbraucherinnen und Verbraucher müssten nun mit Preiserhöhungen rechnen, kritisierte am Dienstag auch die Chefin des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Ramona Pop. „Planungssicherheit sieht anders aus.“

Pop kritisierte, 49 Euro seien für viele Menschen bereits die Schmerzgrenze. „Eine Anhebung des Preises gefährdet die Akzeptanz des Deutschlandtickets.“ Statt die Kosten auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abzuwälzen, sollten Bund und Länder ihre Mittel erhöhen und für einen besseren und bezahlbaren Nahverkehr sorgen. „Wer den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr will, muss dafür sorgen, dass er bezahlbar ist.“

Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, kritisierte: „Während für den Bau neuer Autobahnen Milliarden verschwendet und Kostensteigerungen problemlos hingenommen werden, erscheint die Finanzierung eines bezahlbaren 49-Euro-Tickets nahezu utopisch.“ Dabei sei das Deutschlandticket „bislang eines der wenigen guten Dinge, die die Bundesregierung in Sachen Verkehrswende zustande gebracht hat“.

Mit dem Beschluss von Bund und Ländern „geht die Debatte um die Zukunft des Tickets also in die Verlängerung“, resümierte der Verband der Verkehrsunternehmen. Er forderte − wie auch der Verbraucherzentrale Bundesverband − Lösungen für Studierende und das Jobticket im künftigen Konzept. Zudem mahnte er erneut „schnelle politische Vereinbarungen für den Ausbau und die Modernisierung des deutschen ÖPNV“ an.

Ticket soll einfacher und digitaler werden

Bund und Länder betonten, das Ticket weiterentwickeln, vereinfachen und digitaler machen zu wollen. Und Ziel sei auch, „mit einer erfolgreichen Umsteigeoffensive mögliche Finanzierungsdefizite soweit wie möglich zu senken“.

Bundesverkehrsminister Wissing hat die Länder wegen des Streits um die Finanzierung des 49-Euro-Tickets hart angegangen. Die Bundesländer hätten eine „vollkommen überflüssige“ Debatte losgetreten, erklärte Wissing am frühen Dienstagmorgen nach der Ministerpräsidentenkonferenz. „Außer einer Verunsicherung der Verbraucher haben sie damit nichts erreicht.“

Wissing rief die Landesverkehrsminister auf, „sachlich am Erfolg des Deutschlandtickets zu arbeiten und aufzuhören, es ohne Not in Frage zu stellen“. Der Beschluss bekräftige noch einmal das im vergangenen Jahr vereinbarte Finanzkonzept.

Er bezeichnete das Deutschlandticket als großen Erfolg. Die Länder sollten diese Chance erkennen und alles dafür tun, damit die Abo-Zahlen weiter steigen. „Die nächsten Schritte dafür sind mehr Digitalisierung des ÖPNV-Angebots, der Verzicht auf Konkurrenzprodukte und eine konsequente Vereinfachung der Strukturen.“ (dpa/AFP)

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