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Blick über eine Rekultivierungsfläche im Braunkohletagebau Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).

© picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Handwerkspräsident über Ostdeutschland: „Es sind so furchtbar viele Menschen weggegangen“

Mit Jörg Dittrich führt erstmals ein Ostdeutscher einen Spitzenverband der Wirtschaft. Im Interview erläutert er Instrumente gegen den Arbeitskräftemangel.

Herr Dittrich, wie läuft der Betrieb?
Unserer Firma geht es gut. Wir decken jetzt die Dächer der Häuser, die vor der Krise begonnen wurden. Wir sind zudem auch im Gewerbebau und im Reparaturgeschäft tätig. Dennoch sind wir – und das nicht allein in meinem Betrieb – in Sorge über die Flaute im Wohnungsbau, die sich nach dem Rohbau bald auch in den Ausbaugewerken bemerkbar machen dürfte.

Der Staat, der in der Pandemie und der Energiekrise viel Geld ausgegeben hat, wird die Baukosten und Zinsen nicht drücken können.
Der Staat hat seit der Finanzkrise 2008 immer wieder gut auf Krisen reagiert. Unser demokratisches System hat funktioniert, auch bei Corona. Die staatliche Krisenpolitik war richtig, weil sie den betroffenen Betrieben geholfen hat, über die harten Phasen zu kommen – das war nur möglich aufgrund der starken finanziellen Basis.

Haben wir uns übernommen?
Das glaube ich nicht. Aber wenn man sich die aktuellen Herausforderungen ansieht, dann ist offensichtlich, dass wir nicht einfach so weitermachen können wie noch vor zehn oder 20 Jahren, sondern wir müssen das Verhalten auf vielen Ebenen ändern – damit tut sich der Mensch bekanntlich schwer: nachhaltiger leben und wirtschaften, die Sozialsysteme nachhaltiger und vor allem fairer und generationengerechter finanzieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe sichern.

Sind die Leute, zumal die Ostdeutschen, nicht der ständig geforderten Verhaltensänderungen müde, der Energie- und Verkehrswende, der Wärme- und der Bildungswende?
1989 war das keine Wende, sondern eine Revolution, die Freiheit gebracht hat. Aber manche politische Zielsetzung von heute erinnert mich an das, was ich in der DDR erlebt habe. Zum Beispiel soll bis zu einem bestimmten Datum eine bestimmte Menge an Wärmepumpen eingebaut werden, ohne vorher zu klären, ob dafür auch die Monteure, die Strom- und Wärmenetze, ja der Strom in ausreichender Menge vorhanden ist. Das erinnert an die Fünf-Jahres-Pläne von Gerhard Schürer.

Schürer war Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR. Tun sich deshalb gerade die Ostdeutschen so schwer mit der Zeitenwende? Oder wie erklären Sie die Beliebtheit der AfD?
Dafür gibt es sicherlich viele Gründe, aber nach meiner persönlichen Einschätzung auch demografische Gründe: Es sind so furchtbar viele Menschen weggegangen in der Fläche.

Was macht das mit einer Stadt oder Region, deren Einwohnerzahl sich in ein paar Jahren mehr als halbiert hat? Das erzeugt eine bleierne Schwere und Verdruss und Frust und betrifft dann auch unmittelbar die Betriebe. Das Stadt-Land-Thema kommt hinzu – das allerdings deutschlandweit.

Jörg Dittrich, 1969 in Dresden geboren, ist Dachdecker und führt einen Betrieb mit fast 100 Mitarbeitenden.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Was meinen Sie damit?
Wenn wir nur über das Fahrrad reden oder über das Lastenrad als Alternative zum Transporter, dann fühlen sich die Menschen und eben auch Handwerker auf dem Land zurückgesetzt, weil sie mit dem Rad nicht von Weißwasser nach Dresden oder von Prüm in der Eifel nach Köln kommen.

Die Bedürfnisse der Menschen auf dem Land und vieler Kleingewerbetreibender und Handwerker werden häufig übersehen. Und der Arbeitskräftebedarf ist in ländlichen Regionen noch stärker spürbar als in den Städten.

Wie kommen Sie selbst in Ihrem Betrieb an die Arbeitskräfte und Azubis?
Zwischen 1983 und 1989 sind sechs der zehn Beschäftigten unseres Betriebes – mehr als zehn Mitarbeitende durfte der Betrieb in der DDR nicht haben – in den Westen ausgereist. Mein Vater selbst ist nach dem Krieg von 70-Jährigen ausgebildet worden, weil viele Jüngere im Krieg gefallen waren. Wir wissen also, was Fachkräftebedarf bedeutet.

Und wie gehen Sie damit um?
Wir haben uns mit drei anderen Handwerksbetrieben aus der Region zusammengetan und werben gemeinsam um Auszubildende und Fachkräfte. Bei uns funktioniert das gut, und es kann vielleicht auch ein Weg für andere Handwerksbetriebe sein: Gemeinsam hat man mehr zu bieten, kann mehr Berufe vorstellen.

Im letzten Jahr konnten wir neun Azubis einstellen, in diesem Jahr sind wir schon bei fünf. Aber selbstverständlich müssen wir auch noch besser werden, die inländischen Potenziale voll auszuschöpfen: bei Frauen, bei Langzeitarbeitslosen, bei Geringqualifizierten. Wir brauchen zudem auch mehr Zuwanderung. Und ganz wichtig: Innovationen.

