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Too big to fail. Gilt nicht mehr. Die großen Spanier um Sergio Ramos versagten gegen Russland.

© AFP

Fußball-WM 2018 in Russland: Warum so viele Favoriten früh gescheitert sind

Die fußballerischen Schwergewichte Deutschland, Spanien, Portugal und Argentinien sind früh ausgeschieden. Doch jeder Fall folgt seiner eigenen Logik.

Die Stille nach dem Schluss? Nein, die war den Spaniern nicht vergönnt. Um die 80.000 Menschen machten einen Höllenlärm im Moskauer Luschniki-Stadion, sie scherten sich nicht um die Trauer der Señores aus Madrid, Barcelona, Valencia. Andres Iniesta marschierte mit demonstrativ gesenktem Kopf in die Kabine, Sergio Ramos blieb einfach auf dem Rasen sitzen und Gerard Pique zog die blauen Hosen hoch bis zu den Hüftknochen, als hätte er gleich noch eine Verabredung am Strand. Hat niemanden interessiert. Nicht mal, dass der große Iniesta noch am Sonntagabend vom internationalen Fußball zurücktrat. Eine Randnotiz, überlagert von der Großartigkeit des Augenblicks.

Der K.o. des Favoriten ging unter im Jubel des Außenseiters. Erst im Stadion, später im Moskauer Zentrum, am Roten Platz, an der Twerskaya oder vor dem Bolschoi-Theater. Russland feierte ein sommerliches Wunder, das noch ein wenig wundersamer daherkommt als das deutsche Sommermärchen vor zwölf Jahren.

Und die Welt? Sie gönnte den Russen die kaum erwartete Qualifikation für das Viertelfinale, diesen Sieg im Elfmeterschießen über die Weltstars Iniesta, Ramos und Pique. Aber die Welt war auch ein bisschen traurig. Dass noch einer der ganz Großen sich so früh von der WM verabschiedet hat. Nach den Deutschen, Portugiesen und Argentiniern jetzt auch die Spanier. Der Weltmeister von 2010, Europameister von 2008 und 2012. Eine auf den Wiesen zwischen Grönland und Feuerland gefürchtete Mannschaft, auferstanden nach einer zwischenzeitlichen Krise und doch hilflos beim Sturz ins Nichts, wie die anderen Großmächte in diesen russischen Tagen.

Das Favoritensterben mag in seiner Ballung seltsam daherkommen, aber jeder Fall folgt seiner eigenen Logik.

Die Spanier haben sich mit dem Trainerwechsel selbst geschlagen

Die Spanier haben sich dem wahrscheinlich einzigen Gegner beugen müssen, dem sie nicht gewachsen waren, nämlich sich selbst. Auf die Idee, zwei Tage vor dem ersten WM-Spiel den Trainer zu entlassen, der seit seiner Amtsübernahme vor zwei Jahren kein einziges Spiel verloren und eine überragende Mannschaft aufgebaut hat, nur weil er in der kommenden Saison Real Madrid betreuen will – auf diese Idee muss man erst mal kommen. Wie gut diese Spanier hätten sein können, das war im ersten Turnierspiel beim 3:3 gegen Portugal zu sehen. Das Spiel stand noch unter dem Einfluss des geschassten Julen Lopetegui, es lebte von seiner Vorbereitung, von den Spielern in einem letzten Akt der Loyalität annähernd perfekt umgesetzt. Danach war deutlich zu sehen, dass einer die Kommandos gab, der die tägliche Arbeit auf dem Trainingsplatz nur als interessierter Zuschauer kennt.

Der Fußball des dritten Jahrtausends mag in seiner Taktikhörigkeit überhöht sein, aber ganz ohne Taktik geht es eben auch nicht. Wie sonst lässt es sich erklären, dass den brillanten Spaniern gegen limitierte Russen nichts, aber auch überhaupt nichts einfiel? 1114 Pässe zählten die Statistiker am Sonntag, so viele wie noch nie bei einem WM-Spiel, aber kaum einer fand seinen Weg gefährlich in die Tiefe. Dass die Russen zwei Fünferketten vor dem eigenen Strafraum aufbauen würden, kam so überraschend nicht. Dafür gibt es taktische Lösungen. Julen Lopetegui hätte eine gefunden, sein improvisierender Nachfolger Fernando Hierro war damit überfordert.

