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Zugspitze. M. Carlsen ist der 16. Schachweltmeister der Geschichte.

© Reuters

Sport: Mehr Geist als Computer

Der 22-jährige Magnus Carlsen gewinnt in der zehnten Partie die Schach-WM

Berlin - Als sich Magnus Carlsen nach fast fünf Stunden vom Brett erhob, lächelte er. Der 22-Jährige war neuer Schachweltmeister. Mit einem Remis nach 65 Zügen sicherte sich der Norweger in der zehnten Partie des WM-Kampfs gegen Viswanathan Anand den 6,5:3,5-Gesamtsieg. „Das fühlt sich gut an“, sagte Carlsen nach der Partie am Freitag. „Ich bin wirklich stolz, dass ich es geschafft habe.“ Für den bisherigen Titelinhaber verlief der WM-Kampf enttäuschend, Anand zeigte vor heimischen Publikum im indischen Chennai zu wenig Gegenwehr. „Die fünfte Partie war ein herber Rückschlag“, sagte Anand. „Aber meine Fehler sind ja nicht einfach so passiert, er hat sie provoziert.“

Als 16. Weltmeister der Schachgeschichte steht Magnus Carlsen nun in einer Linie mit Heroen wie Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker, Bobby Fischer und Garri Kasparow. Carlsen ist sich der Pionierarbeit seiner berühmten Vorgänger bewusst. „Ich denke, viele dieser alten Partien sind immer noch wichtig“, sagt er. „Das Wissen um die Entwicklung von Ideen ist gut für dein Verständnis des Spiels.“

Seine Dominanz – Carlsen ist seit vier Jahren die Nummer eins der Weltrangliste – hat bereits eine ganze Generation beeinflusst. Dabei wirkt sein Stil weder spektakulär noch besonders modern, eher wie eine Renaissance vordigitaler Zeiten. Natürlich checkt auch Carlsen seine Systeme am Monitor, dennoch scheint in seiner Vorbereitung mehr Geist als Computerwissen zu stecken. Keine Frage, das prägt.

Und was prägte Carlsen? Vorbilder hat er laut eigener Aussage nie gehabt. Ein Name ist aber eng mit seinem Aufstieg verbunden: Simen Agdestein. Der heute 46 Jahre alte Hüne war fast zwanzig Jahre lang die Nummer eins in Norwegen, bevor Carlsen ihn 2006 ablöste. Schon an einem Winterabend des Jahres 2000 hatte Agdestein im kleinen Kreis erzählt, was für einen besonderen Schüler er neuerdings habe. Agdestein spielte damals für den Delmenhorster SK in der Schach-Bundesliga und berichte seinen Teamkollegen in einem Restaurant in der niedersächsischen Provinz von einem neunjährigen Jahrhunderttalent. Na ja, war man geneigt zu sagen, Talente gibt es viele.

Erst mit acht Jahren hatte Magnus angefangen, Schach zu spielen; ein Jahr später trainierte ihn Agdestein, der über eine erstaunliche Doppelbegabung verfügt: Er ist Schachgroßmeister und war auch Fußballprofi, kam sogar auf acht Länderspieleinsätze. Auf dem Rasen war Agdestein Stürmer, am Brett ist er ein Allrounder und nimmermüder Kämpfer. Ob der junge Magnus sich davon was abgeschaut hat? „Simen war ein großartiger Lehrer und eine Inspiration in meinen frühen Jahren“, sagt Carlsen heute. „Er begeisterte mich dafür, alle Arten von Eröffnungen zu spielen. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass ich mich in den unterschiedlichsten Positionen wohl fühle.“

Mit einer Mischung aus Kampfkraft, Mut und Flexibilität stieg Carlsen, aufgewachsen im beschaulichen Lommedalen bei Oslo, rasant zu einem Weltklassespieler auf. Henrik, sein Vater, Ingenieur von Beruf, zog mit ihm von Turnier zu Turnier, manchmal folgten auch die Mutter und die beiden Schwestern. Schon mit 13 war Magnus Großmeister. In der Schule fehlte er öfter, auch später am „Toppidrettsgymnas“ in Oslo, einem College für Topathleten, an dem er von einem alten Bekannten unterrichtet wurde: Simen Agdestein war hier mittlerweile Sport- und Schachlehrer.

Die Carlsen-Familie lebt inzwischen in einem Haus in Haslum, etwa 15 Kilometer von Oslo entfernt. Der 16. Weltmeister hat sich in der Souterrain-Wohnung eingerichtet. Die Miete aufzubringen stellte ohnehin nie ein Problem dar. Die zehn Partien in Chennai haben ihn noch eine Million Euro reicher gemacht. Martin Breutigam

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