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Es geht nicht nur um den Ball. Das Duell zwischen Lena Goessling (r.) vom VfL Wolfsburg und Potsdams Johanna Elsig steht auch symbolisch für den Kampf um die Spitzenposition im deutschen Frauenfußball.

© Peter Steffen/dpa

VfL Wolfsburg zu Gast bei Turbine Potsdam: Prestigeduell neuer Güte

Mit dem VfL Wolfsburg kommt am Sonntag auch ein neues, teures Modell des Frauenfußballs nach Potsdam. Bislang ist es ein erfolgreiches.

Potsdam - Es ist einiges in Bewegung geraten in den vergangenen Wochen und Monaten in Wolfsburg. Die Fußballerinnen der Autostadt haben mit dem AOK-Stadion eine neue, eigene Spielstätte bekommen. 5200 Plätze hat das Schmuckstück, die 3500 Stehplätze können nachträglich überdacht werden – „dank der vorausschauenden Planungen“, wie es vom Verein heißt. Ebenfalls neu: Seit einigen Tagen gibt es im Kommunikationsstab eine Mitarbeiterin, die sich eigens um die Aufgaben „Marke, Corporate Social Responsibility und Service“ kümmert.

Mit Weitsicht planen und Identifikation schaffen, scheinen wichtige Handlungsmaximen für den Wolfsburger Frauenfußball zu sein, dessen Bundesliga-Team als Tabellenführer am kommenden Sonntag beim 1. FFC Potsdam Potsdam gastiert (14 Uhr). Die Erfolge der vergangenen Jahre – Deutscher Meister, Pokalgewinn, Champions-League-Sieg – verpflichten, sie verlangen nach Wiederholung und Weiterentwicklung. Und sie sind Nährboden für eine Wahrnehmung durch ein Publikum, das bislang vielleicht noch nicht so sehr Anhänger des Frauenfußballs war, wohl aber des Vereins. „In Wolfsburg gehen inzwischen Leute zum Frauenfußball, die sich in erster Linie mit dem Verein identifizieren“, sagt etwa Rolf Kutzmutz, Präsident beim 1. FFC Turbine Potsdam. Wohl kein anderer deutscher Verein symbolisiert derzeit das wirtschaftliche, sportliche, mediale sowie werbe- und publikumswirksame Potenzial des Frauenfußballs wie der VfL Wolfsburg.

Machtverhältnis im deutschen Frauenfußball verschoben

In Potsdam kennt man die Kausalität von Erfolg und Verpflichtung nur allzu gut: „Es ist nicht unser Anspruch, Dritter zu werden“, sagte jüngst Potsdams Trainer Bernd Schröder als Reflex auf die Vergangenheit, in der sechs deutsche Meistertitel, drei DFB-Pokale sowie der Gewinn des UEFA-Cups und der Champions League in die Erfolgslegende geschnitzt wurden. Doch der Blick nach 16 Spieltagen auf die aktuelle Bundesliga-Tabelle macht deutlich, dass sich dieser Anspruch nicht mehr wie selbstverständlich verwirklichen lässt. Das Machtverhältnis im deutschen Frauenfußball hat sich verschoben. Das Maß der Dinge ist derzeit der VfL Wolfsburg. Der verteidigt als aktueller Tabellenführer und mit dem Einzug ins Viertelfinale der Champions League seine führende Stellung bislang souverän. In der Bundesliga folgen die Frauen des FC Bayern München und 1. FFC Frankfurt. Turbine ist Vierter – mit fünf Punkten Rückstand auf den VfL.

Vielleicht illustrieren derzeit Potsdam und Wolfsburg am besten die Veränderungen im deutschen Frauenfußball, der mit dem Bundesliga-Patronat der Allianz einen kommerziellen Anstrich erfahren hat, wie er bislang nicht kräftiger war. Hier an der Havel ein Verein, der die Balance zwischen Tradition und Zukunft sucht, von den Erfolgen der Vergangenheit – auch wirtschaftlich – zehrt, in dem Fußball mehr gearbeitet wird und der gerade einen Präsidenten gewählt hat mit SED- und Stasi-Geschichte. In Wolfsburg eine erst vor zwölf Jahren gegründete Abteilung als Teil einer Fußball-GmbH mit einem der größten Autokonzerne der Welt im Hintergrund. Ein Unternehmen für Fußball, das wirtschaftlich und professionell geführt wird.

