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Bernd Schröder, 72, führt seit 44 Jahren als Trainer und zwischenzeitlich auch als Manager das Regiment beim 1. FFCTurbine Potsdam. Den Verein führte er zu je sechs Meistertiteln in der DDR sowie nach der Wende in der Bundesliga. Unter seiner Leitung gewann Turbine zudem die Champions League 2010 und den Uefa-Cup 2005.

©  Jan Kuppert

Sport: „Es ist nicht der Anspruch, Dritter zu werden“

Bernd Schröder, Trainer des 1. FFC Turbine Potsdam, über die Notwendigkeit der Champions League für den Verein, die Verpflichtung ausländischer Spielerinnen, Führungsrollen und seine eigene Zukunft. Sonntag beginnt die Rückrunde der Liga

Herr Schröder, Turbine Potsdam steht vor dem morgigen Rückrundenstart in Frankfurt auf Platz drei der Frauenfußball-Bundesliga. Sie haben während der Winterpause wiederholt gesagt, dass die Mannschaft noch einmal angreifen will. Was sind die Mittel zur Attacke?

Wir haben in der Hinrunde Punkte verschenkt, die wir nicht hätten liegen lassen dürfen. Das hatte Ursachen, einige Dinge sind nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben uns blenden lassen, nach fünf Spielen Spitzenreiter zu sein, obwohl wir da bereits schlechten Fußball gespielt haben. Wir haben zu viele Gegentore bekommen und zu wenig Chancen verwertet. Durch die Verletzungen von Johanna Elsig und Lia Wälti und die Wechselabsichten von Julia Simic hat die Mannschaft an Stabilität verloren. Dazu kam, dass wir Fehler im Training gemacht hatten: Die Mannschaft war nicht spritzig genug. Die Summe aller Faktoren und Fehler führte dazu, dass wir die entscheidenden Spiele nicht gewonnen haben. Darauf haben wir reagiert. Wir haben uns für die Torhüterposition etwas einfallen lassen, indem wir Chinas Nationaltorhüterin Wang Fei geholt haben. Und für den engeren Abwehrbereich haben wir Nina Frausing Pedersen verpflichtet, eine dänische Nationalspielerin. So wollen wir aus einer kompakteren Defensive schneller nach vorn spielen.

Sie haben Fehler im Trainingsprozess angesprochen. Was genau haben Sie als erfahrener Cheftrainer dabei analysiert?

Ich glaube, dass die Ursachen für die Probleme im athletischen Bereich lagen. Wir haben zu viel im Maximalkraftbereich gearbeitet. Das hat dazu geführt, dass wir neue Ideen der Spielkultur nicht umsetzen konnten, die wir mit Fußballlehrer Achim Feifel, der zu Saisonbeginn zu uns gekommenen ist, entwickelt haben. Darauf haben wir reagiert.

Stichwort Spielkultur: Wie ist Ihr Eindruck nach der Bundesliga-Hinrunde – wie sehr hat sich das Niveau geändert und wo steht Turbine, was die spielerische Qualität angeht?

Die wesentlichsten Änderungen hat es im athletischen Bereich gegeben. Die Mannschaften sind nicht mehr ab der 70. Minute tot, sondern halten bis zum Schluss dagegen. Daher sind wir gefordert, uns im spielerischen Bereich zu verbessern, ohne die Tugenden, die uns früher ausgezeichnet haben, zu vernachlässigen: Ausdauer, Athletik und Schnelligkeit. Ich glaube, dass wir den Vorsprung eingebüßt haben – nicht weil wir weniger oder Dinge anders gemacht haben, sondern weil die anderen auch angekommen sind. Fußballerisch haben wir viele Defizite zu verzeichnen.

Die aktuell klangvollen Namen des deutschen Frauenfußballs liest man derzeit nicht zwingend in Potsdam. Fehlt es der Mannschaft an Leit- und Identifikationsfiguren?

Früher hatten wir in Potsdam andere Spielerpersönlichkeiten – nicht umsonst wird Nadine Keßler Weltfußballerin. Ich denke auch an Nadine Angerer oder Anja Mittag. Momentan haben wir diese großen Persönlichkeiten nicht in unserer Mannschaft. Wir hatten die Hoffnung, dass Julia Simic in diese Rolle wächst, aber sie konnte die ihr zugedachte Führungsrolle nicht ausfüllen. Hinzu kam der Ausfall von Johanna Elsig und Lia Wälti, die das Potenzial zu Führungsspielerinnen haben.

