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Verkehrsminister Volker Wissing beim „Future Mobility Summit“ des Tagesspiegels.

© Steffen Junghans

Wissing zur Debatte um 9-Euro-Ticket: „Wenn es nach mir geht, haben wir das Nachfolgeticket zum 1. Januar“

Auf dem „Future-Mobility-Summit“ des Tagesspiegels spricht sich Verkehrsminister Wissing für die Fortführung des günstigen ÖPNV-Tickets aus. Er ist nicht der einzige.

Eine Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket hat am ersten Tag des Future Mobility Summit des Tagesspiegels eine zentrale Rolle gespielt. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprach sich für eine schnelle Anschlussregelung aus. „Wenn es nach mir geht, haben wir das Nachfolgeticket zum 1. Januar“, sagte er auf der Veranstaltung.

Die Menschen hätten das Ticket von Anfang an in ihr Herz geschlossen, der Begriff „Neunern“ habe sich unter Jugendlichen für seine Nutzung etabliert. Deutschland brauche dringend eine neue, digitale Tarifstruktur. Auch die „signifikante“ Verkehrsverlagerung und die Einsparung von 1,8 Millionen Tonnen CO2 „ohne, dass wir etwas verboten haben“, sprächen für eine Verlängerung des Tickets.

Der Ball liegt nun allerdings bei den Ländern: Nur, wenn diese wie der Bund ebenfalls 1,5 Milliarden Euro beisteuern, kann nach dem Willen der Regierungskoalition ein deutschlandweites ÖPNV-Ticket zum Preis von zwischen 49 und 69 Euro auf den Weg gebracht werden. Dieses wurde von Kritikern bereits als zu teuer moniert.

In Brandenburg ist die Infrastruktur das Problem

Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hält eine Konzentration auf den Preis für einen Nachfolger jedoch für zu kurz gedacht. In Brandenburg sei die Infrastruktur das Problem, sagte er beim Summit. „Was wir dringend brauchen, ist eine Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung für den Bereich der klimaneutralen Mobilität. Wenn man 20 Jahre braucht, um ein zweites Gleis zu bauen, blamieren wir uns in der ganzen Welt.“ Der Umstieg auf den ÖPNV funktioniere „überall da, wo es ÖPNV gibt“.

Auch Eva Kreienkamp, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), regte an, den Preis des Nachfolge-Tickets nicht in den Mittelpunkt zu stellen. Das komme ihr vor wie ein Würfelspiel. „Ausbau bedeutet, dahin zu gehen, wo Verkehr entsteht und dort öffentlichen Verkehr zu ermöglichen.“ Das bedeute zum Beispiel Sharing auf dem Land oder Mikromobilität, damit Menschen gut zum nächsten Bahnhof kommen. „Dann ist der Preis nicht mehr der allentscheidende Faktor.“

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (r.) im Gespräch mit Tagesspiegel-Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff.

© Steffen Junghans

Im ländlichen Raum seien die Menschen über lange Zeit dazu erzogen worden, ein Haus mit zwei Garagen zu bauen, die Pendlerpauschale zu nehmen und zwei Autos zu besitzen. „Wenn wir dort keine Infrastruktur haben, ist der Preis irrelevant.“

Wo liegen die Potentiale des ÖPNV?

Minister Wissing sieht im ländlichen Raum ebenfalls großes Potenzial für mehr ÖPNV-Nutzung. Die Sichtweise, wonach ein attraktiver ÖPNV nur den Städten nutzt, „entspricht der alten Welt“. So lasse sich mit dem eigenen Pkw auch nur der nächste Verkehrsknotenpunkt ansteuern, dann aber auf der Schiene mit einem attraktiven Deutschland-Ticket weiterfahren. „Wir brauchen ein Umdenken, mehr Kreativität und Vernetzung.“

Wie Kreienkamp wies Wissing darauf hin, dass das Neun-Euro-Ticket vielen Menschen Zugang zu Mobilität ermöglicht habe. Dem stimmte auch Christian Hochfeld zu, Direktor der Denkfabrik Agora Verkehrswende. Künftig sollte sich die Politik auf die konzentrieren, die das bitter nötig hätten.

