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© dapd

Russland: Pyrotechnik und Miliz

Sieben Moskauer Vereine spielen in Russlands erster Liga – ein Besuch in der Fußballhauptstadt Europas.

Wenn in Moskau ein Fußballspiel ansteht, erkennt man das nicht nur an bunten Fahnen und Schals. Welches Moskauer Team auch spielt, die alles beherrschenden Farben sind olivgrün und dunkelblau – das Aufgebot der Miliz ist so imposant, wie man es in Deutschland nur von Großdemonstrationen oder Castor- Transporten kennt. Schon mehrere Stunden vor Spielbeginn sorgt sie mit ihrer Anwesenheit rund um das Stadion für Ruhe. Es gibt kaum Gesänge, keine Drohgebärden. Mitunter sieht man, wie beim Derby zwischen Lokomotive und ZSKA, Fans beider Mannschaften gemeinsam fachsimpelnd um das Stadion herumstehen, in einem Meer aus Uniformen. Die Atmosphäre wirkt unterdrückt friedlich und verdächtig ruhig.

Willkommen in der Fußballstadt Moskau, in der fast jedes Wochenende ein Derby stattfindet. Insgesamt sieben der 16 Erstligavereine – neben den fünf Hauptstadtklubs Spartak, ZSKA, Lokomotive, Dynamo und FK Moskau noch die Vorortvereine FK Chimki und Saturn Moskauer Oblast – stammen aus dem Großraum der 10-Millionen-Metropole. Damit übertrifft sie selbst europäische Fußballhochburgen wie London oder Istanbul.

Auch sportlich ist die Moskauer Übermacht im russischen Fußball erdrückend: Seit 1992 konnten nur drei Vereine außerhalb Moskaus die Meisterschaft gewinnen. Trotzdem ist Moskau keine typische fußballverrückte Stadt. Erst auf den zweiten Blick finden sich in und um die Moskauer Stadien einige Besonderheiten, die sich von deutschen Fußballgewohnheiten deutlich unterscheiden: Da sind zum einen die Zuschauerzahlen. Das Luschniki-Stadion, Austragungsort der Sommerspiele 1980 und des Champions-League-Finals 2008, ist noch seltener als das Berliner Olympiastadion gut besucht, geschweige denn ausverkauft. Dabei tragen hier mit Spartak und ZSKA gleich zwei Traditionsvereine ihre Heimspiele aus.

ZSKA, der Uefa-Cup-Sieger von 2005, hat in dieser Saison durchschnittlich 12.000 Besucher pro Spiel. Die Liga-Partie gegen Amkar Perm bietet eine besonders klägliche Kulisse. Gerade einmal 10.000 Zuschauer haben sich auf die 85.000 Plätze verirrt. Nur der Fanblock der ZSKA-Fans ist gut gefüllt. Beim Rivalen Spartak, dem beliebtesten Verein in Russland, sind es durchschnittlich auch nur 20.000 Zuschauer. 50.000 bis 60.000 kamen in dieser Saison nur gegen Zenit St. Petersburg, gegen den amtierenden Meister Rubin Kasan oder zum Derby gegen ZSKA. Wie in Berlin richtet sich auch in Moskau die Besucherzahl eher nach der Attraktivität des Gegners als nach der Verbundenheit zum eigenen Klub.

Was sie an Masse vermissen lassen, gleichen die Moskauer Fans jedoch durch Stimmgewaltigkeit und Sangesfreude aus. Besonders beeindruckend ist das Auftaktritual der ZSKA-Fans. Beim Anpfiff jedes Spiels stimmen sie einen vielstrophigen Gesang an, der die ersten drei, vier Minuten andauert und durch das Stadion dröhnt. Anders als in deutschen Stadien, wo vor allem Bierseligkeit herrscht, dauern die Gesänge über 90 Minuten an.

Des weiteren gibt es Choreographien, Fahnenmeere und Pyrotechnik. Im Luschniki-Stadion brennen die Spartak-Anhänger ihre bengalischen Feuer noch selbst ab, wofür sie obligatorisch per Lautsprecherdurchsage ermahnt werden. Im Lokomotive-Stadion sind die Stadionbetreiber schon einen Schritt weiter. Bereits vor dem Spiel werden von der Stadionregie so viele Raketensalven in die Luft gejagt, dass selbst die größten Pyromanen nichts abbrennen, um sich nicht zu blamieren – gelungene Prävention. Prophylaktisch wird diese Prozedur nach Toren wiederholt.

Nach dem Spiel haben die Ordnungshüter am Eingang der Metrostation Sportiwnaja, unweit des Luschniki-Stadions, ein etwa 50 Meter langes Spalier gebildet. Das Ganze wird von einer Reiterstaffel eingerahmt. Im Schneckentempo werden die Fans still durch den schmalen Korridor aus Uniformen geführt. Erst auf der steilen Rolltreppe zum Bahnsteig wird es laut. Die Fans lassen die ungeliebten, praktisch wertlosen Kopeken- und Rubelmünzen in Massen auf dem Geländer laut scheppernd hinunter springen. Und halten so die Putzkräfte in der Metro auf Trab. Missmutig fegen sie das verschmähte Kleingeld weg.

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