Persönlichkeitsentwicklung hat ja viel mit Ausbildung, Schulung und langer Arbeit zu tun. Sie haben zu Beginn der Saison gesagt, dass genau dies der Weg bei Turbine Potsdam sein soll: eigene junge Talente fördern und zu Spielerpersönlichkeiten entwickeln. Schaut man sich die Mannschaft an, ist sie international aufgestellt, auch in der Winterpause wurden ausländische Spielerinnen geholt. Verabschieden Sie sich vom eigenen Kurs?

Man kann Sportler nur entwickeln, wenn man Vorbilder hat. Deshalb brauchen wir natürlich Leute, die vorangehen. Das hatten wir in früheren Jahren mit Hingst, Angerer, Wimbersky oder Pohlers. Als Anja Mittag mit 17 Jahren hierherkam, hatte sie solche Leute wie Jennifer Zietz vor sich. Wir hatten immer Spielerinnen, an denen sich andere orientieren konnten. Es fehlt im Moment eine deutsche Nationalspielerin in unseren Reihen, die diese Vorbildfunktion ausstrahlt. Deshalb haben wir Spielerinnen geholt, wie die beiden Amerikanerinnen, von denen wir dachten, dass sie uns mit ihrer Mentalität weiterhelfen. Das hat nicht funktioniert. Doch Talente wie Felicitas Rauch und Pauline Bremer brauchen Führungsspielerinnen, egal ob Ausländerin oder Deutsche, in ihrer Nähe.

In der Vergangenheit haben Sie nicht immer das beste Händchen bei Neuverpflichtungen bewiesen – wie zuletzt im Sommer mit den beiden angesprochenen US-Amerikanerinnen Deines und Mercik, die keine Rolle spielen. Hat Turbine ein Problem bei der Sichtung neuer Spielerinnen?

Es gibt immer Leute, die einem Spieler anbieten. Normalerweise müsste man die dann erst einmal eine gewisse Zeit hier haben, um sie sich anzuschauen. Wir mussten uns bei den beiden Amerikanerinnen allerdings auf die Empfehlung verlassen, weil wir einen personellen Engpass hatten und reagieren mussten. Aber es hat nicht funktioniert. Es sind Fehleinkäufe. Aber – und das muss man den beiden zugutehalten – im Trainingsprozess ziehen sie gut mit.

Es braucht sicher Zeit, ehe eigene Führungspersönlichkeiten reifen und heranwachsen. Wie geduldig sind Sie? Spüren Sie Druck?

Wir haben großen Druck. Wir haben den Anspruch, international Fußball zu spielen. Das haben wir uns ja selbst erarbeitet. Wenn wir immer Dritter geworden wären, würden wir froh sein, wieder Dritter zu werden. Aber das ist ja nicht der Fall. Die Frage der Geduld stellt sich ja nicht nur uns, sondern auch unseren Sponsoren.

Ist daher die Qualifikation für die Champions League eine Notwendigkeit?

Es ist notwendig, dass wir uns wieder für die Champions League qualifizieren. Wenn wir Dritter oder Vierter werden, ist das nicht der Anspruch, den wir als Verein haben und auch nicht von Spielerinnen, mit denen wir im Gespräch sind. Wir haben die Absicht, zwei deutsche Nationalspielerinnen hierherzuholen. Die sind 24, 25 Jahre alt und eine war bereits schon mal bei uns. Die wollen natürlich international dabei sein. Wir können aber auch nicht sagen, wir warten damit drei Jahre. Das ist Quatsch. Wenn du einmal weg bist vom Fenster, dann bist du weg. Wenn wir es bei den Bedingungen, die wir hier haben, und der guten Betreuung, die die Spielerinnen bekommen, nicht schaffen, dann gibt es zwei Gründe für das Scheitern: entweder wir trainieren falsch oder die Qualität der Einzelspielerinnen reicht nicht.

In der Vorsaison hatte Turbine zum ersten Mal nach fünf erfolgreichen Jahren die Qualifikation für die Champions League verpasst. Inwieweit hat sich das auch finanziell bemerkbar gemacht?

Wir würden in den vergangenen Jahren schlecht gewirtschaftet haben, wenn wir durchrutschen würden, weil wir einmal nicht teilnehmen. Wir haben gewisse Rücklagen, damit kann man mal ein oder zwei Jahre überbrücken, wobei das zweite Jahr bereits kritisch wird. Aber im Moment sind wir gut aufgestellt, was wir unserer kontinuierlichen Arbeit der vergangenen Jahre zu verdanken haben. Wir sind ja der einzige Fußballverein im Osten Deutschlands, bei dem man von Kontinuität sprechen kann.