Jarasch spricht von einem experimentellen Glücksfall

Berlins Verkehrssenatorin Bettina Jarasch bezeichnete das Neun-Euro-Ticket als experimentellen Glücksfall. „Es hat uns gezeigt, dass bezahlbare Mobilität eine Säule für die Verkehrswende ist, wenn es uns gelingt, sie dauerhaft anzubieten.“ Den Menschen müsse es ermöglicht werden, auf ihr eigenes Auto zu verzichten. „Die Mobilitätswende kann dafür sorgen, dass unsere Stadt mehr Flächen für Grün bietet, die wir nicht mehr für Parkplätze und Fahrspuren brauchen.“ In den letzten Jahren seien mit dem Mobilitätsgesetz und Planwerken die Grundlagen geschaffen worden.

Reisende warten am Hauptbahnhof am ersten Freitag nach dem letzten 9-Euro-Ticket-Wochenende auf ihren Zug.

© picture alliance/dpa

Jarasch sprach sich für eine Weiterentwicklung des Tickets aus. „Sinnvoll für die Region wäre ein gestuftes Modell: 29 Euro regional und 69 Euro bundesweit.“ Jedoch schränkt sie ein: „Es braucht zusätzlich die zugesagten Regionalisierungsmittel für den Ausbau, die der Bundesverkehrsminister bislang nicht zu geben bereit ist. Dann reden wir gerne über ein bezahlbares Ticket.“ Denn es gebe Strecken, die nicht für die Mehrbelastung durch ein bezahlbares Ticket ausgelegt seien.

Autoindustrie mahnt Weitblick an

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), mahnte, die langfristigen Themen nicht aus dem Blick zu verlieren. Zurzeit würden die „Hausaufgaben zum Erreichen der klimaneutralen Verkehrswende“ nicht engagiert genug angegangen. „Für viele Menschen wird Mobilität weniger bezahlbar.“

Die Hälfte der Arbeitsplätze hängen am Verbrenner.

Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA)

Der Bahn-Experte der Grünen im Deutschen Bundestag, Matthias Gastel MdB, sagte zum dritten Entlastungspaket: „Ich hätte mir weniger direkte Entlastung bei fossilen Energien gewünscht und mehr bei Energieeffizienz und beim Einsparen.“ Eine Lehre sei, dass das Ticket einfach werden müsse. Es gebe zu viele Tarifverbünde mit eigenen Spielregeln. „Das ist eine Zugangsbarriere zur verstärkten Nutzung von Bus und Bahn.“

Hildegard Müller mahnte, in der Krise den Weitblick zu behalten: „Die Absorption der aktuellen Krise führt dazu, dass die längerfristigen Aufgaben ins Stolpern gekommen sind.“ Die Automobilindustrie wolle trotz der Krisen 220 Milliarden Euro bis 2026 investieren, sagte Müller. „Gerade die deutsche Zuliefererindustrie steht vor einer großen Transformationsnotwendigkeit. Die Hälfte der Arbeitsplätze hängen am Verbrenner.“

Es bestehe aber die Gefahr, dass die gesamte Transformation gefährdet sei. In Richtung Politik mahnte sie: „Der Staat muss die Transformationsgeschwindigkeit aufbringen, die er von Wirtschaft fordert. Das ist leider zu oft nicht der Fall.“ Erforderlich seien schnellere Planung und Genehmigung.

Privilegien für Autos sollen bleiben

Minister Wissing machte deutlich, dass er nicht bereit ist, an den Privilegien für den Pkw zu rütteln. Die Dienstwagenbesteuerung etwa habe „die Funktion, den Absatz von Autos im Heimatmarkt zu erleichtern“. Die Arbeitsplätze in der Autoindustrie Industrie dürften nicht in Gefahr geraten. Zudem müsse Deutschland technologieoffen bleiben. Angesichts der aktuellen Forschungen dürfe keine Technologie von vornherein ausgeschlossen werden. Außerdem würden Autos in Deutschland vor allem auch für Auslandsmärkte produziert, in denen andere Gesetzesvorgaben gelten würden.

Die BVG-Chefin regte ein Netzwerk an: „Wir sollten bei der Transformation der Mobilität die verschiedenen Bausteine stärker miteinander vernetzen“, so Kreienkamp. Ein konkretes Beispiel nannte Hildegard Müller. „30 Prozent Emissionen kommen aus Nutzfahrzeugen. Wir sollten die Chancen nutzen, ein intelligenteres System aufzubauen – mit digitaler Infrastruktur, Logistikhubs vor Städten und Letzte-Meile-Konzepten. Doch das scheitert an der mangelnden Digitalisierung“, sagte sie an die Politik gerichtet.

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