Können Maschinen Menschen im Handwerk ersetzen, wo doch vieles Handarbeit ist?
Die Maschine erleichtert die Arbeit und nimmt dem Menschen körperlich belastende Arbeit ab. Das wird im Handwerk nicht ChatGPT sein. Aber ein Roboter, der Fliesen in den fünften Stock transportiert. Oder das Vermessen eines Bades mit einem 3D-Scanner.

Anschließend können in der Werkstatt die Fliesen passgenau zugeschnitten werden, das geht schneller und verschmutzt nicht die Wohnung. Nur zwei Beispiele, die zeigen, dass auch im Handwerk an vielen Stellen Arbeiten von Technologien oder Maschinen übernommen werden können, ohne dass dadurch die eigentlichen handwerklichen Fertigkeiten und Arbeiten wegfallen.  

Das Image des Handwerkers, der mit der Schubkarre über die Baustelle fährt oder Ziegel auf das Dach schleppt, ist längst überholt. 

Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer

Wie innovativ sind Sie, respektive die Dachdeckerei?
Nach längerer Suche habe ich einen Kooperationspartner gefunden, der uns bei der Entwicklung einer Maschine zum Transport und Verlegen des Materials auf riesigen Flachdächern von Supermärkten oder Werkshallen hilft.

Einen Prototypen gibt es inzwischen, aber damit das Gerät in Serie gehen kann, müssen die Umfeldbedingungen noch stärker berücksichtigt werden, beispielsweise kann es im Sommer auf so einem Flachdach schon mal bis zu 70 Grad heiß sein. Grundsätzlich braucht das Handwerk mehr Zusammenarbeit mit Universitäten.

Und dann wird aus Handwerk Hightech?
Das gibt es schon längst. Ein Sattler in Dresden „vermisst“ das Pferd des Kunden mit einem Scanner und macht anschließend den Sattel. Exoskelette oder Drohnen sind vielleicht nicht überall im Handwerk der Alltag, aber auch nichts Außergewöhnliches mehr. Das Image des Handwerkers, der mit der Schubkarre über die Baustelle fährt oder Ziegel auf das Dach schleppt, trifft schon lange nicht mehr zu, ist längst überholt.

Auch in der breiten Bevölkerung?
Ja, unsere seit vielen Jahren laufende Imagekampagne hat dazu entscheidend beigetragen. Die erste Stufe haben wir erreicht: Alle wissen um die Bedeutung des Handwerks. Jetzt müssen wir auf der zweiten Stufe noch mehr Menschen dafür gewinnen, selbst Handwerkerin oder Handwerker zu werden.

Das ständige Misstrauen gegenüber selbstständigen Unternehmern und Betriebsinhaberinnen nervt. 

Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer

Und wie soll das funktionieren?
Die wichtigsten Ansatzpunkte sind Sicherheit des Arbeitsplatzes, Aufstiegschancen und natürlich der Verdienst. Da kann das Handwerk gut punkten. Wie auch bei den Karrieremöglichkeiten mit Leitungsfunktionen in größeren Betrieben oder ganz generell der Chance im Handwerk, schon in sehr jungen Jahren seine eigene Chefin oder sein eigener Chef mit eigenem Betrieb zu sein. Zudem bietet das Handwerk sinnstiftende Tätigkeiten, die Zufriedenheit schaffen – bei der Kundschaft und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
 

Warum macht sich dann nur ein Fünftel der Meister selbstständig?
Es fehlt generell an Wertschätzung für selbstständige Unternehmer. Doch als Hauptgrund haben Befragungen ergeben, dass die meisten von der Bürokratie abgeschreckt werden. Das ständige Misstrauen gegenüber selbstständigen Unternehmern und Betriebsinhaberinnen nervt. Wir werden nicht bestraft, wenn wir ein Gesetz verletzen, sondern wenn wir nicht nachweisen können, dass wir das Gesetz eingehalten haben.

Jörg Dittrich (zweiter von rechts) beim Transformationsgipfel im Kanzleramt.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Wie reagieren Kanzler und Minister, wenn Sie das ansprechen, wie neulich bei der Allianz für Transformation?
Die Wertschätzung für das Handwerk ist groß, aber wir brauchen daraus resultierend konkretes Handeln. Wir haben schon vor drei Jahren mehr als 60 Vorschläge zum Bürokratieabbau allein im Handwerk gemacht, das Justizministerium hat jetzt im April für die gesamte Wirtschaft gerade einmal 442 Vorschläge eingesammelt. Wirklich Bürokratie abgebaut wurde bislang nicht, im Gegenteil erleben wir gerade wieder, dass immer noch mehr Bürokratie dazukommt. Wir müssen den Menschen und Betrieben mehr Freiheit geben und nicht alles bis ins letzte Detail vorschreiben wollen. 

Regulierung ist die Aufgabe von Politik.
Das sollte dann aber auch stimmig sein, mit einem durchdachten Rahmen und Gesamtkonzept. Die Betriebe erwarten eine Politik, die sich daran orientiert, was praktikabel und machbar ist. Es soll eine Energiewende geben, doch wir diskutieren über Vier-Tage-Woche und Arbeitszeiterfassung? Atomkraftwerke werden abgeschaltet, dann aber Industriestrompreise geplant. Wir wollen Wallboxen für E-Autos, haben aber nicht die erforderlichen Stromnetze. Es passt einfach vieles nicht zusammen.

Wie macht sich bemerkbar, dass Sie der erste Ostdeutsche an der Spitze eines wirtschaftlichen Dachverbandes sind?
Vor allem darin, dass diese Frage nach meiner Herkunft aus dem Osten immer wieder kommt. Ja, ich stamme aus Dresden und lebe dort, aber vor allem bin ich Handwerksmeister – und das durch und durch.

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