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Ines Geipel.

© dpa

Anti-Doping-Arbeit in Brandenburg: Kaputte Helden

Ines Geipel ist Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins. Seit einem Jahr ringt sie mit dem Land Brandenburg und dem Landessportbund um Unterstützung für eine Beratungsstelle für Doping-Geschädigte. Was sie bekommt, nennt sie „Totalabwehr“.

Frau Geipel, erst in der vergangenen Woche gab es bei einer Potsdamer Sportveranstaltung einen Stand der Nationalen Dopingagentur, an dem sich Athleten, Trainer und vor allem auch Eltern junger Sportler über die Folgen von Doping informieren konnten. Es wird von staatlicher Seite viel getan, um über Doping aufzuklären. Andererseits warten nachweisliche Dopingopfer seit vielen Jahren auf Hilfe vom Staat. Was läuft da verkehrt?

Den zerkratzten Glanz will man nicht sehen. Machen wir es doch gleich konkret: Das Spiel Deutschland gegen Algerien haben fast 30 Millionen im Land gesehen. Die FIFA diskutiert grade, dass der 4.Auswechselspieler kommen muss, weil die Spiele so rasant geworden sind. Aber wieso sind sie das eigentlich? Woher kommen diese ganz neuen Körper, die ab der 60. Minute immer schneller werden? Oder auch, wer macht die Schlussbilanz auf, die immer erst 20, 30 Jahre nach dem schönen Spiel zu sehen ist? Wir leisten uns ein Heer moderner Sportsoldaten, aber wenn die später sagen, hier, das ist mein Krebs, mein kaputtes Hirn, mein behindertes Kind, dann ist auf einmal niemand mehr da. Der globale Sport funktioniert wie ein Megakonzern, mit 700 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Die Summe wird eingestrichen, aber das Risiko zahlen allein die Athleten. Das wird nicht mehr so gehen.

Ines Geipel (53) war Leistungssportlerin (Sprint) in der DDR, bis 1985 die Staatssicherheit ihre Karriere beendete. Nach dem Mauerfall engagierte sich die Autorin für die Aufarbeitung des DDR-Zwangsdoping-Systems, wofür sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde. Seit vergangenem Jahr ist sie Vorsitzende des Dopingopfer-Hilfevereins, der mit einer Beratungsstelle Betroffenen Unterstützung bietet.

Seit einem Jahr führt der Doping-Opfer-Hilfeverein (DOH) mit dem Landessportbund Brandenburg (LSB) eine Auseinandersetzung um finanzielle Hilfe für eine Beratungsstelle Ihres Vereins. Bislang ohne Ergebnis. Vielmehr beklagt LSB-Präsident Wolfgang Neubert, dass er den LSB zunehmend in eine Täterrolle gedrängt sieht. In welcher Rolle sehen Sie den Landessportbund und was erwarten Sie von diesem?

Das Bewusstsein, dass Verantwortung und Kosten entstehen, wenn Schäden da sind, ist noch immer reichlich unterbelichtet. Da sind die Landessportbünde bislang nicht viel anders unterwegs als die Politik. Gegenwärtig sind wir ja noch dabei, vor allem die Schäden aus der DDR-Zeit aufzufangen und da seriöse Nachfolgestrukturen über Jahre hinaus aufzubauen. Da kann sich der LSB sträuben und abwehren wie er will, die werden kommen. Es gibt klare Forderungen der Brandenburgischen Enquetekommission an den LSB, die DDR-Opfer konkret und aktiv zu unterstützen. Insofern ist es ganz unnötig, dass der LSB weiter irgendwelche Palisaden aufstellt. Und wieso überhaupt Täterrolle? Wir reden von Verantwortung. Und die ist überfällig. Dieses komische Rumgehampel vonseiten des LSB, all die Abwehrspiele, all das kann man sich sparen. Etwa wenn die LSB-Spitze sagt, sie hätte einen Antrag gestellt auf Mitgliedschaft in de Dopingopfer- Hilfe. Real haben sie in einer Mail mitgeteilt, dass sie eine DOH-Mitgliedschaftprüfen wollen. Oder: Der DOH hätte mit den zuständigen Stellen in den anderen ostdeutschen Bundesländern ja gar keinen Kontakt aufgenommen. Dabei weiß der LSB genau, dass die Dopingopfer grade Thema auf der Sportreferentenkonferenz aller Bundesländer waren. Na, in dem Stil geht das die ganze Zeit. Trostlos das.

