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„Nebelwarnung“ von Winslow Homer, 1885.

© Bridgeman Images

Winslow Homer in London: Mensch, Meer, Freiheit

Emphatischer Realismus: Die Londoner National Gallery feiert den amerikanischen Maler Winslow Homer.

Ein Fischer, allein in seinem Ruderboot, im Heck ein erbeuteter Fisch, so groß, dass seine Schwanzflosse über den Bootsrand ragt. Der Fischer schaut seitwärts auf die am Horizont aufziehenden Wolken.

Er rudert, aber ein Ufer, auf das er zusteuert, ist nicht auszumachen. Dort, wohin er blickt, zieht in der Ferne ein Segelschiff vorüber. Ob der Fischer darauf seine Hoffnung richtet? Oder überhaupt richten muss?

Das Gemälde, ganz in dunklen, blaugrüngrauen und braunen Tönen, heißt „Die Nebelwarnung“, und wie so viele Bilder von Winslow Homer ist es in seiner Aussage uneindeutig, in jedem Falle aber beunruhigend. Homer, 1836 in Boston geboren und 1910 an seinem letzten Wohn- und Arbeitsort an der Küste von Maine verstorben, gilt als der amerikanische Maler schlechthin.

Im Kampf des Menschen mit der abweisenden und gefährlichen Natur erkannte sich die Nation in den Jahrzehnten, da der Kontinent von Ost nach West durchmessen und erobert wurde. Homer malte allerdings vorwiegend Seestücke.

Er konfrontierte einzelne Figuren mit der Wucht der an die Felsküste brandenden Wellen, er malte Seeleute in Ölzeug, die angestrengt dabei sind, ihre Position zu bestimmen, und eben den Fischer mit seinem Fang, eine Szene, die aussieht, wie von Hemingway beschrieben.

In Europa ist Winslow Homer nahezu unbekannt. Seine Bilder für eine Ausstellung auszuleihen, ist schon innerhalb der USA schwierig, so sehr sind sie in den kollektiven Bildervorrat eingegangen und zählen zu den Kostbarkeiten der jeweiligen Museen.

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Nun gibt es erstmals eine Übersicht in der Londoner National Gallery, gemeinsam erarbeitet mit dem Metropolitan Museum in New York, das eine der größten Homer-Sammlungen beherbergt. Für Europa zu entdecken gilt es einen Maler zwischen Realismus und Naturalismus, darin seinem älteren Zeitgenossen Adolph Menzel ähnlich.

Berühmt geworden ist Homer allerdings mit Bildern aus und nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, der an seinem Ende 1865 eine tief gespaltene Nation hinterließ.

Homers Bilder von Soldaten der Union wie der Konföderierten, die für keine Seite Partei ergreifen, trafen den Nerv des Publikums der euphemistisch so genannten „Rekonstruktionszeit“; vor allem aber der „Veteran in einem neuen Feld“, der, den Rücken zum Betrachter, ganz mit dem Einbringen der Ernte beschäftigt ist.

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Und Homer malte die aus der Sklaverei befreiten Afroamerikaner, deren Lage sich kaum verbessert hatte, wie die beiden unfrohen „Baumwollpflückerinnen“, und das im Jubiläumsjahr der USA 1876.

Homer hatte als Zeitungsillustrator im Bürgerkrieg begonnen. Zwar war die Fotografie bereits allgegenwärtig, doch noch konnte sie nicht im Druck reproduziert werden. Homer war als Malerei weitgehend Autodidakt.

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Doch schon bei seinen ersten Gemälden ab 1863 zeigt er eine verblüffende Sicherheit in Komposition und Farbgebung. Von Anfang an rühmte die Kritik an ihm das Amerikanische der Sujets, rügte indessen häufig das vermeintlich Rohe seiner Malweise.

Dem heutigen Auge scheinen seine Bilder ganz wirklichkeitsnah, weil die damals geschätzte Salonmalerei mit ihrer Detailbesessenheit in Vergessenheit geraten ist.

Homers Bilder hingegen sind monumental, ungeachtet ihres durchweg intimen Formats, weil sie ihr Sujet in einer Weise verdichten, die dem Betrachter kein Abschweifen in Nebensächliches erlaubt.

Spezialist für Schiffsunglücke

Bei einem längeren Aufenthalt an der nordenglischen Küste fand Homer sein Lebensthema des Kampfes mit den Gewalten der Natur, vorzugsweise des Meeres. Schiffsuntergänge waren damals an der Tagesordnung, Fischer beständig in Lebensgefahr.

Homer malte die Frauen und Mädchen des Ortes als starke, den Stürmen trotzende Personen, aufrecht am Strand, im Arm einen Korb, den Fang der anrudernden Männer aufzunehmen. Schiffbrüchige wurden mit neuartigem Gerät gerettet, Ertrinkende von starken Schwimmern geborgen.

Das allzu Erzählerische dieser Bilder hat Homer bald aufgegeben und sich allein den „Naturgewalten“ zugewandt, wie die Londoner Ausstellung treffend überschrieben ist.

Rückzug nach Maine

Im Leben des Künstlers kam es zu einer Zäsur, ebenso im Werk. Er zog nach Maine auf eine Halbinsel, wo er sich ein Atelierhaus bauen ließ, gerade einmal 75 Meter von der Felsküste entfernt. Vom umlaufenden Balkon aus beobachtet er unablässig die Gezeiten, die Wellen, die Stürme und den häufigen Nebel.

Es entstehen Bilder, in denen ein Einzelner klein vor den gewaltigen Elementen steht, und immer häufiger solche, in denen gar kein Mensch mehr vorkommt.

Einmal, in dem wie ein fotografischer Ausschnitt gesehenen „Nordoster“ von 1895, hat er die ursprünglich auf einem Felsvorsprung kauernden Menschen übermalt und das Bild ganz allein dem gischtenden Meer überlassen.

Homer verknappt seine Szenen am Meer oder auf einsamer Jagd in den Wäldern zu Aussagen über das menschliche Leben, mit dem tragischen Unterton eines am Ende scheiternden Heroismus. Homers Zeit ist auch die Epoche Darwins.

Im Winter fuhr Homer meist nach Florida und in die Karibik und aquarellierte, so vielfarbig und sonnenbeschienen, wie die überreiche Natur des Südens sich darbot.

Doch Homer idyllisiert nicht. Er sah die Schwarzen, die vom Schildkrötenfang lebten oder als Fischer genau derselben Natur ausgeliefert waren wie die Menschen im Norden. „Der Golfstrom“ heißt sein berühmtes Gemälde von 1899, das einen Afroamerikaner in einem im Ozean treibenden Boot zeigt, mit gebrochenem Mast, umgeben von lauernden Haien.

Was das Schicksal des Fischers sei, wollte das damalige Publikum vom Künstler erfahren. Er hat es nie erläutert, sondern auf den Bildtitel verwiesen, der „alles enthält“.

Winslow Homer lässt den Betrachter mit seinen Gedanken, seinem Unbehagen und seiner Angst allein, so allein wie die Personen auf seinen Bildern im Angesicht einer übermächtigen Natur.

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