Aber wie sieht denn die Perspektive aus, wenn es am Ende dieser Saison nur zu Platz drei reichen sollte?

Wir haben genug junge Spielerinnen in der Hinterhand – darunter mehrere Nachwuchs-Nationalspielerinnen. Aber die werden uns natürlich nicht den ersten oder zweiten Platz bescheren. Das ist das Problem. Du kannst zwar immer von Geduld reden, aber du brauchst auch den Erfolg.

Das nächste Spiel in Frankfurt hat bereits richtungsweisenden Charakter. Wie wird es gelingen, das nicht zu überhöhen und als Alles-oder-nichts-Spiel zu betrachten, aber dennoch die nötige Anspannung zu finden?

Das ist schwer, denn bei dem Spielermaterial, das wir haben, muss man davon ausgehen, dass einige eine unterschiedliche Wahrnehmung bei der Bedeutung der Partie haben. Daraus müssen wir eine Symbiose finden – alle müssen dasselbe Ziel verfolgen und vor allem sich über die Art und Weise, wie man das Ziel erreichen möchte, im Klaren sein. Unsere früheren Spielerinnen wussten damals, worum es geht, wenn man gegen Frankfurt spielt. Den musste man nicht die Brisanz erklären. Wie sollst du das heute jemandem klarmachen, der davon gar keine Vorstellung hat? Und wenn du ihnen die Tradition dieser Begegnung klarmachst, kann es sein, dass es nach hinten losgeht.

Aber allein die Konstellation, dass man als Dritter gegen den Vierten und aktuellen Champions-League-Teilnehmer spielt, sollte doch Motivation genug sein – völlig unabhängig von der Historie.

Das meine ich ja: Den Druck müssen die Leute selbst entwickeln. Denn diese Feindschaft – in Anführungsstrichen – zwischen den beiden Klubs gibt es heute gar nicht mehr. Das hat sich gesättigt, weil Teams wie Wolfsburg und Bayern München dazu gestoßen sind. Es ist einfach so: Wenn wir das erste Spiel gleich verlieren, ist das ein Rückschlag. Nicht nur tabellarisch, sondern besonders für das Selbstvertrauen.

Wie halten Sie persönlich die Anspannung aus?

Was Frankfurt betrifft, bin ich wesentlich gelassener geworden, denn die Rivalität und Gehässigkeiten zwischen diesen beiden Mannschaften sind auf ein Mindestmaß zurückgefahren worden. Da denkt man sachlicher, die Emotionen sind nicht mehr so hoch.

Eine Frage zum Abschluss zu Ihrer Person: Sie sind mit 72 Jahren der dienstälteste Trainer im Fußballgeschäft. Wie lange geht Ihre eigene Planung bei Turbine Potsdam ?

Ich habe mich immer sehr zurückgehalten, wenn es um solche Planungen geht. Wir sind mit unserem Trainerteam gut aufgestellt. Wenn ich morgen nicht mehr laufen könnte, wären wir jederzeit in der Lage, das Geschäft gut weiterzuführen. Wir hätten kein Vakuum, wenn ich nicht mehr Trainer wäre. Ich bestimme aber selber, wann ich dem Verein nicht mehr zur Verfügung stehe. Und dann möchte ich ein bestelltes Feld hinterlassen. Mit Fußballlehrer Achim Feifel, der sehr akribisch arbeitet und viele gute Dinge bislang eingebracht hat, meinem jahrelangen Co-Trainer Dirk Heinrichs und unserem neuen Torwarttrainer Fabian Eberle habe ich viele junge Leute um mich herum versammelt. Wenn man hier jemanden herholt, muss der immer auch die Zeit haben, sich die Philosophie des Vereins anzugucken. Er muss lernen, den Klub zu verstehen. Das kannst du in einem halben Jahr nicht machen. Unser Vorteil ist, dass wir nicht jemanden nach Potsdam holen werden, um dann zu sagen: So, ab morgen bist du es! Wir haben stattdessen die Möglichkeit gegeben, sich hier gemeinsam im Team zu entwickeln. Das ist die ideale Lösung.

Das Interview führten Peter Könnicke und Tobias Gutsche

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