Gerade die Verantwortung für die Unterstützung von Dopingopfern zu übernehmen, scheint in Brandenburg immer größer zu werden, weil sich inzwischen immer mehr Betroffene bei Ihrem Verein melden. Der LSB hat seine grundsätzliche Bereitschaft zur Unterstützung der Betroffenen erklärt. Er zögert aber, die Beratungstätigkeit des Doping-Opfer-Hilfevereins finanziell mit abzusichern und verweist vielmehr auf die Möglichkeit, dass sich Betroffene direkt an den LSB wenden. Warum funktioniert das Ihrer Meinung nach nicht?

Anzunehmen, dass jemand mit einem schweren Krebs oder mit kaputten Eierstöcken beim Landessportbund an die Türklopft, das ist doch der blanke Zynismus. Die Schäden sind noch dazu oft derart schwer, dass die Betroffenen das Haus gar nicht mehr verlassen können. Und da soll man dort anklopfen, wo immer noch die Althengste sitzen? Bislang war es nicht möglich, den Verantwortlichen beim Landessportbund und auch gegenüber Sportministerin Münch begreiflich zu machen, dass es derart akute Fälle gibt, dass wir nicht mehr fünf Jahre warten können, ehe etwas passiert. Nach der Informationsveranstaltung und Podiumsdebatte zur Lage der Dopingopfer in Potsdam am 26. Mai sind nun schon wieder sechs Wochen vergangen. Wir dachten, dass die Sportministerin nach dem Ergebnis und Eindruck dieser Veranstaltung mit uns Kontakt aufnimmt und tatsächlich etwas über die Dopingopferhilfe wissen will. Wie wäre es mit einem Runden Tisch, an dem die Ministerin, der Landessportbund und der Doping-Opfer-Hilfeverein zeitnah zusammenkommen, um über konkrete Hilfe für die Betroffenen nachzudenken, die in Brandenburg leben? Wir sind jedenfalls da.

Warum trauen Sie, nach all den Erfahrungen, die Sie jetzt mit Brandenburg gemacht haben, dem Land und dem Landessportbund dennoch zu, eine Vorreiterrolle und Pilotfunktion für andere Bundesländer beim Umgang mit DDR-Dopingopfern zu übernehmen?

Es hat nun mal die Enquetekommission gegeben. Das ist Zeit, das ist Aufklärung, das sind Steuergelder. Und da muss jetzt was draus folgen. Eher gehen wir sowieso nicht aus dem Ring. Das sind wir den Geschädigten schuldig. Das betrifft die anderen Länder genauso. Diese Gespräche und die Einigung auf konkrete Unterstützung, das wird ganz pragmatisch passieren, weil es gar nicht mehr anders geht. Innerhalb eines halben Jahres haben sich seit Eröffnung der Beratungsstelle 500 Geschädigte gemeldet. 500 in einem halben Jahr! Für die brauchen wir jetzt echte Lösungen. Für all die kaputten Organe, die Pychosen, die Tumore, kranken Rücken, Gelenke und behinderten Kinder. Man kann nicht von uns verlangen, dass wir als Dopingopferhilfe zur Black-Box des deutschen Sports werden. Wir sind keine Schadensverwalter. Wenn die Gesellschaft auf ihren schrecklichen Spaß aus ist, muss sie auch für die Folgen aufkommen.

