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Sport: Am Ende ein Scherbenhaufen

Dem SV Babelsberg 03 fehlen anderthalb Millionen Euro – nun droht der Zwangsabstieg

Mit lautem Rattern fressen sich Presslufthammer durch die Betontribünen des Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadions. Einige Meter entfernt, in den Räumen der Geschäftsstelle des Fußballdrittligisten SV Babelsberg 03, herrscht Totenstille. Die Atmosphäre im „Karli“ hatte gestern etwas Gespenstisches. Nein, so richtig reden wollte keiner. Und die, die sich in ihrer Verzweiflung, Wut und Ohnmacht eingefunden hatten, nahmen sich ein Bier und trauerten den alten Zeiten nach. Jenen, an die die Nulldreier in der kommenden Saison so gern anknüpfen wollten und die nun vorbei zu sein scheinen.

Wie Vereinspräsident Rainer Speer den PNN bestätigte, sei es dem Verein nicht gelungen, den notwendigen Etat für eine weitere Drittligasaison zusammen zu bekommen. Der nötige Gesamtetat von 2,7 Millionen Euro für die kommende Spielzeit sei allenfalls zur Hälfte gedeckt – knapp 1,5 Millionen müsste der Verein bis zum 1. Juni noch aufbringen. Einige Sponsoren haben sich zurückgezogen und dies unter anderem mit den Affären im Umfeld des Vereins begründet. Außerdem zogen sich mehrere Geldgeber nach der Einsetzung des Untersuchungsausschusses im Brandenburger Landtag, der sich sowohl mit den Grundstücksverkäufen als auch mit dem Sponsoring für Sportvereine befasst, zurück. Auch nach den Spionagevorwürfen gegen Potsdams Stadtwerke-Chef Peter Paffhausen, der Ende vergangener Woche seinen Hut nahm, entschieden sich einige Sponsoren um. Paffhausen, dessen Stadtwerke den SV Babelsberg 03 jährlich mit rund 350 000 Euro unterstützten, ist inzwischen auch als Aufsichtsratsvorsitzender des Vereins zurückgetreten.

In den folgenden Tagen will der SVB 03 nun alles daransetzen, eine erneute Insolvenz abzuwenden. Diese würde vermutlich zur Auflösung des Vereins führen. Bis zum 1. Juni bleibt den Babelsbergern Zeit, sonst droht der Lizenzentzug durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Zwangsabstieg in die Regional- oder gar Oberliga. Schon 2003 stiegen die Nulldreier zwangsweise ab.

Der DFB wollte sich gestern nicht zum laufenden Lizenzverfahren äußern. Erst nach Ablauf der Frist wolle man Stellung nehmen, hieß es. Bereits am 1. März hatten die Nulldreier ihre Bewerbung für die Drittligalizenz beim DFB eingereicht.

Das Karl-Liebknecht-Stadion, in dem auch der Frauenfußball-Bundesligist 1. FFC Turbine Potsdam seine Heimspiele austrägt, wird derzeit für acht Millionen Euro saniert. Auf den Einbau einer Rasenheizung wurde aus finanziellen Gründen überraschend verzichtet. Würde der SVB als Pächter ausfallen, müsste die Stadt für den Unterhalt aufkommen – und der beträgt pro Jahr ungefähr eine Million Euro.

Geschockt von der plötzlichen Entwicklung zeigten sich Trainer Dietmar Demuth und seine Spieler. Erst am späten Montagabend hatte der Coach von der Notlage erfahren. „Die Mannschaft hat allen Widrigkeiten zum Trotz gezeigt, dass sie gewillt ist, hier dritte Liga zu spielen“, so Demuth im PNN-Interview (siehe rechts). „Das ist wirklich bitter für die Jungs.“ Auch Mannschaftskapitän Marian Unger war enttäuscht: „Man hat uns im Stich gelassen.“ Erst am vergangenen Samstag hatten die Nulldreier Klassenerhalt und Landespokalsieg gefeiert. „Da war nichts davon zu ahnen, dass es dem Verein nicht gut geht.“ Nun droht der Zwangsabstieg. „In Babelsberg wundert mich gar nichts mehr“, so Unger weiter. Für ihn als Fußballprofi wäre das Szenario eine Katastrophe. „Ich habe mit Babelsberg gerechnet, alles darauf ausgerichtet, jetzt muss ich zurückrudern.“ Viele Spieler wollen einen neuen Verein suchen. In Babelsberg weitermachen, ginge nicht. „Das ist ja kein Stein, der uns in den Weg gepackt wird, sondern eine ganze Schlucht. Da hat doch kein Spieler Lust, weiter den Hintern hochzuhalten.“

