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Wirtschaft in Potsdam: „Haben das Marktversagen korrigiert“

Potsdams Wirtschaftsförderer Stefan Frerichs über die Bilanz des vergangenen Jahres, die Suche nach weiteren Gewerbeflächen in der Stadt und Chancen durch innovative Technologien.

Herr Frerichs, Brandenburgs regionale Wirtschaftsförderer haben ihre Bilanz für das vergangene Jahr vorgelegt. Wie fällt das Ergebnis für die Stadt Potsdam aus?

Generell sehr positiv. Die Statistik zeigt, dass wir inzwischen deutlich mehr als 13 000 Gewerbetriebe haben. Die Zahl der Anmeldungen ist zudem höher als die der Abmeldungen. Das heißt, wir wachsen weiter. Insgesamt haben wir 2015 mehr als 2500 Anfragen und Beratungen durchgeführt. Das Interesse am Standort Potsdam ist also groß. Im vergangenen Jahr hat Potsdam beim Ranking des Magazins Die Wirtschaftswoche zum Thema Zukunftsfähige Stadt Platz elf von bundesweit 402 Kreisen und kreisfreien Städten belegt.

Was war aus Ihrer Sicht der größte Erfolg?

Die Eröffnung des Handwerkerhofs in Babelsberg, ganz klar. Weil wir hier mit kommunalen Kräften ein Marktversagen korrigieren konnten. Wir hatten bis dahin kaum marktfähige Raumangebote für Handwerksbetriebe. Mit dem Handwerkerhof konnten wir in Babelsberg 13 Einheiten schaffen. Die Nachfrage zeigt, dass wir das Richtige getan haben. Die Flächen sind überwiegend vermietet. Für die verbliebenen Räume gibt es Interessenten. Und nicht vergessen werden darf die Entscheidung zum Bau der neuen Außenkulisse von Studio Babelsberg, der Neuen Berliner Straße, die ja vor Kurzem fertiggestellt und eröffnet wurde.

Eine für die Stadt schmerzliche Entscheidung war die des Automobilzulieferers Magna Steyr, Potsdam zu verlassen. Im Dezember wurde das Werk geschlossen. Was passiert mit der Immobilie an der Friedrich-Engels-Straße? Gibt es bereits einen Nachnutzer?

Einen Nachnutzer gibt es bislang noch nicht, aber wir sind in enger Abstimmung mit Magna Steyr und bemühen uns gemeinsam einen Nachnutzer zu finden.

Wie attraktiv ist der Standort?

Ich halte den Standort und auch die Halle für sehr attraktiv. Die Lage ist brillant. Die Halle steht in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs und wäre damit auch für potentielle Mitarbeiter aus Berlin und den Landkreisen gut erreichbar.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Kritik, die Stadt würde zu wenig unternehmen, um Gewerbeflächen für neue Unternehmen zu schaffen. Am Dienstag hat Oberbürgermeister Jann Jakobs umfangreiche Ausbaupläne für den Wissenschaftsstandort Golm vorgestellt. Auf zusätzlich 40 000 Quadratmetern soll Platz für junge, forschungsnahe Firmen geschaffen werden. Hat sich das Thema damit erledigt?

Die Antwort lautet ja und nein zugleich. Wir sind natürlich begeistert, dass wir zusammen mit dem Land jetzt in Golm die Voraussetzungen schaffen können. Aber eigentlich fängt die Arbeit jetzt erst an. Im Übrigen haben wir ähnliche Aufgaben noch an anderen Standorten zu bewältigen, zum Beispiel in Babelsberg. Denn wir können nach wie vor nicht alle Anfragen von Unternehmen abdecken. Allgemein bleibt die Entwicklung kleinteiliger Gewerbeflächen also dringend erforderlich. Dabei setzen wir vor allem auf Kooperationen mit privaten Eigentümern. Wir haben zunehmend auch eigene Entwicklungskonzepte erarbeitet. Zum Beispiel haben wir uns das Sago-Gelände oder das Kirchsteigfeld näher angeschaut.

