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Wird Wladimir Putin an seinem Kurs festhalten?

© Andrei Gorshkov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

Militärexperte erwartet Ukraine-Aufteilung: „Putin hat sich komplett verkalkuliert mit dem Widerstand“

Der Militärexperte Carlo Masala wundert sich über Fehler des Kreml. Eine Ukraine-Besetzung sei unmöglich. Deutschland rät er zur Stärkung der Flugabwehr.

Carlo Masala ist Militärexperte und Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Im Interview mit dem Tagesspiegel sieht er erstaunliche Fehleinschätzungen auf russischer Seite, rät dringend von Kampfpflugzeugen für die Ukraine ab - und empfiehlt angesichts der neuen Zeiten für Deutschland Milliardenausgaben für eine bessere Ausrüstung der Soldaten und eine umfassende Flug- und Raketenabwehr.

Herr Masala, als wir am Tag des Kriegsbeginns zuletzt sprachen, sagten Sie, Putins Ziel sei ein Sturz der Regierung, aber keine Besetzung. Nun ist der Widerstand sehr groß, wie will Putin auch bei einem militärischen Sieg die Ukraine ohne Besetzung halten?
Das ist die entscheidende Frage. Russland hat mehr Verluste, auch materielle Verluste, als sie wohl einkalkuliert haben. Aber sie bewegen sich auf ihr militärisches Ziel zu. Aber das Problem fängt danach erst richtig an.

Es gibt die Gerüchte, dass es auf eine Dreiteilung der Ukraine hinauslaufen soll, also der Osten, der Raum Kiew und dann als drittes der Westen der Ukraine für sich gelassen. Die Russen werden nicht in der Lage sein, dieses ganze Land dauerhaft zu besetzen.

Dann wären sie irrsinnig. Da fehlt der Mitteleinsatz. Das zweite wäre, sie würden sich da sonst in einen endlosen Bürgerkrieg reinziehen lassen. Das macht alles keinen Sinn. Sie haben sich komplett verkalkuliert mit dem Widerstand, auf den sie treffen.

Die Ausgangsposition, unter denen sie diese Operation gestartet haben, war eine andere. Und dann stellen Sie fest, dass von diesen Voraussetzungen so ziemlich nichts eingetreten ist.

Wie kann man so daneben liegen?
Das ist halt die Frage, inwieweit dieses Regime jetzt ganz einfach blind ist. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Geheimdienst FSB Analysen gemacht hat, die dem Wunschdenken der politischen Führung entsprachen, aber nicht der Realität.

Dass im Prinzip Informationen aufgeschrieben wurden, die die Führung hören wollte und die Basis für die gesamte Kriegsplanung waren. Das ist eine Spekulation, die es gibt. Fakt ist, es gab keine realistischen Annahmen über das, was die Russen dort erwartet.

[Mehr zum Krieg: Wie weit sind die Soldaten? Aktuelle Karte der russischen Invasion in die Ukraine]

Der Militärexperte Carlo Masala lag mit vielen Prognosen zu den Plänen Putins richtig.
Der Militärexperte Carlo Masala lag mit vielen Prognosen zu den Plänen Putins richtig.

© Bundeswehr-Universität München

Die USA drängen Polen, einige ihrer Kampfflugzeuge der Ukraine zur Verfügung zu stellen und wollen dafür ihnen F-16-Kampfjets zur Verfügung zu stellen. Droht da nicht ein Überreizen?

Ich halte diese Idee für nicht besonders clever, weil sie in der Tat noch mal eine Eskalationsstufe für Putin darstellt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die Russen dann tatsächlich polnische Flugfelder bombardieren würden, weil sie sich dann im Krieg mit der NATO befinden.

Die Polen reagieren meines Erachtens ganz klug und sagen, dass sie da nicht dabei sind. Hinzu kommt folgendes: Wenn man jetzt der ukrainischen Armee Kampfflugzeuge oder Jagdbomber zu Verfügung stellt, ist doch die erste Frage, inwieweit die Jagdbomber wirklich in der Lage wären, das Geschehen dort zu verändern.

Es würde den Ukrainern sicherlich ermöglichen, im Luftkampf ein bisschen besser dazustehen, aber wir reden ja auch nicht von irrsinnig vielen Flugzeugen. Aber es wird kein Gamechanger sein.

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Für wie gefährlich halten Sie Putins Drohung, auch Nuklearwaffen einzusetzen, dass es durch eine Fehleinschätzung oder Provokation zu einem Kriegseintritt der Nato-Staaten kommt?
Eine Fehleinschätzung ist immer ein Problem. Aber da muss Putin schon mit dem Rücken zur Wand stehen und das sehe ich momentan nicht. Das finde ich sehr spekulativ.

Ein ukrainischer Soldat vor einer zerstörten Brücke in der Stadt Irpin.
Ein ukrainischer Soldat vor einer zerstörten Brücke in der Stadt Irpin.

© Dimitar Dilkoff/AFP

Sie hatten zu Kriegsbeginn gesagt, Russland fürchte die westlichen Sanktionen nicht, die seien schon eingepreist. Nun scheint der Kreml überrascht, spricht von einer Kriegserklärung…
Die Sanktionen sind eingepreist gewesen. Nur die Intensität und Massivität, mit der sie jetzt verhängt werden, das glaube ich, war den Russen nicht klar.

Mehr zum Krieg in der Ukraine bei Tagesspiegel Plus:

Jetzt könnte es auch noch einen Öl- und Gasboykott geben, um Putins Kriegskasse nicht weiter mit diesen Milliarden zu füllen.
Ich bin kein Wirtschaftsexperte. Die Frage ist aber, worauf zielt das alles ab? Darauf, dass Putin seine Strategie verändert? Das halte ich für wenig wahrscheinlich. Dazu hat er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und es gibt bisher keinen gesichtswahrenden Ausweg für ihn.

Oder zielt es darauf ab, dass es in seinem engsten Kreis oder bei der Bevölkerung so viel Widerstand gibt, dass er abtreten muss? Bevor das passiert, würde es sehr viel Gewalt in Russland geben.

Aber eine Palastrevolte sehe ich bisher nicht. Und wenn die Bevölkerung größeren Widerstand leistet, werden wir durch eine Phase gehen, in der die Repression in Russland nochmal wesentlich zunimmt, das wäre eine Katastrophe.

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Auch Deutschland setzt nun auf eine stärkere Bundeswehr, um sich für sehr schwierige Zeiten zu wappnen. Was würden Sie mit den geplanten 100 Milliarden Sondervermögen machen?
Ich würde zwei Pakete schnüren. Das eine Paket wäre eine bessere persönliche Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten, Nachtsichtgeräte, Plattenträger, Uniformen, warme Jacken und so weiter. Da dies direkt bei der Truppe ankommt, würde dies zeigen, es geht um sie, um ihre Moral zu stärken. Sie müssen sofort spüren, dass Geld fließt.

Und das zweite Paket, das wäre Großgerät. Da geht es um die Tornado-Nachfolge. Da geht es um Patriot-Systeme und da geht es um Flugabwehr im Nahbereich.

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