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Immer hart am Mann. Weil Berti Vogts (r.) Johan Cruyff nicht mehr von der Pelle rückt, wird es für den Holländer ein sehr schmerzhaftes Finale. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Mein WM-Moment: Berti Vogts: „Ich pack mir den schon“

Mein WM-Moment (15) Schon in der ersten Minute des Finales läuft Johan Cruyff seinem Bewacher Berti Vogts zum ersten Mal davon, doch dann stellt der Verteidiger sein Spiel um, und fortan ist von Hollands Superstar nichts mehr zu sehen

Schlechter kann ein WM-Finale wirklich nicht anfangen. Gerade eine Minute war im Münchner Olympiastadion gespielt, wir hatten noch kein einziges Mal den Ball berührt, da lagen wir gegen die Holländer durch einen Elfmeter von Johan Neeskens schon 0:1 hinten. Der Angriff der Holländer war genauso abgelaufen, wie ich es befürchtet hatte. Johan Cruyff kam im Mittelkreis an den Ball, ich sollte ihn erst in der eigenen Hälfte aufnehmen, aber Johan kam mit Tempo auf mich zu, er zog an mir vorbei Richtung Strafraum, und Uli Hoeneß holte Cruyff schließlich von den Beinen. Bis vor zehn Jahren hat man mir das Foul sogar noch in die Schuhe geschoben. Aber darum geht es gar nicht. Entscheidend ist: Es war genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte.

Mir war klar: So würde ich Cruyff nicht stoppen können. Also bin ich raus an die Seitenlinie zu Helmut Schön und habe gesagt: „Ich mache es jetzt so, wie ich es für richtig halte.“ Er hat nur abgewinkt. Heute sagt man: Wir sind Weltmeister geworden, weil ich Johan Cruyff ausgeschaltet habe. Nein, die ganze Mannschaft hat das Spiel gewonnen, und ich war Teil davon. Ich hatte eine Aufgabe, die habe ich erfüllt – und fertig.

Vor dem Spiel sah es gar nicht gut für mich aus. Im Zwischenrundenspiel gegen Polen hatte ich einen Ausfallschritt gemacht und mich dabei an den Adduktoren verletzt. Das waren unglaubliche Schmerzen. Um mich herum haben sich alle über den Einzug ins Finale gefreut, nur ich saß da wie ein Miesepeter. Und dann bekommst du auch noch von allen Seiten zu hören: „Mach doch mal ein freundliches Gesicht!“ Das ist das Letzte, was man braucht. Ich hatte wirklich Angst, dass ich im Finale nicht spielen kann. Unser Masseur Erich Deuser, ein absoluter Fachmann, sagte noch: „Es wird eng, es wird sehr knapp.“ Eine Trainingseinheit habe ich gar nicht mitgemacht. Und bei der letzten vor dem Endspiel war ich ganz schlecht. Das war, als Günter Netzer praktisch so gespielt hat wie Johan Cruyff.

Nach dieser Einheit habe ich zum Bundestrainer gesagt: „Herr Schön, so, wie Sie das vorhaben, geht das nicht.“ Der Bundestrainer wollte, dass ich Cruyff erst 30 Meter vor dem Tor übernehme. „So kriege ich ihn nicht“, habe ich gesagt. „Doch“, antwortete Helmut Schön, „du musst im Verbund bleiben. Die Holländer locken dich sonst aus der Abwehr raus. Dann kommen sie durch die Mitte, und Franz steht ganz alleine da, Mann gegen Mann. Das darf nicht vorkommen.“

Später hat mich Helmut Schön noch einmal auf sein Zimmer geholt und mir gesagt: „Du musst Johan Cruyff neutralisieren. Wenn du das schaffst, werden wir Weltmeister.“ Ich hab ihm geantwortet: „Ich pack mir den schon.“

Cruyff war bis dahin der überragende Spieler der WM gewesen. Aber ich wusste, wie er spielt. Er versuchte immer nach innen zu gehen. Das durfte man nicht zulassen. Arjen Robben macht es genauso. Ich lache mich kaputt, wenn ich sehe, wie man gegen Robben spielt. Er wartet doch nur, dass du einen falschen Schritt machst, und dann zieht er von der rechten Seite nach innen, um mit seinem starken linken Fuß abzuschließen. Biet ihm das doch nicht an! Biet ihm doch die andere Seite an, wo er nur flanken kann mit seinem Holzfuß! Johan hat es genauso gemacht wie Robben. Er hat nur auf die Lücke gewartet – und dann ging er nach innen. Er besaß eine unheimliche Antrittsschnelligkeit, aber die hatte ich auch.

Johan war ein guter Typ. Wir kannten uns gut und haben uns auch wirklich gut verstanden. Wenn wir uns heute treffen, lacht er direkt. Wir standen damals beide bei Puma unter Vertrag und haben oft gemeinsame Auftritte gehabt. Außerdem hatte ich mit Gladbach drei Mal in Freundschaftsspielen gegen ihn gespielt – und, soweit ich mich erinnere, nie verloren. Für uns Gladbacher war jedenfalls klar: Die Holländer können gegen uns nicht gewinnen. Trotzdem: Wenn sie nach ihrer frühen Führung konsequent auf das 2:0 gespielt hätten, wären sie Weltmeister geworden. Stattdessen haben sie versucht, uns zu verarschen. Sie haben uns die Bälle nur durch die Füße gespielt oder am Standbein vorbei, da, wo du nicht hinkommst. So linke Dinger eben. Und dann haben sie gelacht. „Okay, Freunde“, haben wir uns gedacht.

Schon nach dreieinhalb Minuten hatte ich für ein Foul an Cruyff die Gelbe Karte gesehen. Johan wollte mehr Bälle haben und mich zu einem weiteren Foul provozieren, damit ich Rot bekomme. Aber ich wusste, wie ich mich verhalten musste. Ich war jetzt immer an ihm dran, und Cruyff wurde immer unzufriedener: Er war mit sich unzufrieden, er war mit seiner Mannschaft unzufrieden, er war mit allem unzufrieden. Einmal hat er den Wim Jansen richtig angeschissen: „Spiel mir den Ball in den Fuß!“ Sonst wollte er den immer in den Lauf bekommen, damit er das Tempo mitnehmen konnte. Wenn er den Ball in den Fuß bekommt, muss er sich erst drehen. Für mich war das der erste Hinweis: Den Zweikampf gewinne ich, jetzt ist es vorbei mit ihm.

Nach dem Pausenpfiff, auf dem Weg in die Kabine, ist Johan auf den Schiedsrichter los, er hat so lange auf ihn eingeredet, bis er die Gelbe Karte bekam. Ich war gleich in der Nähe und habe noch zum Schiedsrichter gesagt: „Das ist Rot. Der hat Sie beleidigt.“ Aber Mister Taylor hat auf meinen Rat nicht reagiert. Mein Englisch war wohl noch nicht so gut.

Aufgezeichnet von Stefan Hermanns.

* WM 1974, Berti Vogts

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