zum Hauptinhalt

Potsdamer Schwimmsport: Auf neuen Wegen

In einem erneut veränderten Qualifikationsmodus kämpfen Deutschlands Schwimmer um die EM-Tickets. Bisher liegen zwei vollwertige sowie zwei nur noch „halbe“ Potsdamer Aktive gut im Rennen. Bei Brandenburgs Landesmeisterschaft gab es derweil eine Dominanz der Gastgeber und einen neuen Rekord.

Von Tobias Gutsche

Wenn es zuletzt darum ging, sich für den internationalen Schwimm-Saisonhöhepunkt zu qualifizieren, dann war der Prozess in Deutschland von kontinuierlicher Inkonstanz geprägt. 2013 trat Henning Lambertz den Posten als Chefbundestrainer des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) an. In nunmehr sechs Jahren Amtszeit hat er vier verschiedene Qualifikationsmodi ausgerufen – dass der gleiche aufeinanderfolgte, gab es nur 2015 und 2016. Es ist die Suche nach einer Problemlösung. Oft gelangen DSV-Aktiven Top-Resultate nur während der Quali – beim großen Championat blieben sie dann weit hinter den Vorleistungen.

Diesmal gibt es einen Qualifikationszeitraum

Aktuell probiert Henning Lambertz daher nun wieder einen neuen Weg aus. Einen völlig anderen als bisher. Statt konkrete Wettkämpfe wie die Deutsche Meisterschaft zu benennen, auf denen Vorgaben erfüllt werden müssen, gibt es diesmal einen großzügigen Zeitraum für die Normenjagd bei zahlreichen Meetings. In der Leichtathletik ist das schon lange Usus. Deutschlands Schwimmer kämpfen also bereits seit dem 22. Januar um ihre Tickets zur Europameisterschaft in Glasgow, das Qualifikationsfenster schließt am 29. April. Die finale Phase läuft. Auch für Potsdamer Athleten.

Die von Freitag bis Sonntag in Berlin stattfindenden German Open sind noch mal eine gute Gelegenheit, auf das EM-Schiff aufzuspringen beziehungsweise den eingenommenen Platz an Bord zu behaupten. Über Einzelstrecken im Becken haben bislang neun Deutsche einen Haken hinter die Norm gemacht. Drei Sportler schafften die extrem anspruchsvollen Werte der offenen Altersklasse, die sich jeweils an der Zeit orientieren, die 2016 für den Olympiafinaleinzug in Rio notwendig war. Sechs weitere Talente erfüllten die abgemilderten U23-Vorgaben.

Hintze schwimmt wohl nicht mehr lange für Potsdam

Zur letzteren Fraktion gehört Rio-Teilnehmer Johannes Hintze. Er knackte die Norm auf seiner Paradestrecke 400 Meter Lagen. Hintze wurde mehrere Jahre am Luftschiffhafen geformt, ist mittlerweile aber bloß Potsdamer auf dem Papier. Als Folge der Debatte um die künftige Ausgestaltung des Bundesstützpunktes in Brandenburgs Hauptstadt haben er wie auch Josha Salchow und Wassili Kuhn den Standort gewechselt. Sie wollten – wohl gestützt durch die Meinung ihrer bisherigen Sportschul-Lehrertrainer – nicht in die Gruppe von Jörg Hoffmann, der als Potsdams Stützpunkt-Chefcoach vorgesehen, aber noch nicht offiziell auf dieser Position eingestellt ist. Stattdessen siedelte das Trio lieber nach Heidelberg um.

Hintze startet allerdings noch für den Potsdamer SV im OSC. Die Betonung liegt auf noch. „Es laufen derzeit intensive Gespräche über einen möglichen Vereinswechsel von Johannes Hintze“, teilt die Albus GmbH auf PNN-Anfrage mit. Die Heidelberger Managementagentur betreut den 18-Jährigen bereits seit geraumer Zeit. Beim PSV hat der Junioren-Weltmeister jedenfalls keine Perspektive mehr. Schließlich wird der Geldhahn zugedreht. Der Vorstand des Vereins verkündete unlängst auf seiner Internetseite: „Gegenüber der Stadt Potsdam, unseren Förderern und Sponsoren sowie dem Land Brandenburg sehen wir die Verwendung der uns zur Verfügung gestellten Gelder als eine moralische Verantwortung an. Aus diesem Grund werden wir zukünftig nur Athleten allumfänglich fördern und unterstützen, die am Bundesstützpunkt Potsdam trainieren und Mitglied des Potsdamer Schwimmvereins sind.“

