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Ein Luftfiltergerät steht in einem Klassenzimmer, eine Ausnahme in Deutschland.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Droht im Herbst die nächste Bildungskrise?: Schulen bekommen zu wenig Luftfilter für sicheren Unterricht

Viele Sonntagsreden, kaum Ertrag: An Deutschlands Schulen fehlen weiter Luftfilter - daher rücken zwei andere Optionen in den Fokus, Schulen offen zu halten.

Trotz der Ausbreitung der Delta-Variante werden Deutschlands Schulen mit zu wenigen Luftfiltern in den Unterricht nach den Sommerferien gehen. „Der Umsetzungsstand nach den Sommerferien – bezogen auf den Neueinbau - lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nicht belastbar abschätzen“, heißt es in einer Antwort des Bundeswirtschafsministeriums an Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, die dem Tagesspiegel vorliegt.

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Der Grund sei, dass das novellierte Förderprogramm erst zum 11. Juni 2021 in Kraft getreten sei. Und je nachdem, ob ein Neueinbau dezentraler Anlagen für Klassenzimmer oder zentraler Anlagen für das gesamte Schulgebäude geplant sei, gebe es unterschiedliche Kosten und Umsetzungszeiten.

Bis zum 1. Juli waren laut Bundeswirtschaftsministerium 176 Anträge für den Neueinbau gemäß des neuen Programms eingegangen, bisher wurden 84 Zusagen mit einem Volumen von rund 21 Millionen Euro verschickt.

Allerdings fordern Wissenschaftler seit einem Jahr hier eine Offensive. Die Länder kritisieren, dass der Bund zu spät ein 500 Millionen Euro umfassendes Förderprogramm aufgelegt habe. Der Bund wiederum sagt, man geben Geld, für die Umsetzung seien aber Länder und Kommunen zuständig.

Eigentlich sollten vor allem für Schülerinnen und Schüler unter 12 Jahre, die nicht geimpft werden können Klassenräume mit ausreichend Luftfiltern angeboten werden, um die Aerosollast zu mindern, über die das Coronavirus übertragen werden kann.  

Opposition befürchtet neue Bildungs- und Betreuungskrise nach den Ferien

Dass die Bundesregierung weder eine klare Aussage noch ein Versprechen hinbekommt, ob ihr Luftfilter-Förderprogramm bis zum Schulstart nach den Ferien eine Wirkung zeigt, ist erschütternd und macht mich fassungslos“, sagte Göring-Eckardt dem Tagesspiegel. Es gebe viele Sonntagsreden der Minister.

„Wenn es aber darum geht, in dieser anhaltenden Ausnahmesituation bei Kitas und Schulen endlich vorausschauend und engagiert zu handeln, wird wieder abgetaucht, verbummelt und die Verantwortung auf Länder und Kommunen abgeschoben.“ So dürfe das nicht weitergehen, „sonst heißt das für den Herbst erneut Bildungs- und Betreuungskrise mit Ansage.“ Kinder, Jugendliche und Familien müssten endlich in den Mittelpunkt der Politik. Es brauche neben mehr Luftfiltern auch mehr proaktive Impfangebote für Eltern, pädagogisches Personal und impfwillige Jugendliche.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Goering-Eckardt sieht ein Versagen der Bundesregierung.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Goering-Eckardt sieht ein Versagen der Bundesregierung.

© imago images/Political-Moments

Söder fordert Stiko zu Impfempfehlung für Schüler auf

Nach dem Willen der Kultusministerinnen und -minister der Länder sollen Schulkinder aller Jahrgangsstufen nach den Sommerferien ungeachtet der Warnungen vor einer Ausbreitung der hoch ansteckenden Delta-Variante möglichst in voller Gruppenstärke und in ihren Klassenzimmern unterrichtet werden. Aber in einer Umfrage von Tagesspiegel Background zu „Vorkehrungen zur Sicherstellung des Präsenzunterrichts an Schulen“ herrscht über den Stand der praktischen Vorbereitungen, etwa was den Einbau von Luftfilteranlagen betrifft – mit Ausnahme des Landes Bremen – landauf, landab frappierende Ahnungslosigkeit. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) droht notfalls bayerischen Kommunen als Schulträger mit einer Landesanweisung. „Wir haben fast 100.000 Klassenzimmer und Übungsräume, aber die Kommunen haben nur 14.000 Filteranlagen angeschafft oder bestellt. Das reicht nicht", kritisierte er.

Lauterbach: Ohne Filter und mehr Impfungen helfen nur Massentests

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach konstatierte: „Zu Schulbeginn wird es wieder keine Luftfilter geben“. Da auch die Ständige Impfkommission (Stiko) „wohl leider keine Empfehlung“ für eine Impfung von 12- bis 18-Jährigen machen werde, blieben nur regelmäßige Corona-PCR-Tests ganzer Klassen und strenge Quarantäneregeln – auch Virologen schlagen regelmäßige Gugel- und Lollitests vor, um so den Schulbetrieb zu sichern.

Bayers Ministerpräsident Markus Söder (CSU) meinte: die Stiko solle dringend überlegen, „wann sie das Impfen von Jugendlichen empfiehlt“. Damit werde der Schutz für alle erhöht. „Und wir geben einer Generation, die auf viel verzichten musste, wieder Freiheiten zurück.“ Das wirksamste Mittel gegen die Delta-Variante sei die Schülerimpfung.

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Aus Sicht Bayerns sei Präsenzunterricht die „effektivste Art des Lernens“; man orientiere sich bei der Planung des neuen Schuljahrs an den Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Diese hatte vor zwei Wochen in ihrer Rolle als Politikberaterin der Bundesregierung in einer Ad-hoc-Stellungnahme Maßnahmen zur Sicherstellung des Regelunterrichts angemahnt.

Zur Begründung hatte die Leopoldina auf psychische wie physische Schäden von Kindern und Jugendlichen infolge einer Bildungspolitik verwiesen, der in eineinhalb Jahren Pandemie – abgesehen vom Verbannen der Kinder ins Home-Schooling unter der irrigen Annahme, diese könnten sich Wissen und Sozialverhalten quasi im Selbststudium aneignen – vielerorts wenig Phantasievolles eingefallen war, um den vielfältigen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen auch nur annähernd gerecht zu werden.

Ohrfeige für die bisherige Schulpolitik in der Pandemie

Diese Ohrfeige hat bei den für die Bildungspolitik Verantwortlichen offenbar Wirkung gezeigt: Die alleinige Orientierung an den Infektionszahlen, schreiben übereinstimmend die auf die Tagesspiegel-Umfrage antwortenden Kultusministerien aus Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt, dürfe angesichts steigender Impfquoten und eines damit einhergehenden Schutzes insbesondere der vulnerablen Gruppen mit Beginn des neuen Schuljahrs jedenfalls nicht länger ausschließlicher Indikator dafür sein, ob Schulen öffnen oder schließen müssten.

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„Bei aller gebotenen Vorsicht halte ich es nicht für angebracht, Ängste zu schüren – zumal gerade Menschen mit einem erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zum neuen Schuljahr weitestgehend geimpft sein werden“, sagt etwa die Bildungsministerin des Saarlands, Christine Streichert-Clivot (SPD), Tagesspiegel Background.

Die Zahl der Infizierten liefere „dann kein vernünftiges Lagebild“ mehr. „Da müssen wir uns auch andere Kriterien anschauen, die Aufschluss über die Belastung unseres Gesundheitssystems geben.“

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