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2015 ist die letzte Berliner Initiative für Olympische Spiele gescheitert.

© Thilo Rückeis

Initiative der Berliner Profivereine: Am Ende könnte eine erneute Olympia-Bewerbung stehen

Berlin hat viele Probleme – aber keine übergreifende Lösung. Ein sportliches Großereignis wie Olympische Spiele könnten das ändern. Ein Gastbeitrag.

Berlin ist ein Sehnsuchtsort für Menschen aus der ganzen Welt. Immer mehr wollen die Hauptstadt besuchen, immer mehr wollen hier leben. Jeden Tag bewegen sich rund 250 000 bis 300 000 Gäste durch die Stadt. Je nach Prognose wird 2030, spätestens aber 2035 die Zahl von vier Millionen Einwohnern erreicht sein. Berlin boomt, die Wirtschaft floriert, neue Arbeitsplätze werden geschaffen, steigende Steuereinnahmen haben den Berliner Haushalt in ungeahnte Höhen getrieben.

Dieses Wachstum bringt viele Herausforderungen mit sich. Die Hauptstadt verdichtet sich, es drängt an allen Ecken und Enden. Der Wohnraum ist knapp, die Straßen und die Bahnen sind zusehends überfüllt, es mangelt in der ganzen Stadt an Kitaplätzen, der Sanierungsstau an den Schulen ist groß. Die nachhaltige Einbindung von Migranten in unsere Gesellschaft ist eine Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Die Berliner Verwaltung ist nach jahrelangem Sparkurs nicht für die anstehenden Aufgaben ausgerichtet und soll zur Bewältigung der Anforderungen neu aufgestellt werden. So weit, so bekannt. Das alles sind Herausforderungen, die vielfach diskutiert wurden. Und in jedem Bereich wird an kurzfristiger Besserung gearbeitet.

Woran es jedoch mangelt, ist eine übergreifende Lösung. Denn es sind Herausforderungen, die nur bewältigt werden können, wenn die wachsende Stadt systematisch, nachhaltig und mit einer übergeordneten Strategie gestaltet wird, die alle Bereiche unserer Gesellschaft berücksichtigt und miteinander vernetzt. Was wir brauchen, ist nicht weniger als ein Masterplan für Berlin. Einen Plan, wie wir unsere Stadt im Sinne einer modernen, offenen und zukunftsfähigen Gesellschaft gestalten wollen. Der Sport kann dabei als gesellschaftliche Klammer eine zentrale Rolle spielen.

Berlin erlebt Sport: Spitzensport begeistert die Menschen und weckt Emotionen. Er bietet Gemeinschaftserlebnisse und stärkt die Identifikation der Berliner mit ihrer Stadt. Die Hauptstadt stellt regelmäßig das größte Team innerhalb des deutschen Olympia-Kaders. Rund 150 Mannschaften der Ersten und Zweiten Bundesliga ringen in den verschiedensten Sportarten täglich um den Erfolg – so viele wie in keiner anderen deutschen Stadt. Im Profisport ist Berlin unangefochtener Spitzenreiter Deutschlands, wenn nicht sogar Europas. Die Hauptstadt hat eine Anzahl an Profiklubs wie keine andere deutsche Stadt: Mit Hertha und Union, Alba, den Eisbären, den Füchsen und den BR Volleys verfügt Berlin über eine einzigartige Dichte in den publikumswirksamen Team-Sportarten. Berlin bietet regelmäßig die Bühne für sportliche Großveranstaltungen von internationalem Renommee. Und auch die alljährlichen Berliner Sport-Großveranstaltungen wie der Berlin-Marathon, das Istaf oder das DFB-Pokalendspiel ziehen die Massen an.

