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Wirtschaft: Die Welt fürchtet die Rückkehr von Sars

Wissenschaftler arbeiten fieberhaft, um bei einem erneuten Ausbruch der Lungenkrankheit gerüstet zu sein

Als sich Sars vor zehn Monaten von Südchina her ausbreitete, war die gefährliche Lungenerkrankung ein großes Rätsel. Niemand wusste, woher die Krankheit kam, wie sie übertragen wurde und warum an der Seuche einige starben, andere aber überlebten. Kein Wunder, dass jeder Angst hatte.

Wenn Sars jetzt wieder auftaucht - und damit rechnen Gesundheitsbehörden - werden Ärzte und Wissenschaftler neue, wertvolle Erkenntnisse über die Seuche und einige Strategien für ihre Bekämpfung haben. Die Weltgesundheitsorganisation WHO sagt, dass die mögliche Rückkehr des schweren akuten Atemwegssyndrom (auf englisch: Severe Acute Respiratory Syndrom oder Sars) eine der dringlichsten Herausforderungen für die weltweite Gesundheitspolitik ist.

Wenn man sich die Bilanz der Sars-Seuche im Frühjahr ansieht, verwundert das nicht. Im Laufe von rund vier Monaten erkrankten weltweit mehr als 7000 Menschen. 774 starben an Sars. Die Weltwirtschaft erlitt einen Schaden in Höhe von mindestens 30 Milliarden Dollar.

Immer noch gibt es keine sicheren diagnostischen Tests und keine Mittel gegen die Krankheit. Eine Katastrophe wäre es, wenn Sars mit seinen erkältungsähnlichen Symptomen während der Grippe-Saison aufträte. Das könnte zu einer unvorstellbaren Lage im Gesundheitswesen führen: Grippefälle könnten als Sars diagnostiziert oder – schlimmer noch – Sars-Fälle als Grippe eingestuft werden. Bereits jetzt durchzieht eine Grippewelle Europa, die USA und Teile Asiens.

Noch gibt es keine Anzeichen für die Rückkehr des Virus. Doch Wissenschaftler und Gesundheitsbehörden sind alarmiert. Sie durchkämmen chinesische Märkte für exotische Tiere auf der Suche nach Tierarten, bei denen die Krankheit noch virulent sein könnte. Sie wissen, dass sich der Virus langsamer ausbreitet als andere Krankheitserreger. Sie wissen auch, dass Erkrankte zehn Tage nach Ausbruch der Krankheit am ansteckendsten sind. Sie erweitern die Behandlungskapazitäten für Infektions-Krankheiten. Und so weit es die Mittel erlauben, errichten sie Frühwarnsysteme: in der Hoffnung, dass die Krankheit bei einem erneuten Ausbruch eingedämmt werden kann, bevor sie sich zu einer globalen Epidemie auswächst.

Wenn man wissen will, wann und wo Sars wieder auftreten könnte, muss man bei ihrem Ursprung ansetzen. Einer führenden Theorie zufolge ist das Virus von Wildtieren, die in China gehandelt werden, auf den Menschen übergesprungen. Doch die Forschungsarbeit erweist sich als frustrierend. China macht es den Wissenschaftlern nicht leicht, weil die Mittel knapp sind und die Kooperation lückenhaft ist. Zum anderen erschwert das Virus selbst die Forschungsarbeit. Der Sars-Erreger – der wegen seiner spitzen Krone Coronavirus genannt wird – führt die Wissenschaftler schnell in die Sackgasse, weil sich der Erreger in vielen Tierarten einnisten kann. Das macht es extrem schwer herauszufinden, ob etwa die Tibetkatze der ursprüngliche Wirt oder nur Zwischenträger für das Virus ist.

Die Bedrohung lauert an Orten wie dem weitläufigen Xinyuan-Markt in der südchinesischen Stadt Guangshou, die der Knotenpunkt des chinesischen Handels mit exotischen Tieren ist. Die Tiere werden oft durch einen Schlag mit der Eisenkeule auf den Kopf geschlachtet. Dabei fließt Blut in Strömen auf den Boden der Marktstände, in deren Nähe viele der Verkäufer mit ihren Familien leben.

