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In der Bundesliga landete Turbine die vergangenen beiden Spielzeiten auf Rang vier.

© imago images/Jan Huebner

Streit vor der Mitgliederversammlung bei Turbine Potsdam: Rolf Kutzmutz und Tabea Kemme kämpfen um das Präsidentenamt

Ex-Nationalspielerin Kemme will Turbine als Präsidentin zu alter Stärke führen. Doch von Seiten der Vereinsspitze hagelt es Kritik, die Stimmung ist gereizt.

547 Stimmen. So viel hat Tabea Kemme bekommen, als vor wenigen Wochen zum 50. Geburtstag des 1. FFC Turbine Potsdam das beste Team des vergangenen halben Jahrhunderts gewählt wurde. Nur Anja Mittag (649) und Nadine Angerer (570) standen in der Gunst der Fans noch höher.

Trainerlegende Bernd Schröder, der 40 Jahre mit fester Hand und lauter Stimme Turbine mehrfach zur deutschen Meisterschaft und zweimal auf den europäischen Champions-League-Thron führte, hatte eine Vorauswahl unter den vielen Spielerinnen seiner Ära getroffen.

Am 18. Juni will der einstige Fan-Liebling wieder möglichst viele Stimmen sammeln: Die 29-jährige Ex-Nationalspielerin kandidiert für das Präsidentenamt des Bundesligisten. Schröder, ihr einstiger Mentor, hat sie diesmal nicht hinter sich. Vielmehr erkenne er sie nur schwer wieder, raunt der Turbine-Veteran. Kemmes Kandidatur hat einiges aufgerüttelt bei Turbine.

Reichlich Klischees ließen sich bedienen, um zu beschreiben, was seit Kemmes Ankündigung, gegen den amtierenden Turbine-Chef Rolf Kutzmutz anzutreten, geschrieben, gesagt, gestritten wurde: Junge Frau gegen alten Mann, West gegen Ost, unerfahrener Ehrgeizling gegen einstigen Politprofi, die „blonde Tabi“ gegen den „roten Rolf“, wie der frühere Bundestagsabgeordnete der Linken während seiner politischen Laufbahn genannt wurde. Doch das wäre zu oberflächlich und würde beiden Protagonist*innen nicht gerecht werden.

"Ich werde als Person angegriffen"

Kemmes Kandidatur fällt in eine Zeit, in der die Stimmen von Frauen im deutschen Fußball lauter und energischer werden und diese mehr Mitsprache in den obersten Gremien fordern. Doch auf Funktionärsebene tat sich Deutschland von Beginn an schwer mit Frauenfußball.

Erst 1982 – viele Jahre nach anderen Ländern – gründete der Deutsche Fußball-Bund (DFB) überhaupt erst die Frauen-Nationalmannschaft. Während die Bilanz sportlich mit zwei WM- und acht EM-Titeln sowie Olympiagold 2016 schnell Glanz bekam, zögern Verbände und Vereine immer noch, Frauen in den Führungsgremien zu akzeptieren.

„Meine Inhalte können noch so gut sein, trotzdem werde ich immer wieder als Person angegriffen“, sagt Kemme. Unter der Überschrift „Fußball kann mehr“ fordern derzeit bekannte Spielerinnen wie Almuth Schult oder Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb in einem Positionspapier eine Frauenquote von 30 Prozent in den Spitzengremien des DFB sowie mehr Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten von Vereinen.

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Dass dies offenbar auf wenig Gegenliebe stößt, scheint auch Tabea Kemme zu erfahren. „Da werden die Türen von innen zugehalten,“ monierte sie jüngst im „Kicker“, dass sich wenig mit ihrem Konzept beschäftigt wird, sondern sie für das Präsidentenamt pauschal als zu jung und zu unerfahren diskreditiert werde. „Ich werde nicht ernst genommen. Die Grundargumentation ist, dass ich keine unternehmerischen Qualitäten habe.“

Außerdem werde ihr vorgeworfen, dass sie nebenher studiere und keine Zeit für das Amt hätte. „Dabei mache ich das Fernstudium am Internationalen Fußball Institut explizit, um diesen Weg einzuschlagen.“

Rolf Kutzmutz ist 73 Jahre alt und steht seit sechs Jahren an Turbines Spitze.
Rolf Kutzmutz ist 73 Jahre alt und steht seit sechs Jahren an Turbines Spitze.