Julia Simic freut sich auf das Wiedersehen

Das Modell Wolfsburg kann gefallen oder nicht. Fakt ist: Der Wolfsburger Frauenfußball ist erfolgreich und eine Top-Adresse für deutsche Kickerinnen, die Erfolg haben wollen. Sieben Nationalspielerinnen stellte der Verein zuletzt beim Algarve-Cup. Julia Simic, die vor anderthalb Jahren als Hoffnungsträgerin von Bayern München nach Potsdam kam, spielt inzwischen in Wolfsburg. „Als sich die Möglichkeit mit dem VfL ergeben hat, war mir klar, dass das mein nächster Schritt sein muss“, sagt sie. Die 25-Jährige wechselte in der Winterpause von Brandenburg nach Niedersachsen, nachdem ihr noch bis Saisonende gültiger Vertrag bei Turbine in beidseitigem Einvernehmen aufgelöst wurde. Am Sonntag kommt sie zurück nach Potsdam, keineswegs mit mulmigem Gefühl, im Gegenteil: „Ich freue mich auf das Wiedersehen“, sagt sie. Bei ihrer Rückkehr ins Karl-Liebknecht-Stadion bringt die Dribbelkünstlerin wiedergewonnene Spielfreude mit, die ihr zuletzt in Potsdam abhanden gekommen war. Da lief das Spiel an der technisch versierten Mittelfeldakteurin zunehmend vorbei – das von Turbine gepflegte Spiel der langen und hohen Bälle ist nicht das der 1,65 Meter großen Spielgestalterin gewesen. Nach der Vorbereitung auf die Bundesliga-Rückrunde beim VfL Wolfsburg sagt Simic: „Ich merke, dass es mir guttut. Ich spüre, dass ich mich fußballerisch noch einmal sehr verbessern kann.“ Und: „Ich möchte Potsdam das Niveau nicht absprechen, aber hier in Wolfsburg wird sehr viel darauf geachtet, dass man flach, schnell und direkt spielt. Das kommt meiner Spielweise sehr entgegen.“

24 Abgänge in drei Spielzeiten

War Simic und Turbine am Ende ein Missverständnis? Vielleicht. Aber die scheinen sich gehäuft zu haben an der Havel: 24 Abgänge in den vergangenen drei Spielzeiten sind für Turbine Potsdam zu verzeichnen – zum Vergleich: In Wolfsburg sind es im gleichen Zeitraum zehn. Teure Verpflichtungen wie die der beiden US-Amerikanerinnen Deines und Mercik im Saisonverlauf bezeichnet Schröder selbst als Fehleinkäufe. Auf der Suche nach sportlicher Stabilität und Entwicklung gleicht Turbine Potsdam derzeit einem Labor, in dem getestet und probiert wird. Solche Umbrüche gehören dazu und gab es auch schon in der Vergangenheit, doch hatte Turbine dabei immer ausreichend Mentalität und Qualität, um Titel und Pokale zu gewinnen. Oder anders: Bis auf den 1. FFC Frankfurt hatte die Konkurrenz diese Stärke lange Zeit nicht. Heute ist das anders. Zwar waren in der jüngeren Vergangenheit Turbines Spiele gegen Wolfsburg oder Frankfurt Duelle auf hohem Niveau – etwa das letztjährige Champions-League-Halbfinale gegen den VfL, das Werbung für den Frauenfußball war. Am Ende indes, so zumindest der Anspruch, zählen Titel – und da ging Potsdam leer aus.

Viele Jahre zeichnete die Rivalität im deutschen Frauenfußball zwischen Frankfurt und Turbine das sportliche Feindbild: Da der Verein aus der Finanz- und Kommerz-Metropole am Main, hier der Ost-Klub, der sich Erfolg hart arbeiten musste. Das hat sich überholt. Die Frauen-Bundesliga wird neben ihrer sportlichen Rivalität zunehmend vom Reiz und den Möglichkeiten der modernen Konsum- und Unterhaltungsmöglichkeiten leben. Unternehmen wie der VfL Wolfsburg sorgen dafür.

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