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Heiner Koch ist seit 2016 Berliner Erzbischof.

© Jens Kalaene/dpa

Berliner Erzbischof zu Missbrauch in der Kirche: „Die Rücktrittsfrage lässt mich nicht los“

Anfang des Jahres wurde ein Gutachten zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche veröffentlicht. Berlins Erzbischof Heiner Koch spricht über die Lehren.

Seit Anfang des Jahres beschäftigt vor allem ein Thema das katholische Erzbistum Berlin, zu dem auch weite Teile Brandenburgs sowie Vorpommern gehören: Der Umgang mit dem Gutachten zu Fällen von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester und Ordensleute. Erzbischof Heiner Koch - 67, geboren in Düsseldorf und promovierter Theologe, seit 2016 Erzbischof von Berlin - bezieht nun Stellung.

Erzbischof Koch, haben Sie in der Zeit nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens für das Erzbistum Berlin über Ihren Rücktritt nachgedacht?
Ich habe mir diese Frage gestellt; auch, aber nicht nur in Zusammenhang mit dem Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx. Ich habe vor solchen Überlegungen und einem solchen Schritt einen hohen Respekt. Bislang war für mich die Antwort aber immer: Du arbeitest mit Deinen ganzen Kräften daran, dass der Missbrauch im Erzbistum Berlin aufgearbeitet wird und es mit der Prävention hier vorwärts geht. Ich muss aber sagen, dass mich diese Frage nicht loslässt.

In Chile hat einmal die ganze Bischofskonferenz dem Papst den Rücktritt angeboten. Sollten das Deutschlands katholische Bischöfe auch tun?
Ich habe das damals als Zeichen verstanden. Ich hätte gern über die persönlichen Entscheidungen, die jetzt für die einzelnen Bischöfe anstehen, auch einmal in der Gemeinschaft der Bischöfe gesprochen. Ich glaube aber, dass es unter Deutschlands Bischöfen unterschiedliche Positionen in der Frage gibt, was jetzt zu tun ist. Da ist es ehrlicher, wenn jeder für sich eine Entscheidung trifft, wie es weitergeht.

Was haben Sie aus dem Gutachten gelernt?
Ich habe viel gelernt, vor allem aus den abgeschlossenen Fällen, weil mir die bislang unbekannt waren. Ich habe vieles darüber gelernt, wie unterschiedlich Sichtweisen sein können. Vor allem aber habe ich gelernt: Der Missbrauch muss im Gespräch bleiben. Das Thema darf nicht weggestellt oder verschwiegen werden. Er muss in unserem Erzbistum ein Thema bleiben, um der Betroffenen willen, um der Prävention willen, aber auch um der Ehrlichkeit und Transparenz innerhalb und außerhalb der Kirche willen.

Wie bewerten Sie im Rückblick Ihr eigenes Handeln als Erzbischof?
Ich bemühe mich, zu handeln, so gut ich kann. Ich sehe aber, dass ich an meine Grenzen komme. Ich bin froh, dass ich für mein Handeln ein ganzes Team von Fachleuten für Hilfsangebote, Prävention und Intervention, aber auch in juristischen Fragen an der Seite habe. Die Missbrauchs- und Interventionsbeauftragten, vor allem aber die Begegnungen mit den Betroffenen sind für mich von enormer Bedeutung, denn als Erzbischof habe ich immer nur eine eingeschränkte Perspektive.

Was muss aus Ihrer Sicht im Erzbistum als Nächstes passieren?
Ich halte es für wichtig, dass wir mit dem Gutachten weiter arbeiten. Ich bitte Betroffene weiterhin, sich zu melden, uns ihre Perspektive zu schildern, um ihrer selbst, aber auch um der Aufarbeitung willen. Wir müssen aus dem Gutachten aber auch personelle Konsequenzen ziehen.

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Wir haben Kirchenrechtler gebeten, uns da zu beraten. Wir werden Arbeitsabläufe verändern, von der Aktenführung im Erzbistum bis zur Kommunikation. Wir werden die Prävention ausbauen. Und wir werden das Thema im Gespräch halten. Es macht mir große Sorgen, wenn ich höre, dass man in den Gemeinden oft nicht darüber redet, weil es natürlich ein belastendes Thema ist. Das Thema darf nicht wieder in der Tabuzone landen.

Sollte jeder Pfarrgemeinderat grundsätzlich einmal über das Gutachten sprechen?
Mit dem Thema soll sich in der Tat jeder Pfarrgemeinderat beschäftigen, es muss Gesprächsthema bleiben. Wenn wir jetzt neue, größere Pfarreien gründen, muss in der Präventionsordnung der Pfarrei klargestellt werden, wer der Ansprechpartner bei einem Verdachtsfall ist und wie man dann vor Ort vorgeht. Es geht auch um eine Sinnesschärfung: Wir müssen achtsam sein, auch dort, wo manches nach außen vielleicht gut scheint, aber innen nicht in Ordnung ist. Ein verändertes Handeln setzt immer auch eine veränderte Haltung voraus.

