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Eine Million Hektar Ackerland hat Brandenburg. Getreide wird auf der Hälfte davon angebaut. Die Preise schwanken stark.

© Patrick Pleul/dpa

Eine Frage der Ähre: Wie Start-ups den Getreide-Handel in Brandenburg digitalisieren

Die Landwirtschaft ist eher konservativ geprägt. Die Digitalisierung geht langsam voran. Doch mehrere Start-ups in der Region wollen das ändern.

Auf den brandenburgischen Feldern ist die Aussaat des Sommergetreides abgeschlossen. „März nicht zu trocken und nass, füllt dem Bauern Scheune und Fass“, weiß die Bauernregel. Ob sich jedoch auch die Geldbörse des Bauern füllt, entscheidet sich erst nach der Ernte im Spätsommer. 

Der Getreidehandel ist einer der wenigen Wirtschaftsbereiche, in denen die Digitalisierung bisher kaum angekommen ist. Zwei Berliner Unternehmen wollen das ändern – und verfolgen dabei sehr unterschiedliche Ansätze.

Das Land Brandenburg verfügt laut Amt für Statistik über rund eine Million Hektar Ackerland. Getreide wird auf etwa der Hälfte davon angebaut und macht den größten Teil der Ernteerträge aus. Im Jahr 2019 ernteten die Brandenburger Landwirte insgesamt 2,4 Millionen Tonnen Getreide. Zum Vergleich: Auf dem zweiten Platz liegt Gemüse mit nur 111 187 Tonnen.

Die Erzeugerpreise sind einerseits Schwankungen des Weltmarkts unterworfen. Doch welche Preise die Bauern am Ende tatsächlich erhalten, hängt auch sehr stark von den Händlern am Ort ab. „In manchen Regionen ist der Landhandel so stark konsolidiert, dass es kaum Wahlmöglichkeiten gibt”, sagt Michel Kade. Mit seinem Start-up Agrora möchte der 30-jährige Gründer den Landwirten ermöglichen, mit mehr potenziellen Abnehmern ins Geschäft zu kommen. Außerdem organisiert und beaufsichtigt Agrora den Transport der Ware.

Kernstück des Geschäftsmodells ist eine Online-Plattform, die der Öko-Agrarmanager Kade als „Hybrid aus einem Getreidemakler und einer Spedition für landwirtschaftliche Rohstoffe“ beschreibt. Potenzielle Käufer und Verkäufer könnten Inserate einstellen und direkt miteinander ins Geschäft kommen. Das Angebot umfasse drei Bereiche: Anbahnung, Abschluss und Abwicklung.

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Das Konzept klingt nach bekannten Plattformen wie Ebay oder Amazon. Doch ganz so einfach sei es nicht, sagt Kade. „Ein Paar Hosen kann man zum Beispiel online verkaufen und deutschlandweit zum selben Preis verschicken, Agrarrohstoffe sind hingegen sehr frachtempfindlich. Daher steigen die Kosten mit längeren Transportdistanzen.“ Die Software mache die Abläufe transparent, indem sie alle anfallenden Kosten inklusive Transport berechne.

Wer auf Agrora handeln möchte, muss unter Umständen sogenannte QS-Zertifikate hochladen. Damit weisen die Unternehmen die Einhaltungen bestimmter Qualitäts- und Sicherheitsstandards nach, die für die Produktion von Lebensmitteln oder Futter gelten. Landwirtschaftliche Betriebe können auch eine spezielle Qualitätsvereinbarung unterzeichnen. Neben der Transparenz sollen die digitalen Ein- und Verkaufsprozesse auch Arbeitserleichterungen bringen.

Förderung vom Bundeswirtschaftsministerium

Die ursprüngliche Software habe er im Rahmen seiner Masterarbeit entwickelt, sagt Kade. Während des Studiums arbeitete er bereits im Getreidehandel. Gemeinsam mit dem Juristen Hauke Jaeschke und dem Programmierer Torben Köhn sei die Plattform dann noch einmal neu aufgesetzt worden und Anfang 2020 an den Start gegangen.

Durch die Förderung mit dem Exist-Stipendium des Bundes gab es ein Gründungskapital. Doch inzwischen trage sich das Start-up selbst. Agrora verlangt eine Provision für jede über die Plattform gehandelte Tonne.

Die Agrora-Gründer Hauke Jaeschke, Michel Kade und Torben Köhn (v. l.) wollen helfen, den Strukturwandel zu meistern.

© Sebastian Gotthardt / Agrora

Aktuell seien etwa 120 Betriebe angemeldet, sagt Kade. Das entspreche einem Verkäuferpotenzial von mehreren Hunderttausend Tonnen und einem Käuferpotential von bis zu fünf Millionen Tonnen. Das Unternehmen sei im vergangenen Jahr gewachsen, vor allem „entlang der A2“, die das Ruhrgebiet mit dem Berliner Ring verbindet. Einzugsgebiet sei zurzeit vorrangig Norddeutschland. Inzwischen sind auch Betriebe aus dem Süden Brandenburgs auf Agrora aktiv.