Nach Meinung von chinesischen und internationalen Wissenschaftlern können sich Erreger unter diesen Bedingungen leichter vermehren, mutieren und von einer Spezie auf eine andere übertragen werden. Eine Zeitlang war der chinesische Staat kooperativ: Im April verbot die Regierung den Handel mit exotischen Tierarten. Doch das Verbot wurde im August teilweise wieder aufgehoben, um die Not zehntausender, arbeitslos gewordener Verkäufer und Restaurantmitarbeiter zu lindern. Die Regeln, die noch in Kraft sind, werden meist ignoriert. Falls Sars wieder auftaucht, hätten die Gesundheitspolitiker nach eigenen Angaben die Situation unter Kontrolle. Sie wüssten nun, dass sich das Virus nicht so leicht ausbreitet wie andere Erreger.

Das Sars-Virus kann durch einfache Mittel wie Atemschutzmasken, häufiges Händewaschen, Quarantäne und das Meiden von Menschenansammlungen sowie Vorsichtsmaßnahmen in Krankenhäusern in Schach gehalten werden. Anders als das Grippevirus, das sich in der Luft verteilt, verbreitet sich der Virus bei Sars nur durch Tröpfchen beim Husten oder Niesen. Da Tröpfchen schwerer als Luft sind, breiten sie sich schwächer als Grippeviren aus.

WHO-Mitarbeiter sehen deshalb gute Chancen, bei einem erneuten Auftreten von Sars die Ansteckungsgefahr ganz zu beseitigen. Wissenschaftler gewannen außerdem eine entscheidende Erkenntnis: Sie fanden heraus, dass die Konzentration des Virus im Gewerbe der Sars-Erkrankten zehn Tage nach Ausbruch der Krankheit am stärksten ist. Das heißt, dass Patienten erst einige Zeit nach den ersten Fiebersymptomen am ansteckendsten sind. Klar ist mittlerweile auch, dass die Krankenhäuser zu der Verbreitung von Sars wesentlich beitrugen. In Kanada haben sich in 78 Prozent der Fälle die Menschen das Virus im Krankenhaus geholt. Bessere Vorsichtsmaßnahmen werden hier die Ansteckungsgefahr künftig vermindern.

Noch immer aber fehlt ein schneller und sicherer diagnostischer Test. Die existierenden Verfahren führen häufig zu falschen Ergebnissen. Aus Angst vor Fehlalarm vermeiden die Gesundheitsbehörden mittlerweile den Einsatz dieser Tests. Mit Hochdruck arbeiten Wissenschaftler von Hongkong bis Atlanta an besseren diagnostischen Verfahren.

Und: Noch immer gibt es auch keine Behandlungsmöglichkeiten. Aber Ärzte wissen nun ein bisschen besser, welche Medikamente nichts bringen und welche sinnvoll sein könnten. Einige Hongkonger Ärzte denken, dass Aids-Medikamente wie Kaletra auch das Sars-Virus bekämpfen könnten. In Kanada haben Wissenschaftler ihre Forschung auf Interferon konzentriert. Kaletra wie auch Interferon wurden während der Sars-Epidemie bei einigen Patienten ausprobiert und gaben einigen Anlass für Hoffnungen. Ob die Intuition der Ärzte stimmt, lässt sich allerdings erst überprüfen, wenn es wieder neue Fälle der Lungenkrankheit gibt. Außerdem wächst die Hoffnung, dass früher als erwartet ein Impfstoff auf den Markt kommt. Pharmaunternehmen und staatliche Institutionen haben schon einige Impfstoffe entwickelt, in China ist ein klinischer Test in Vorbereitung. Doch selbst, wenn sich die Impfstoffe bewähren, werden sie wahrscheinlich nicht vor zwei Jahren allgemein erhältlich sein.

All die Forschung zum Verständnis und zur Bekämpfung von Sars hat jedoch auch neue Risiken hervorgerufen. Im August hat sich beispielsweise ein 27-jähriger Medizinstudent aus Singapur in einem Hochsicherheits-Labor mit dem Sars-Virus infiziert. Es war der erste offizielle Sars-Fall seit Juni. Und dieser Fall zeigt, wie die wissenschaftlichen Bemühungen um die Lungenkrankheit eine neue Brutstätte für das Virus geschaffen haben. Labor-Unfälle stellten nun ein „beträchtliches Risiko“ für den Ausbruch einer neuen Sars-Epidemie dar, heißt es bei der WHO.

A. Regalado[M. Pottinger], B. McKay

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