© imago images/Matthias Koch

An Erfahrung mangelt es ihrem Gegenspieler nicht. Rolf Kutzmutz ist 73 Jahre alt, war einst SED-Funktionär in der DDR, scheiterte zweimal mit seiner Oberbürgermeisterkandidatur in der Landeshauptstadt und führte viele Jahre die Linken-Fraktion im Potsdamer Stadtparlament.

Er ist seit 21 Jahren im Verein, seit sechs Jahren steht er an Turbines Spitze. Als er 2015 erstmals die Präsidentschaft antrat, betonte er seine Kontakte zur Wirtschaft, die er für den Verein einbringen könne. Seine Vorstellung, wie einmal sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin in die Amtsgeschäfte eingeführt werden, klingt nahezu väterlich: „Tabea Kemme kann an meiner Seite arbeiten und für eine spätere Vorstandsarbeit oder gar Präsidentschaft Erfahrungen sammeln.“

Kutzmutz betont gar, „dass es immer mein Ziel war, eine Frau für meine Nachfolge zu gewinnen“, aber mit dem Zusatz, „die unternehmerische Qualitäten hat und sich mit Vorstandsarbeit auskennt“. Kemmes Tempo kann der 73-Jährige nicht mitgehen: „Du kannst dem Chef nicht den Azubi vorsetzen“, sagt er.

„Die bedienen nur ihr eigenes Ego"

Den amtierenden Präsidenten treibt die Sorge, dass Kemmes Unterstützer die „Wortgeber“ sind und von den idealen Vorstellungen der einstigen Turbine-Kapitänin in der Praxis nicht mehr viel übrig bleibe. „Ich fürchte, sie steht schnell allein da“, sagt er. Was die Sorge begründet, bleibt eher vage, sie nährt sich mehr aus der Kritik aus dem Kemme-Lager am aktuellen Bild das Vereins, was Kutzmutz regelrecht wütend macht: „Ich will nicht jeden Tag lesen, was angeblich alles schlecht und stümperhaft ist.“

Auch Kemmes langjähriger Trainer und heutige Turbine-Ehrenpräsident, Bernd Schröder, beäugt ihr Team aus Unternehmern, Marketingexperten, Juristen und Wirtschaftsleuten argwöhnisch.

„Die bedienen nur ihr eigenes Ego, überschauen das Gesamtsystem Fußball nicht und schon gar nicht verstehen sie den Verein mit seiner Philosophie und seinen Werten“, urteilt er. „Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Solidarität“ zitiert der 78-Jährige vier Tugenden, mit denen er sein halbes Leben lang den Verein geimpft hat.

Als er 2015 nach 40 Jahren sein Traineramt abgab, ärgerte er sich über Kommentare, dass es Zeit wäre zu gehen – vor allem weil er nicht mehr die Sprache seiner jungen Spielerinnen spreche.

Tabea Kemme ist 29 Jahre alt und hat bereits jahrelange Erfahrung bei Turbine vorzuweisen.
Tabea Kemme ist 29 Jahre alt und hat bereits jahrelange Erfahrung bei Turbine vorzuweisen.

© imago images/Eibner

Schröder und Kutzmutz gehören zu einer Generation, die den Verein mit väterlicher Fürsorge geführt hat. „Hier ist alles familiär“, sagt Schröder noch immer. „Wenn bei einer Spielerin eine Waschmaschine kaputt geht, ist sofort jemand von uns da“, sagt Kutzmutz. Beide verstehen nicht, wie Tabea Kemme behaupten kann, es werde sich zu wenig gesorgt und der Verein sei wenig professionell.