Auch Matthias Rudolph zeigte sich erschüttert. „Mit den politischen Hintergründen sind wir alle nicht so sehr vertraut.“ Der Abwehr- und Mittelfeldexperte spielt seit sechs Jahren in der ersten Mannschaft des Vereins und unterschrieb erst am Vortag einen Vertrag für ein weiteres Jahr. „Wir waren alle so voller Euphorie“, erzählte er. „Die tolle Saison, in der wir als Aufsteiger den Klassenerhalt schafften, dann der Gewinn des Landespokals – das waren wunderschöne Zeiten für uns, für die Fans und sicherlich auch für die Stadt Potsdam.“ Im Moment sei nur eine große Leere da: „Wir sind alle noch sehr gedankenlos, denn wir haben ja selbst erst am Morgen davon erfahren.“ Und Abwehrspieler Ronny Surma meinte: „Ich bin einfach nur sprachlos und den Tränen nahe.“ Das war auch Almedin Civa. Der 39-jährige Mittelfeldakteur hatte ebenfalls erst am Montagvormittag seinen Vertrag um ein Jahr verlängert. „Ich hatte auch ein anderes Angebot“, so Civa. „Aber ich wollte in Babelsberg bleiben. Nun muss ich mir Gedanken machen. Aber nicht heute.“

Ratlosigkeit und Frust herrscht auch bei den Fans des Drittligisten. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht im Internet-Fanforum: „Ich habe Schlimmes erwartet. Aber, dass es so schlimm kommt...keine Worte“, schrieb „Dr. Faust“. „Da verschwindet die ganze Freude über Klassenerhalt und Pokalsieg“, pflichten ihm andere bei. Vielfach forderten die Fans den Rücktritt des Vereins-Vorstandes. „Haut endlich ab!“, heißt es im Blog. Nur so könne man Vertrauen und Sponsoren zurückgewinnen. Andere Fans schlagen vor, Spenden zu sammeln oder Fanbürgschaften aufzunehmen. Spontan versammelten sich etwa 50 Fans am Dienstagabend am Babelsberger Rathaus zu einem Protestmarsch in Richtung Stadion, wo sie auf SVB-Geschäftsführer Ralf Hechel trafen. Vergeblich versuchten sie ihn zur Rede zu stellen.

Gegenüber Presse und Fans wollte sich Hechel nicht weiter zur Lage äußern. Er verwies auf die außerordentliche Mitgliederversammlung am 31. Mai, bei der über die Zukunft des Vereins gesprochen werden soll. „Ich bin mir sicher, dass der Stein jetzt erst ins Rollen geraten ist“, so Hechel. „Das Ganze wird sich auch auf andere Vereine in der Stadt auswirken.“

SVB-Präsident Rainer Speer erteilte indes jeder verbleibenden Hoffnung auf eine positive Wende eine Abfuhr. „Ich sehe keine Chance, die Dritte Liga zu halten“, so Speer. „Über acht Jahre hinweg sind alle vertraglichen Verpflichtungen vom Verein eingehalten, die Spielergehälter gezahlt worden. Ein Bedingungsgefüge, wonach man hoffen könnte, dass es mit der Dritten Liga doch noch weiter klappt, gibt es nicht.“ Nun müsse man schauen, wie man die Dinge ordnen könne, so Speer. „Ich merke auch, dass ich dem Verein nicht mehr viel helfen kann. Es ist schade für Potsdam – acht Jahre erfolgreiche Arbeit sind zerstört.“

Auf diese erfolgreiche Arbeit hatten Civa, Rudolph & Co. gestern im erst kürzlich fertiggestellten „Ostblock“ des Karl-Liebknecht-Stadions noch einmal mit einem Bier angestoßen. Irgendwie schmeckte es nicht richtig. Am Abend trafen sich alle noch einmal, um Dynamo Dresden im Relegationsspiel gegen Osnabrück die Daumen zu drücken. Auch so ein verschuldeter Ostverein. Aber eben einer, der es mit Hilfe anderer geschafft hat.

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