Doch Michel Kade und seine Partner sind nicht die einzigen, die in das noch relativ junge Marktsegment des digitalen Getreidehandels drängen.

Ein Mitbewerber ist zum Beispiel Agrimand aus dem brandenburgischen Birkenwerder. Auch auf dessen Plattform können Landwirte am Smartphone oder am PC handeln, Ausschreibungen anlegen und sich über Preisveränderungen informieren lassen. Und es gibt noch weitere Start-ups wie House of Crops aus Berlin, Cropspot aus Hamburg oder Unamera aus dem sächsischen Lichtentanne.

Digitalisierung der Landwirtschaft geht langsam voran

Diese jungen Unternehmen gehören zum wachsenden Marktsegment AgTech. Die Abkürzung von „Agricultural Technology“ bezeichnet in der Start-up-Szene verschiedene Ansätze für eine datengetriebene und vernetzte Landwirtschaft der Zukunft. Doch während andere Branchen wie etwa der Einzelhandel oder das Speditionswesen bereits vor vielen Jahren von neuen Technologien erschüttert wurden, ist eine solche Disruption, wie das im Jargon heißt, in der Landwirtschaft bisher ausgeblieben. Ändert sich das jetzt?

Der Berliner Getreidemakler Andreas Kretzschmar ist eher skeptisch. „Die Landwirtschaft ist eine sehr konservative Branche“, sagt er. Wer aus der Start-up-Szene komme, könne die wirklichen Herausforderungen nur schwer einschätzen. Kretzschmar ist seit fast 30 Jahren im Getreidehandel tätig, wie er sagt.

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Daher wisse er, dass die Digitalisierung hier nur sehr langsam vorangehe. Dennoch sei seit einigen Jahren ein Trend erkennbar: Wenn jüngere Leute Betriebe übernehmen, hätten die häufig mehr Interesse an digitaler Technologie.

Deshalb hat Kretzschmar gemeinsam mit dem sächsischen Agrarhändler Oliver Schmitt Agrarconnect gegründet, die bereits seit fünf Jahren online ist. Sie sagen, sie seien die ersten gewesen damals. „Die Idee ist 2014 entstanden“, sagt Kretzschmar. „Damals gab es noch keinen Wettbewerb.“ Auch auf Agrarconnect können Landwirte und Getreidehändler im Internet zueinander finden, um Geschäfte zu machen.

Im Gegensatz zu Agrora ist es aber nicht möglich, direkt online einen Vertrag abzuschließen. Dafür sei die Zeit noch nicht reif, glaubt Kretzschmar. Denn die wichtigste Ressource lasse sich nicht so einfach digitalisieren: „Das höchste Gut, das wir in der Branche haben, ist das gesprochene Wort.“

Vertrauen ist die Grundlage

Im Getreidehandel seien Geschäftsabschlüsse traditionell per Handschlag geschlossen worden. Heute kämen die Verträge am Telefon zustande. Danach verschicke man zwar auch noch Schriftstücke und unterschreibe, aber das sei nach Ansicht der Beteiligten in der Regel doch eher eine Formsache.

Wer auf diese Weise Geschäfte mache, brauche Vertrauen, sagt auch Oliver Schmitt. Daher sei es nachvollziehbar, dass Landwirte generell skeptisch seien, wenn neue Partner auftauchen. Schließlich sei das Risiko erheblich. „Der Ackerbauer hegt das ganze Jahr über seine Pflanzen, aber vermarkten kann er die Früchte nur einmal im Jahr.“ Da müsse sicher sein, dass am Ende auch das versprochene Geld ankomme. Aus diesem Grund möchte Agrarconnect lediglich den Kontakt herstellen.

Inserate sind auf der Plattform auch anonym möglich. Aktuell sucht zum Beispiel ein Unternehmen deutschlandweit 200 Tonnen Raps und bietet dafür 523 Euro pro Tonne. Ende August 2020 erhielten Bauern in Deutschland laut Erntebericht des Bundeslandwirtschaftministeriums im Durchschnitt 361 Euro pro Tonne. Wer jetzt noch so viel Raps auf Lager hat, könnte also womöglich ein gutes Geschäft machen. Über Agrarconnect werden aber neben den Rohstoffen auch Pflanzenschutzmittel, Maschinen oder Diesel gehandelt, sogar Stellenausschreibungen sind hier möglich.

Doch um wirklich relevant zu werden, müsse die Plattform noch mehr Betriebe anziehen, sagt Kretzschmar. „Uns mangelt es noch an der kritischen Masse.“ Eigentlich sei der volle Zugang an eine kostenpflichtige Mitgliedschaft gebunden. Doch momentan sei das Angebot noch kostenlos. Kretzschmar sagt, er sei überzeugt, dass die Vorteile des digitalen Handels am Ende auch von zurückhaltenden Landwirten erkannt werden. Man muss ihnen nur Zeit dazu lassen.

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