Waren Sie von der Fülle der Betroffenen, die sich in nur einem halben Jahr gemeldet haben, überrascht?

Ja, klar. Der Bedarf und die Not sind immens, und beides steigt mit jedem Tag. Und das macht nur umso deutlicher, dass es jetzt um wirklich Konkretes geht. Kein Blabla mehr, nicht mehr diese gespielte Ahnungslosigkeit der Politik oder das bräsige Nein der Landessportbünde. Die wir als DOH betreuen, das waren einmal große Talente, unsere Helden. Wir haben sie bejubelt. Jetzt sind sie kaputt, und wir tun nun so, als gäbe es sie nicht, als wäre dieser Kollateralschaden schlichtweg nicht da. Das ist bitter und alarmierend.

Die Führung des Landesportbundes hatte vor einem Jahr eine basisdemokratische Diskussion und eine Befragung der Mitgliederversammlung zur finanziellen Unterstützung des Doping-Opfer-Hilfevereins angekündigt, es dann aber nicht getan. Sie haben kritisiert, dass der Landessportbund seine Zusage nicht eingehalten und nicht einmal eine Debatte stattgefunden hat. Verwundert Sie, dass von den Mitgliedern, also von Sportvereinen, keine Initiative ausgeht, eine solche Diskussion zu führen?

Ich kann mich gut an das erste Gespräch mit Brandenburgs Diktaturbeauftragten Ulrike Poppe und der LSB-Spitze erinnern. Da gab es diese Totalabwehr erst einmal so nicht. Dann aber drehten die Herren bei und verweigerten jegliche Kommunikation, die zu etwas Konkretem hätte führen können. Meines Erachtens hat das mit dem Klima im Landessportbund selbst zu tun. Ein Stück weit  Verantwortung, ach, nur ein einziger Cent, würde heißen: Das war vielleicht doch nicht alles so toll, damals im so schönen DDR-Sport. Und über diese Wasserscheide kommt der LSB bislang nicht drüber. Hier stünde freilich Ministerin Münch in der Verantwortung. Aber was weiß man über die schweren Hypotheken im brandenburgischen Sport? Und ist das Nichttun dann Uniformiertheit, Indolenz oder Kalkül?

Sie meinen, dass es in den Vereinen kein oder wenig Interesse ander Lage der DDR-Dopingopfer gibt?

Das dürfte gen null tendieren. Die Veranstaltung im Landtag zur Situation der Dopingopfer war da ja doch eine gute Realitätsschau und wie eine surreale Zeitreise. Dabei immer wieder die seltsame Personalisierung und auch Diskreditierung, wenn mal jemand einen kritischen Satz über den Sport in Brandenburg sagt. Ein System wie aus der Zeit gefallen, ohne Steuer,  ohne Haltung, ohne wirkliche Entscheidung.

Die Frage ist also, wer Verantwortung für die Athleten übernimmt als Protagonisten des Massenphänomens Sport, der ja weit mehr ist als athletischer Wettstreit, sondern Show, Propagandamittel, Werbezweck und Marketinginstrument.

Das ist der Punkt: Wenn man den Trend sieht – und der ist global – , wäre es doch nur umso wichtiger, dass eine Miniparzelle wie ein Landessportbund und die Politik dazu klare Positionen haben. Denn die Schadensbilanz im Sport ist durch nichts gedeckt, und sie wächst chronisch. Die Frage, was für einen Sport sich ein Land leistet, und welchen Preis es bereit ist dafür zu zahlen, die wird man beantworten müssen. Im Großen wie im Kleinen, Achselzucken bringt da nicht weiter. Nichts gegen ein Millionenspektakel, wenn nicht zeitgleich außerhalb allen Jubels ein Drama liefe, für das Sport und Politik gleichermaßen die Verantwortung tragen.

Das Gespräch führte Peter Könnicke

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