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Wolfgang Joops Modefirma geht nach Berlin: Adieu, Wunderkind

Wolfgang Joop ist mit seinem Modelabel „Wunderkind“ nach Berlin umgezogen. Privat bleibt er Potsdamer, will hier kreativ arbeiten – doch für seine Firma gab es keine Option.

Potsdam - Der Abschied, er sei kein freiwilliger. „Es sind Tränen verdrückt worden“, sagt Edwin Lemberg. Zehn Jahre lang residierte „Wunderkind“, das hochklassige Modelabel des gebürtigen Potsdamers Wolfgang Joop, in der Villa Rumpf am Heiligen See. Viele Mitarbeiter seien von Anfang an dabei gewesen. Und auch bei Lemberg, Joops Lebensgefährten, der zuvor auch Geschäftsführer von „Wunderkind“ war, klingt Bedauern darüber durch, dass das Unternehmen nunmehr in Berlin ansässig ist. Der Umzug ist schon gelaufen, die Villa Rumpf hat einen neuen Besitzer gefunden. Die drei Etagen mit rund 1200 Quadratmetern im ehemaligen „Hotel Bogota“ an der Schlüterstraße gleich um die Ecke vom Berliner Kurfürstendamm sind schon eingerichtet – als Werkstatt, Atelier, Administration, Showroom.

Joop bleibt Potsdam privat treu

Der Grund für den Weggang aus Potsdam, sagt der 71-jährige Wolfgang Joop selbst, sei ein simpler: Man habe mehr Platz gebraucht. In der Villa Rumpf waren es etwa 500 Quadratmeter Nutzfläche, so Lemberg. So hätten einige der rund 45 Mitarbeiter schon mal auf dem Flur sitzen müssen. Joop habe seine Geburtsstadt, in der er privat weiter in der Villa Wunderkind am Heiligen See lebt, mit dem Unternehmen nicht verlassen wollen.

„Wir haben mit Hilfe der Stadtverwaltung lange gesucht. Wir wären sehr gern hiergeblieben, wir hatten keinen Grund, nach Berlin zu gehen“, sagt Lemberg. Doch das, was „Wunderkind“ gebraucht habe, sei in Potsdam nicht zu finden gewesen: Die großen Flächen auf einer Ebene, helle Räume, aber mit Flair, kein neues Gewerbegebiet. Selbst die stattlichen Villen, die man sich angesehen habe, hätten nicht gereicht. Und ein geeignetes historisches „Industrieobjekt“ sei in Potsdam nicht verfügbar gewesen.

"Die Kreativtität bleibt in Potsdam, die Ausführung in Berlin"

Nun werde er pendeln, sagt Wolfgang Joop. Bislang war er oft mit dem Fahrrad in Potsdam unterwegs, auf dem Markt am Bassinplatz, bei seinem Elternhaus in Bornstedt. Von der Villa Wunderkind bis zum Arbeitsplatz in der Villa Rumpf waren es kaum einhundert Meter. Die kreative Arbeit werde Joop weiterhin in Potsdam machen – im Zeichen-Atelier in der Villa Wunderkind. Dort wolle er auch Bücher schreiben, so Joop. Dafür brauche er Ruhe, die er in Berlin nicht finden würde. Auch die Potsdamer „Wunderkind“-Boutique in der Friedrich-Ebert-Straße bleibt. Es sei zudem vereinbart, dass die „Wunderkind“-Mitarbeiter regelmäßig zu Arbeitsrunden nach Potsdam kommen, sagt Lemberg: „Die Kreativität bleibt in Potsdam, die Ausführung in Berlin.“

Freilich hat Joop dort nicht irgendein Büro gemietet. Das ehemalige „Hotel Bogota“ ist eine Berliner Legende. Das Haus, errichtet 1911/12 als Mietshaus für einen Bankier, war zur Zeit der Weimarer Republik ein Ort des jüdischen Kulturlebens. 1934 zog die Fotografin Yva mit Wohnung und Atelier in das Haus – bei ihr begann der später berühmt gewordene Helmut Newton als 16-Jähriger seine Fotografenlehre. Yvas Atelier, in dem sie viele Modeaufnahmen machte, ist heute der „Wunderkind“-Showroom. Die Nationalsozialisten ließen die avantgardistische Fotografin wegen ihrer jüdischen Herkunft in den 1940er Jahren deportieren, sie wurde in einem Vernichtungslager ermordet. Aus dem Mietshaus wurde die NS-„Reichskulturkammer“. Nach dem Zweiten Weltkrieg tagte dort eine Entnazifizierungskommission, später wurden einzelne Pensionen in dem Haus eingerichtet. Der frühere Betreiber Heinz Rewald benannte es als „Hotel Bogota“, er hatte in der kolumbianischen Hauptstadt einst Zuflucht vor den Nazis gefunden. 1976 übernahm die Familie Rissmann das Haus und machte ein Hotel aus dem Gründerzeitbau. Es musste unter Ägide von Joachim Rissmann Ende 2013 schließen, weil er die Miete nicht mehr vollständig zahlen konnte. Die Künstlerszene protestierte und trauerte. Zu Rissmanns Stammgästen gehörten auch die Schauspieler Rupert Everett und Hanna Schygulla. Am Montag wurde der nunmehr sanierte siebenstöckige Bau bei einer Pressekonferenz des Eigentümers, Immobilieninvestor Thomas Bscher, vorgestellt. Im Erdgeschoss wird Karl-Heinz Müller, Gründer der „Bread and Butter“-Messe, mit einem Fashion-Shop einziehen, auf Etage 3, 4 und 5 samt Dachterrasse „Wunderkind“.

"Wunderkind"-Linie für "preissensiblere" Kunden

Für das Unternehmen ist nicht nur der Schritt nach Berlin eine Neuerung. Seit Gründung im Jahr 2003 gab es immer wieder Turbulenzen, Disput mit nunmehr früheren Gesellschaftern. Einstweilen musste „Wunderkind“ sogar ruhen, es wurden keine neuen Kollektionen vorgestellt. Mit dem neuen Geschäftsführer Peter Kappler – er kommt vom Luxusmarken-Konzern LVMH, war zuvor Manager für Marken wie „Hugo Boss“ und „Strenesse“ und einstmals schon Joops Mitarbeiter – soll das Unternehmen Geld machen. Die Zahl der Mitarbeiter ist gewachsen, Wolfgang Joop entwirft mehr Kollektionen als zuvor – vier statt zwei pro Jahr. Gezeigt wird die Mode, von Kritikern vielfach hochgelobt, nicht mehr bei den Prêt-a-Porter-Schauen in Paris, sondern bei der Mailänder Modewoche, die das nächste Mal Ende Februar stattfindet. Mailand gilt in der Branche als das wichtigste Parkett, vor Paris, London und New York. Dort hat „Wunderkind“ auch einen Showroom eröffnet. Außerdem, so hatte die „Wirtschaftswoche“ berichtet, sollen Joop und Kappler erwägen, eine „Wunderkind“-Linie für „preissensiblere“ Kunden aufzulegen. Allem Abschied, so scheint es, liegt auch ein Anfang inne. (mit cd/dpa)

Lesen Sie weiter: Interview mit Wolfgang Joop anlässlich seines 70. Geburtstages >>

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