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Im Schweden-Outfit. Thomas Wolter zeigt reichlich Spielverständnis.

©  P. Könnicke

PNN-Serie: Meine WM: Welche Gasse?

Mit der Serie "Meine WM" zeigen die PNN, wie Potsdamer und Brandenburger das globale Fußballspektakel erleben. Teil drei: Während sich der Welt-Fußball auf großer Bühne feiert, suchen die Kicker der BSG Spielverständnis jeden Montag ihre Laufwege.

Bei ihnen beginnt das Training nicht mit Aufwärmen, sondern mit einem Cooldown. Wenn sich die Fußballer der BSG Spielverständnis montags zum abendlichen Kicken treffen, zieht Uwe Fiebig, von Beruf Biomechaniker, einen blauen Plastesack mit Eiswürfeln aus dem Kofferraum seines Autos und stellt zwei Kisten Bier kalt. Gute Vorbereitung ist alles. Erst dann kann das Spiel beginnen.

"Immer noch besser als Panama"

Es ist ein langes Band, das sich an diesem Montagabend um die Welt des Fußballs spannt. Während in Russland bei der Weltmeisterschaft Spanien gegen Marokko und Portugal gegen den Iran auf der ganz großen Bühne spielen, haben die „Spielversteher“ in der Niederung des Fußballs ihren großen Spaß. Bis vor einem Jahr mischten sie noch in der Potsdamer Freizeitliga mit, dem niedrigsten regulären Spielbetrieb, wo unter anderem die Michendorfer „Blutgrätsche“ ein Gegner war. „Doch dann wurde es uns auch da zu wild“, meint Kay Pallasch und erklärt den Rückzug nach acht Jahren Liga-Zugehörigkeit. Ihre beste Saison beendeten sie mal auf dem dritten Platz, sonst „waren wir nie schlechter als Vorletzter“, sagt Pallasch.

Es braucht nicht lange, um zu begreifen, dass es hier nur um Spaß geht. Aber den bedienen sie mit großer Reichweite. Auf Potsdamer Taxis klebt vollmundig die Werbung der BSG Spielverständnis: „Ihr könnt nach Hause fahren!“ Dazu die Web-Adresse und das Logo der Truppe: Ein Ball gekrönt mit drei Häusern, wie sie im Holländischen Viertel stehen. Denn hier sind die Wurzeln der BSG: Im Sommer vor 15 Jahren trafen sich auf dem damaligen Hartplatz an der Kurfürstenstraße ein paar Freunde zum Kicken, heute sind es rund 30 Leute zwischen 18 und 55, die jeden Montag auf dem Kunstrasenplatz neben dem Karl-Liebknecht-Stadion Fußball auf ihre Art interpretieren. Am vergangenen Montag war dabei besonders eines wichtig: „Immer noch besser als Panama“, hieß es trotzig von der zurückliegenden Mannschaft bei jedem Gegentreffer. Denn anders als bei der deutlichen 1:6-WM-Niederlage der tapferen Mittelamerikaner gegen England am vergangenen Sonntag, war der Unterschied beim Kleinfeld-Gebolze im „Karli“ am Ende nicht größer als drei Tore.

Regeländerung machte Taktik zunichte

Der Name „Spielverständnis“ war beileibe nicht Programm. Eher ein Auftrag. Er sei anfangs ein „Fußball-Legastheniker“ gewesen, sagt Thomas Wolter, Mitbegründer der BSG und deren Sprachrohr. „Unser Torwart hat immer gerufen, ich soll durch die Gasse spielen und ich hatte keine Ahnung, was der meint“, erzählt Wolter. Und Pallasch erinnert sich an eine Reihe von Gegentore, die er als Keeper verursacht hat: Nachdem er einen Ball gefangen hatte, legte er das Spielgerät wie für einen Abstoß vor sich hin und ging ein paar Schritte zurück, um Anlauf zu nehmen. „Und jedes Mal stürmte ein Gegenspieler heran und schoss den Ball ins Tor“, amüsiert er sich noch heute. Inzwischen haben sie Mitstreiter dabei, „die richtig Ahnung haben und richtig spielen können“, sagt Thomas Wolter.

In der Freizeitliga war ihr Trumpf ein ehemaliger Stürmer von Hertha 03 Zehlendorf. „Der Junge hatte Technik“, schwärmt Pallasch, „der hat den Arsch rausgeschoben, sodass keiner mehr an den Ball kam“. Mit dieser Waffe war die Taktik der BSG Spielverständnis so simpel wie erfolgreich. „Unser Torwart hat einen langen Abschlag und unser Stürmer die Dinger vorne reingemacht", schwelgt Pallasch in Erinnerung und erzählt noch immer stolz, dass bei den Gegnern ihr Stürmer nur „die blonde Sau“ hieß. Die Taktik fand ihr jähes Ende, als die Regel aufgestellt wurde, dass auf Kleinfeld bei einem Abschlag der Ball nicht über die Mittellinie gehauen werden darf. „Seitdem ging es bergab bei uns“, sagt Wolter. „Wir hatten keine Ahnung mehr, wie wir den Ball hinten raus spielen sollen.“

Zweimal 90 Minuten am Montagabend

Natürlich ist die WM auch bei den „Spielverstehern“ dieser Tage allgegenwärtig. Er habe keinen Favoriten, meint Wolter, der an diesem Montagabend im Schweden-Trikot aufläuft. „Das deutsche ist in der Wäsche“, meint er nach dem schweißtreibenden 2:1-Sieg der DFB-Auswahl zwei Tage zuvor. Belgien, meint Wolter fachkundig, habe ein Konzept und Kroatien ein „funktionierendes Gefüge“. Sebastian, der sich dazu gesellt hat, meint, die Franzosen seien eine ausgewogene Mannschaft mit einer guten Bank, die die Kroaten nicht hätten. Jede Menge Spielverständnis.

Sie seien vor allem ein Netzwerk, ist Thomas Wolter noch wichtig zu betonen. Geschäftsleute, Lehrer, Erzieher, Steuerberater, Werbetexter, die sich montags anderthalb Stunden auf dem Fußballplatz auspowern und danach noch anderthalb Stunden ein Bier trinken. Gut gekühlt.

Lesen Sie hier Folge eins der PNN-Serie "Meine WM": Singen wie die Gauchos.
Lesen Sie hier Folge zwei der PNN-Serie "Meine WM": Bodenständig im "Zeppelin". 
Lesen Sie hier Folge vier der PNN-Serie "Meine WM": Schaschlik, Wodka und ein Märchen.

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