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Dunkle Wolken über den Ringen. Ob Olympia im nächsten Jahr stattfinden kann, ist ungewiss.

© imago images/Kyodo News

DOSB-Präsident Alfons Hörmann im Interview: „Besser Olympische Spiele mit Kompromissen als gar keine“

Sind die Olympischen Spiele im nächsten Jahr realistisch? DOSB-Präsident Hörmann spricht über die Chancen von Tokio 2021 und was die Alternativen sein könnten.

Herr Hörmann, wo wären Sie jetzt, gäbe es kein Coronavirus?
Auf jeden Fall in Tokio.

Schmerzt es Sie, wenn Sie daran denken, dass an diesem Freitag die Olympischen Spiele beginnen sollten?
Wenn ich an die Eröffnungsfeier denke und das, was in den nächsten Wochen bei den Olympischen und Paralympischen Spielen folgen würde, kommt schon Wehmut auf. Gleichzeitig gilt: Zeiten ändern sich, Träume bleiben, und diese werden hoffentlich nur um ein Jahr verschoben.

Wie haben Sie die Reaktionen auf die Absage von Seiten der Athleten erlebt?
Das war eine Mischung aus Erleichterung, dass jetzt endlich Klarheit herrscht, und gleichzeitiger großer Enttäuschung bei vielen. Es hängen ja nicht nur Träume, sondern auch ganze Lebensplanungen an den Olympischen und Paralympischen Spielen. Mittlerweile haben aber die meisten Athleten für sich das Positive entdeckt. Viele haben auch das Angebot unserer Sportpsychologen und der Laufbahnberater an den Olympiastützpunkten genutzt, die bei der Neu- oder Umplanung der dualen Karriere wertvolle Unterstützung geleistet haben. Viele Athletinnen und Athleten nutzen nun auch die gewonnene Zeit, um sich physisch, mental und technisch in Ruhe weiter zu verbessern.

Halten Sie es für realistisch, dass die Spiele – wie momentan vorgesehen – im kommenden Jahr stattfinden können?
Wir hoffen sehr, dass es klappen wird. Aber das hängt von der Entwicklung der Pandemie ab. Alle unsere Planungen und Vorbereitungen gehen von der Umsetzung im Jahr 2021 aus. Aber verantwortungsvolles Management bedeutet natürlich auch, dass man sich mit alternativen Szenarien beschäftigt.

Alfons Hörmann, 59, ist seit 2013 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes.

© dpa

Wäre für Sie Olympia mit keinen oder sehr wenigen Zuschauern eine Möglichkeit?
Spiele ohne Zuschauer sind im Moment schwer vorstellbar, aber wenn wir tatsächlich vor der Frage stehen, Spiele mit Kompromissen oder keine Spiele, wäre wohl die Umsetzung mit Einschränkungen die eindeutig bessere Alternative.

Wenn die Spiele komplett ausfallen würden, welche Folgen hätte dies für den Sport hierzulande?
Das hätte weitgehende wirtschaftliche, sportliche und strukturelle Folgen, die derzeit nur schwer abschätzbar sind. Das würde den Weltsport und auch den Sport in Deutschland sicher nachhaltig verändern.

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Wie hoch sind jetzt schon die Kosten für den deutschen Sport durch die Coronavirus-Krise?
Unsere Erhebungen von der Vereinsebene bis in den Spitzensport zeigen, dass es insgesamt in den Milliardenbereich geht. Vieles wird sich aber erst 2021 und noch später konkret und sichtbar auswirken. Von verschiedenen Seiten hören wir: Den Sommer und vielleicht den Herbst überstehen wir noch irgendwie mit den Rücklagen der Vergangenheit und einem straffem Kostenmanagement. Aber über den Winter kommen wir nicht mehr ohne Wettkampfbetrieb. Für die Vereine stellt es eine riesengroße Herausforderung dar, in der aktuellen Situation den Mitgliederbestand konstant zu halten. Je nachdem, wie sich die Pandemie weiter entwickelt, hat das ganz erhebliche Auswirkungen auf alle Strukturen des Sports.

Im Profifußball gab es früh Geisterspiele. Andere Sportarten wollen das auch. Ist der Fußball zuletzt bevorteilt worden?
Nein. Die DFL und der DFB haben frühzeitig und professionell ein Konzept entwickelt, von dem auch andere Sportarten profitiert haben. Mit dem gelungenen Neustart der Bundesliga wurden somit Wege aufgezeigt, wie man professionellen Sport auch unter schwierigen Rahmenbedingungen und Auflagen organisieren kann. Doch das ist eben nicht 1:1 auf andere Sportarten zu übertragen, zumal der finanzielle Hintergrund in der Regel ein völlig anderer ist und auch die anderen Rahmenbedingungen sich deutlich unterscheiden.

Hinsichtlich der geplanten Olympischen Spiele für das nächste Jahr sind die Bedingungen für die sich zu qualifizierenden Athleten nicht immer gleich. Die Maßnahmen zum Infektionsschutz sind sehr unterschiedlich. Glauben Sie, dass eine Chancengleichheit für 2021 gegeben sein wird?
Alles hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Weltweite Chancengleichheit ist schwer zu schaffen, wenn man die verschiedenen Voraussetzungen zum Training und Wettkampfbetrieb betrachtet. Auch im Normalzustand sind die Rahmenbedingungen von Land zu Land und Kontinent zu Kontinent sehr unterschiedlich. Aber möglicherweise wird sich durch die Pandemie vieles verschieben und die Unterschiede werden coronabedingt noch größer.

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Apropos Chancengleichheit: Befürchten Sie, dass durch die Coronavirus-Pandemie vermehrt gedopt wird? Schließlich wurde zuletzt nicht so viel getestet.
Da die Standards der Dopingkontrollen weltweit ohnehin immer noch unterschiedlich sind, ist das schwer einzuschätzen. Die Situation mit den eingeschränkten Dopingkontrollen kann aber zweifelsohne Auswirkungen haben, weil mögliche kontrollfreie Zeiträume von denen genutzt werden können, die nicht bereit sind, auf jegliche Form von Manipulation verzichten.

Haben Sie, sollten die Spiele in Tokio stattfinden, ein sportliches Ziel für die deutsche Mannschaft bei Olympia?
Das ist im Moment nicht unser vorrangiges Thema. Wichtig ist erst einmal, dass wir jetzt nach und nach in den nationalen und internationalen Wettkampfmodus kommen. Danach gilt es, faire Qualifikationsszenarien zu sichern, und dann werden wir uns mit dem gesamten Team D bestmöglich auf die Spiele vorbereiten. Die Athletinnen und Athleten werden aber sicher an ihren eigenen ehrgeizigen Zielstellungen festhalten und alles dafür tun, ihren eigenen olympischen und paralympischen Traum zu verwirklichen.

IOC-Präsident Thomas Bach will wiedergewählt werden. Unterstützen Sie sein Vorhaben?
Wir begrüßen es sehr, dass Thomas Bach seine Bereitschaft für eine zweite Amtszeit als IOC-Präsident erklärt hat und wir wünschen ihm dabei viel Erfolg. Es liegen schwierige, aber zugleich erfolgreiche sieben Jahre hinter ihm, und gerade in der nun herausfordernden Zeit der Pandemie braucht der Weltsport eine starke Führung. Auch Sportdeutschland braucht ein starkes IOC.

Das Interview mit Alfons Hörmann wurde von Martin Einsiedler auf schriftlichem Wege geführt.

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