Salchow, Hintze und Gose sind Anwärter auf Staffelplätze

Ergo nicht Johannes Hintze. Und auch nicht Wassili Kuhn und Josha Salchow – sie haben daher bereits ihr Clubstartrecht geändert. Trotz Abwanderung an den Neckar bleiben beide aber der Havelstadt treu. Die Junioren-WM-Starter sind Mitglied im neu gegründeten Schwimm-Team Potsdam. Jenes möchte eine Alternative zum PSV darstellen. Zugleich führt das ambitionierte Projekt die personellen Konflikte am hiesigen Trainingszentrum, die die Ursache für die Unsicherheiten bezüglich der Bundesstützpunktanerkennung waren, weiter auf die Vereinsebene. Als ganz junger Club könnte das Schwimm-Team dieses Jahr bereits einen EM-Teilnehmer stellen. Josha Salchow ist derzeit drittschnellster Deutscher des laufenden Qualifikationszeitraums über 100 Meter Freistil – und damit ein Anwärter auf die Sprintstaffel.

Neben ihm und Hintze, die quasi „Halb“-Potsdamer sind, liegen zudem noch zwei vollwertige Potsdamer Sportler auf dem schwimmerischen Kurs nach Glasgow. Während Youngster Isabel Gose als bisher Zweitbeste für die 4x200-Meter-Freistilstaffel in Betracht kommt, ist Olympiafinalist Christian Diener aktuell Deutschlands Top-Mann über 100 Meter Rücken, was ihn in die Lagenstaffel führen würde. Ihre am vergangenen Wochenende beim Meeting in Eindhoven angemeldeten EM-Ansprüche müssen die am Luftschiffhafen trainierenden PSV-Akteure bei den bevorstehenden German Open untermauern. „Für Christian wird es schwer, das Ticket im Einzel zu buchen. Seine Bestzeit über 200 Meter Rücken ist zwar schneller als die Norm, aber zu so einem frühen Zeitpunkt der Saison und ohne die ganz große Konkurrenz in diesen Bereich vorzustoßen, ist eine sehr große Herausforderung“, urteilt Dieners Coach Jörg Hoffmann. „Deswegen ist natürlich gerade die Staffel reizvoll. Darüber ist der Weg ins EM-Aufgebot am besten zu realisieren.“

Deutscher Schwimmsport startet die "Staffel-Attacke"

Auch Henning Lambertz setzt aus DSV-Sicht auf die Teamrennen in Glasgow. Es solle dort eine deutsche „Staffel-Attacke“ gestartet werden, erklärt der Chefbundestrainer. Hintergrund sei das Format, in dem die kontinentalen Titelkämpfe eingebettet sind. Vom 2. bis 12. August werden in Glasgow nicht nur die Europameister im Schwimmen ermittelt, sondern auch im Turnen, Radsport, Golf, Triathlon und Rudern – zudem steigt in Berlin die Leichtathletik-EM. Ein lukratives sportartenübergreifendes Großereignis. „Das heißt, die Fernsehpräsenz wird entsprechend groß sein. Über die Staffeln erhoffen wir uns auch mehr öffentliche Präsenz“, sagt Lambertz.

Deshalb hat er die Zeitanforderungen für die Staffelnominierung im Vergleich zur vergangenen Saison gesenkt. Die Folge: Deutschland – das steht schon vor dem Qualifikationsabschluss fest – wird in allen Teamrennen von Glasgow ins Wasser gehen können. „Wir wollen ein Zeichen setzen“, meint der oberste DSV-Trainer. „Es ist ein Aufbruch mit Blick auf 2020.“ Olympia in Tokio rückt näher. Und der deutsche Schwimmsport sucht vielschichtig Lösungen, um nach den mageren Bilanzen der Vorjahre zurück auf den Erfolgsweg zu finden.

+++ Landesmeisterschaft in Potsdam +++

In Abwesenheit der brandenburgischen Topathleten wie Christian Diener und Isabel Gose, die beim Meeting in Eindhoven um EM-Startplätze kämpften, fand am Wochenende erstmalig im Potsdamer Sportbad blu die Schwimm-Landesmeisterschaft statt. Es wurden über 32 Einzel- und vier Staffeldistanzen die Champions der offenen Klasse ermittelt – sowie die Besten der Altersklassen. Der gastgebende Potsdamer SV gewann 26 der 36 zu vergebenden Erwachsenentitel. Am erfolgreichsten schnitten Eileen Diener (fünf Siege), Mira Selling, Simon Fritsch (jeweils vier) und Lilia Nabi (drei) ab. Das sportliche Highlight der Veranstaltung lieferte der aus Schwedt stammende PSV-Mann Melvin Imoudu. Über 50 Meter Brust stellte er in der Zeit von 28,06 Sekunden einen neuen märkischen Landesrekord auf. yal

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false