Über die Deutschen ist viel gesagt und geschrieben worden, über ihre Probleme bei der Selbstfindung, den fehlenden Mut zur Erneuerung. Der Weltmeister war nicht so gut, wie es selbst, ja wie es kurioserweise die ganze Welt geglaubt hat. Und der WM-Zweite von 2014? War Argentinien denn wirklich ein ernst zu nehmender Aspirant auf den Titel? Diese von einem zum anderen Spiel immer wieder wahllos durcheinandergewürfelte Mannschaft, deren einziger Fixpunkt Lionel Messi war?

Argentiniens Ausscheiden war keine Überraschung

Der Fußballspieler Messi kann mit seinen Füßen großartige Dinge vollbringen, aber er ist keineswegs das Genie, zu dem er wegen dieser großartigen Dinge immer wieder gemacht wird. Messi ist am Ball ein Virtuose, wie es Wladimir Horowitz am Klavier war, aber dem hat auch niemand die Berliner Philharmoniker anvertraut. Der dramatische Fehler der Argentinier ist seit Jahren, dass sie ihren mit großartigem Talent gesegneten Fußball einem begnadeten Einzelgänger unterordnen, der für die Führung einer Gruppe ungeeignet ist. Schon vor vier Jahren sind die Argentinier mit mehr Glück als Vermögen durchs Turnier getaumelt, das Finale gegen die Deutschen war noch ihr bestes Spiel – und eines der schlechteren des Weltmeisters Deutschland. In dieser Tradition sind sie auch in Russland aufgetreten, nur noch ein bisschen konfuser und mit noch ein bisschen mehr Glück, ohne das sie die Vorrunde kaum überstanden hätten. Es war keine Überraschung, dass Argentinien im Achtelfinale an Frankreich scheiterte. Es wäre eine Sensation gewesen, wenn sich die famosen Franzosen verabschiedet hätten.

Auch Portugal ist von den Launen eines Solisten abhängig. Über Cristiano Ronaldo kann man sich gern lustig machen, über seine Posen auf dem Platz, seine stündlich wechselnden Frisuren und seinen sorgfältig choreografierten Jubel. Aber anders als Messi ist er eben auch ein richtiger Anführer, der für seine Mannschaft lebt und leidet, ihr alles gibt und alles unterordnet. Wer daran zweifelt, darf sich gern das Finale um die Europameisterschaft vor zwei Jahren in Paris in Erinnerung rufen, als Ronaldo früh verletzt ausschied und mit lädiertem Knie die Kollegen von der Seitenlinie aus anfeuerte, ihnen in der Pause über den Kopf strich und später erster Zeremonienmeister beim Jubel war. In Portugal klappt die Symbiose Weltstar/Mannschaft.

Portugal ist an einem neuen WM-Favoriten gescheitert

Warum der Europameister dennoch im Achtelfinale ausgeschieden ist? Das lag nicht an Ronaldo und auch nicht an seinen Zuarbeitern. Die Portugiesen haben ein großartiges Achtelfinale geliefert, das bisher beste Spiel bei dieser WM. 90 Minuten voller Intensität und Leidenschaft und ohne jede Langweile. Gescheitert sind sie an einer noch intensiveren und leidenschaftlicheren Mannschaft. Uruguay verteidigt hart und anmutig zugleich. Wer Mats Hummels für einen Innenverteidiger von Weltklasseformat hält, möge sich bitte mal Diego Godin anschauen. Dazu ist diese Mannschaft in der Offensive mit Luis Suarez und Edinson Cavani gesegnet. Da hat am Samstag in Sotschi ein neuer WM-Favorit aufgespielt. Schade, dass er es schon im Viertelfinale mit einem Schwergewicht zu tun bekommt.

Uruguay gegen Frankreich, das wäre auch ein würdiges Endspiel.

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