Gemeinsamer Nenner Sport

Berlin treibt Sport: Mehr als 600 000 Berliner sind unter dem Dach des Landessportbundes in mehr als 2000 Vereinen organisiert. Weitere 500 000 Einwohner Berlins sind regelmäßig sportlich aktiv, ohne in einem Verein organisiert zu sein. Sport bringt die Menschen in Bewegung. So wird das Wohlbefinden jedes Einzelnen verbessert und das Gesundheitssystem entlastet. Nirgendwo sonst lernt man mehr über Teamplay, Fairness, Konfliktlösung und den Umgang mit Sieg und Niederlage.

Sport fördert ein sozialeres Miteinander und bringt Menschen zusammen – ungeachtet von Herkunft, Geschlecht, Alter, sozialer Stellung, Glaube oder sexueller Gesinnung. Ein hoher Wert in einer Gesellschaft, in der Orte, wo Menschen regelmäßig zusammen kommen, selten geworden sind. Rassismus und Diskriminierung gibt es vor allem dort, wo sich Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Lebensweisen selten begegnen. Im Sport hingegen ist Integration gelebter Alltag. Menschen treffen sich, um gemeinsam zu spielen. Sie lernen sich kennen, bringen sich ein und verbinden sich.

Über den gemeinsamen Nenner Sport erhält die Frage der Integration und des gemeinschaftlichen Miteinanders eine ganz andere Relevanz, als sie es heute hat. Der Raum für den Rechtspopulismus wird dadurch kleiner, während die Werte des Sports – Miteinander, Füreinander, Respekt und Akzeptanz – eine größere Bedeutung bekommen.

Der Sport engagiert sich und gestaltet, er stiftet Identifikation und arbeitet an den gesellschaftlichen Herausforderungen. Sport ist ein stark verbindendes Medium und ein wichtiger Sozialakteur. Die Bedeutung des Sports für die Gesellschaft wird allerdings nur ungenügend anerkannt und genutzt. Dabei kann er in vielen Bereichen eine Klammerwirkung ausüben, als Bindeglied zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Berlin sollte seine diversen Herausforderungen nicht isoliert sehen, sondern in einer Gesamtstrategie zusammenbinden. Der Sport und insbesondere sportliche Großveranstaltungen können hierfür ein zusammenführender Faktor sein.

Eine Idee das 21. Jahrhundert

Berliner Vielfalt

Die zentrale Frage ist, wie Sport-Großveranstaltungen von weltweiter Bedeutung zukünftig besser für die Stadt nutzbar gemacht werden. Gerade angesichts aktueller Debatten um Korruption, Gigantismus und Doping kann Berlin ein Gegenmodell entwickeln. Dafür, wie Großveranstaltungen in einer modernen demokratischen Metropole aussehen sollten. Am Ende dieses Weges könnte eine erneute Olympia-Bewerbung Berlins stehen. Entscheidend wäre dabei, dass diese von einer überragend positiven Vision geleitet wird. Berlin müsste einen Weg finden, Olympische Spiele zeitgemäß zu verändern und neu aufzuladen. Dazu müsste die olympische Idee wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden und dazu genutzt werden, die Stadt nachhaltig positiv zu entwickeln. Nur so könnte eine Bewerbung einen entscheidenden Mehrwert für die Stadtbevölkerung schaffen.

Bei der letzten Interessensbekundung wurde auf richtige Säulen gesetzt: Augenmaß, Transparenz, Nachhaltigkeit und Beteiligung sollten die Grundprinzipien einer Olympiabewerbung sein. Dabei wurde jedoch aus den Augen verloren, wieso die Berliner Bevölkerung sich für die Olympischen Spiele begeistern sollte. Mit einer Idee für den Sport im 21. Jahrhundert, die den Menschen zugänglich ist und neue Angebote für alle schafft, würde diese Begeisterung entfacht werden. Und damit eine sportpolitisch und gesellschaftlich notwendige Entwicklung ausgelöst werden, die in jedem Fall umgesetzt würde, unabhängig von einer Olympia-Bewerbung und deren Erfolg.