Muss die Kirche stärker auf die Menschen von heute zugehen?
Ja, auf jeden Fall. Wahrheitserkenntnis und Glaubenserkenntnis geschieht auch dadurch, dass wir mit Menschen sprechen, die gar nicht bei uns sind. Die ihre eigene Erfahrungen beim Thema Sexualität haben. Deutlich wird das besonders bei der Frage der Homosexualität ...

Da gab es ja vor kurzem eine Aktion von Priestern, die gleichgeschlechtliche Paare gesegnet haben. Haben Sie sich darüber geärgert, gefreut oder mitgemacht?
Bei dieser Aktion geraten zwei Aspekte in Widerstreit: Das Eine ist der Wert des Menschen. Gott ist für alle Menschen da, egal wie ihre Situation ist, und geht mit ihnen mit. Gott ist da. Das Andere ist der besondere Schutz der Ehe. Diese beiden Punkte lassen sich aus katholischer Sicht nicht völlig auflösen. Ich habe es allerdings nicht gut gefunden, dass aus den Segnungen eine politische Aktion wurde. Ein Segen ist eine persönliche Angelegenheit, die ich nicht verzwecken würde.

Wenn ein Paar bei Ihnen persönlich um den Segen bitten würde, würden Sie sie segnen?
Ich würde das nicht öffentlich tun. Ich würde mit dem Paar einen ganz persönlichen Weg gehen und auf sie hören. Wichtig ist es dabei für mich , dass ich als Bischof auch in Loyalität zum Heiligen Vater in Rom stehe.

Zurück zum Gutachten. Darin gibt es ja eine Reihe sehr konkreter Vorschläge, was sich ändern soll. Etwa, dass die Struktur des Erzbistums verändert werden soll. Was ist im fünften Monat nach Vorstellung des Gutachtens geschehen?
Mit der Veröffentlichung der einzelnen Fälle sind alle eingeladen, eine Rückmeldung zu geben. Bislang hat die so genannte „Gutachten-Kommission“ sich die Fälle genau angesehen und erste Empfehlungen und Einschätzungen zurückgemeldet, was davon für unser Erzbistum besonders wichtig ist.

Aber die Kommission hat gerade ihre Arbeit auf „ruhend“ gestellt ...
Wir sind bereits für August verabredet, um gemeinsam zu überlegen, wie die Kommission ihre Arbeitsweise verändern möchte, sie hat sich keinesfalls aufgelöst.

Und was ist seit Januar schon passiert?
Es geht generell darum, wie es der Diözesanrat auch formuliert: „Was können wir tun, damit Kinder und Jugendliche sich in der Kirche sicher fühlen?“: Katechese geschieht immer im Team, sodass nicht eine Person alleine mit den Kindern ist. Wir überlegen, welche Rolle das Thema Sexualität in der Vorbereitung der Firmung spielen soll. Die Aktenführung und die Kommunikation in Verwaltung und Personalabteilung wird verbessert; es dürfen keine Dokumente mehr verloren gehen. Wir haben zudem einen ohnehin anstehenden Wechsel genutzt, die Leitung der Personalabteilung mit einem erfahrenen Laien zu besetzen, auch das greift eine Empfehlung aus dem Gutachten auf. Und wir arbeiten stärker als bisher mit Gremien wie dem Diözesanrat zusammen: Denn wir können nur Fortschritte machen, wenn sich möglichst viele im Erzbistum daran beteiligen. Es geht um Vertrauen und ein Miteinander. Aber der Missbrauch wird uns noch lange begleiten – und genau deswegen entwickeln wir alle Maßnahmen weiter.

Und wie geht das Erzbistum Berlin künftig mit den Betroffenen um?
Zunächst einmal biete ich weiterhin allen Betroffenen ein persönliches Gespräch an, etwas mehr als die Hälfte durfte ich bereits mit ihrer Leidensgeschichte kennenlernen. Mit manchen habe ich auch schon mehrfach gesprochen. Ich mache das auch, weil ich ganz persönlich daraus viel lernen kann. Dann gibt es den Betroffenenbeirat, den wir gemeinsam mit den Bistümern Dresden-Meißen, Görlitz und der Katholischen Militärseelsorge gründen. Mitglieder des Betroffenenbeirats werden in der unabhängigen Aufarbeitungskommission mitwirken. Ich ermutige Betroffene, die Anerkennungsleistungen für erlittenes Unrecht und Leid zu stellen. Gern würde ich auch Betroffenen die Möglichkeit geben, zu einem Austausch zusammenzukommen, ich weiß aber noch nicht, wie man das machen soll. Letztlich wollen wir, dass es Kindern und Jugendlichen in unserem Erzbistum künftig nicht mehr so ergeht, wie den Überlebenden des Missbrauchs.

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