Doch die Erfahrungen, die Kemme als Spielerin zwölf Jahre bei Turbine gemacht hat, ihre Beobachtungen, wie sich andere Vereine in Deutschland und weltweit professioneller aufstellen, animieren zur Regieübernahme bei Turbine an vorderster Front. Sie fürchtet weiteren Stillstand und noch mehr Versäumnisse bei der Professionalisierung des Vereins, weiteren sportlichen Rückschritt.

Sie habe auch ein Angebot vom DFB bekommen, erzählt Kemme, doch ihr Herz schlage für Turbine. „Ich sehe das Potenzial hier und kenne aus meiner Zeit als aktive Spielerin genau die Probleme. Die Kluft, die bereits besteht, um wieder erfolgreich zu werden, wird jeden Tag größer, solange man nicht handelt.“

Die größten Probleme sieht sie in der mangelnden Talentsichtung und im Marketing. „Turbine ist ein Traditionsverein, aber wenn wir uns nicht zeitgemäß entwickeln, haben wir international keine Chance.“ Die Vielfalt der Spielerinnen spiegle sich nicht in den Führungsgremien wider. „Die Vereinsführung ist fernab vom eigentlichen Sport, der betrieben wird“, kritisiert sie. Diese Strukturen möchte Kemme aufbrechen.

Gereizte Stimmung vor der Mitgliederversammlung

Am Anspruch und Selbstverständnis, mit Turbine in der Champions League zu spielen, hält auch Kutzmutz fest. Gleichwohl muss er sich an den Ergebnissen der vergangenen Jahre messen. In der Champions League spielt Turbine seit sechs Jahren nicht mehr, in der Bundesliga landete der Klub die vergangenen beiden Spielzeiten auf Rang vier.

Zufrieden ist Kutzmutz damit nicht, daher sieht er seine Mission auch noch nicht erfüllt. „Den Verein weiter durch gute Nachwuchsarbeit zu stabilisieren, uns über Platz drei in der Bundesliga für die Champions League zu qualifizieren und wirtschaftlich attraktiv zu machen“, sieht er als seine Aufgabe.

Ob er weiterhin der Richtige dafür ist, wird sich am Freitag um 17.30 Uhr entscheiden, wenn die Turbine-Mitglieder abstimmen. Eine gereizte Stimmung wird an dem Nachmittag nicht nur wegen der Rivalität um das Führungsamt herrschen: Bereits vor einigen Wochen kritisierte Kemme auf Instagram, dass die Präsidentschaftswahl nach hinten verschoben wurde und eine Briefwahl nicht möglich ist.

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„Das ist ein Einschnitt in die Rechte der Mitglieder. Die Spielerinnen sind zu dem Zeitpunkt in der Sommerpause und wir haben außerdem viele internationale Spielerinnen, die nach Hause fliegen und von der Wahl ausgeschlossen werden.“ Von den Spielerinnen bekomme sie viel Zuspruch und auch ehemalige Angestellte des Vereins sowie Sponsoren stärken ihr den Rücken.

Ihre ehemalige Teamkollegin Svenja Huth betont: „Tabea ist sehr ehrgeizig und zielstrebig, von daher glaube ich, dass sie in der Rolle als Präsidentin einen tollen Job machen würde.“

Von Vereinsseite hagelt es aber auch Kritik. „Ich wurde schon angeschrien, dass ich vereinsschädigend sei“, berichtet Kemme, „solche Kritik kenne ich aus meiner Zeit als Spielerin, als mir mit 23 Jahren vorgeworfen wurde, ich hätte Persönlichkeitsdefizite.“ Sie hat den Eindruck, dass viele nur darauf warteten, dass sie einknicke, aber: „Ich bin ein Profi, vor allem wenn es um Ausdauer und Durchhalten geht.“

Sportlich wusste sie damit zu punkten, am Freitagabend wird sie wissen, ob es ihr auch ausreichend Stimmen bringt.

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