Berlin bietet eine einzigartige Vielfalt im Breiten- wie im Spitzensport. Die Berliner sind sportbegeistert und sie wissen, wie man außergewöhnliche Momente feiert. Berlin hat mehrfach den Nachweis erbracht, dass hier große Sportereignisse auf hervorragende Art funktionieren. Nun gilt es, zukünftige Sport-Großveranstaltungen mit einer überragenden Vision zu versehen, sie mit begeisternden Inhalten zu verbinden, die die Menschen in Berlin persönlich betreffen. Ein System für die gesamte Bevölkerung, wie man in den Sport kommt und ein Leben lang Sportler bleibt. Dieses System wird verbunden mit Innovationen, wie man angesichts der Herausforderungen der wachsenden Stadt das gesamte Stadtgebiet für den Sport nutzt. So werden flächendeckend Sportlerbiografien möglich gemacht und ein Modell für zeitgemäße Stadt- und Sportentwicklung geschaffen, übertragbar auf ganz Deutschland.

Eine Sportstadt für Jedermann

Die Vision ist eine moderne und zugängliche Stadt, in der Aufbau- und Entwicklungsgeist herrscht. Sport ist ein wichtiger gesellschaftlicher Wert, der von allen Institutionen und gesellschaftlichen Bereichen gefördert wird. Sportbiografien sind keine Zufälle, sondern verlässliche Ergebnisse der Struktur. Sportangebote für alle, insbesondere für Kinder, sind in die Stadtentwicklung natürlich eingebaut und nachhaltig gesichert. Es gibt viele neue Sportprogramme, die zeitgemäß sind und die Bürger begeistern. Sport wird überall getrieben, ob in Vereinen, im Park, bei neuartigen Sport-Events oder auf den Straßen der Stadt.

Das neue Sportsystem hat positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Sport für alle – von den Kindesbeinen bis ins hohe Seniorenalter – führt zu einer integrativeren Gesellschaft und einem neuen Gemeinschaftsgefühl. Es verbessert das Wohlergehen für jeden Einzelnen und ermöglicht mehr Gesundheit, denn wenn alle Kinder ab drei Jahren nach einem System in den Sport einsteigen und dauerhaft dabei bleiben, werden sie ihr ganzes Leben lang gesünder sein als diejenigen, die ohne den Sport aufwachsen.

Es gilt, im Rahmen der nächsten Bewerbung um ein Sportereignis von weltweiter Bedeutung nicht nur notwendige infrastrukturelle Maßnahmen zu planen, sondern sich zu fragen, wie der Stadtraum in seiner Gesamtheit künftig gestaltet werden soll, damit er lebenswert bleibt. Berlin könnte zu einer echten Sportstadt für Jedermann werden: Neue Fahrrad-Achsen machen das Radfahren attraktiver, Flussbäder erweitern das Badeangebot der Berliner Gewässer, in den Parks werden zeitgemäße Sportangebote für alle errichtet und für den Schul- und Vereinssport die besten Turnhallen und Sportplätze gebaut. Der öffentliche Raum wird zum nutzbaren Raum für sportliche Aktivitäten, Sportereignisse finden womöglich direkt im Stadtraum statt.

Sie sind der Höhepunkt einer Entwicklung, die Sportangebote für alle zugänglich macht. Und die Stadien und Arenen sind die Leuchttürme dieses Sportraums, die mit ihrer Strahlkraft für die nötige Aufmerksamkeit sorgen und die Vernetzung aller einfacher machen. Am Horizont einer solchen Entwicklung könnte die Austragung Olympischer Spiele stehen. Diese Entwicklung muss Berlin ohnehin anstreben, wenn die Stadt die Lebensqualität ihrer Bevölkerung in Zukunft nachhaltig verbessern will.

Der Autor ist Geschäftsführer der BR Volleys und Sprecher der sechs großen Berliner Profivereine, zu denen neben den Volleys Hertha BSC, der 1. FC Union, die Eisbären, die Füchse und Alba gehören.

Kaweh Niroomand

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