Im Mai haben sich mehrere Initiativen in Berlin und Brandenburg zum Verein Virtual Reality e.V. Berlin-Brandenburg zusammengeschlossen. Unter Virtual Reality, also virtueller Realität, ist eine dreidimensionale digitale Welt zu verstehen, die man mit einem geschlossenen Headset erleben und in ihr agieren kann. Der Vereinssitz ist in Babelsberg. Welches Potential hat die Entwicklung im Bereich der virtuellen Realität? Wie kann Potsdam davon profitieren?

Hier besteht die Chance bei einer offensichtlich vielversprechenden, technischen Innovation mit den Fachleuten und den Unternehmen vor Ort eine führende Rolle einzunehmen.

Wie ist Potsdam denn in diesem Bereich aufgestellt?

Die Kompetenz haben wir zum Beispiel in vielen Firmen in der Medienstadt Babelsberg. Jetzt geht es tatsächlich auch darum, wie man die Entwicklung auch räumlich auf einen Standort konzentrieren kann. Wir diskutieren dabei unter anderem über vorhandene Gebäude in der Medienstadt und in der Medienstadt II.

Eine weitere wichtige Branche für Potsdam nach der Medienwirtschaft ist die Biotechnologie. Um der Entwicklung mehr Vorschub zu geben, hat die Stadt Potsdam im März zusammen mit dem Landkreis Potsdam-Mittelmark eine Kampagne gestartet. Was können zwei besser als einer?

Kompetenzen bündeln. Vorangegangen ist der Kampagne eine Standortanalyse. Die hat gezeigt, dass Potsdam und Potsdam-Mittelmark bei den Firmen und den Kompetenzen voll auf gleicher Augenhöhe agieren. Gemeinsam sind wir also im Bereich der Gesundheitswirtschaft sehr stark. Deshalb soll der Standort jetzt auch gemeinsam vermarktet werden.

Wirtschaftsexperten kritisieren ohnehin, dass Potsdam zu sehr im eigenen Saft schmort und zu wenig mit den Nachbargemeinden kooperiert. Auch bei der Frage der Suche nach Gewerbeflächen. Stimmen Sie dem zu oder gibt es noch andere Beispiele der Zusammenarbeit?

Ich stimme dem nicht ganz zu. Es ist einfach auch eine Frage der Wahrnehmung. Zunächst muss ich als Wirtschaftsförderer der Stadt Tore für Potsdam schießen, also Unternehmen hier ansiedeln. Aber wenn wir ein Unternehmen nicht unterbringen können, stellen wir den Kontakt zu unseren Nachbarn her. Dazu gibt es eine regelmäßige Runde mit den beiden Landkreisen Potsdam-Mittelmark und Havelland sowie mit der Stadt Brandenburg/Havel. Interkommunale Gewerbegebiete zu entwickeln ist dagegen keine ganz einfache Sache. Zum Beispiel muss man entscheiden, wie später die Gewerbesteuer aufgeteilt wird. Das Entscheidendste ist außerdem, dass sich der Kunde, also der Unternehmer, gut betreut fühlt. Dabei ist der kleine Dienstweg wichtig. Was nicht zielführend ist, dass sich ein Unternehmer später gegebenenfalls mit zwei Verwaltungen auseinandersetzen muss. Letztlich aber profitiert ohnehin immer die ganze Region. Selbst wenn wir eine Firma nach Potsdam-Mittelmark vermitteln, kaufen deren Mitarbeiter möglicherweise nachher in Potsdam ein und wohnen vielleicht auch dort.

Welche Aufgaben stehen für Sie in diesem Jahr im Vordergrund?

Ganz oben auf der Liste steht nach wie vor unser Maßnahmenplan zu Sicherung und Entwicklung der Gewerbeflächen. Der zweitwichtigste Faktor bleibt, die gute Qualität unserer Service- und Beratungsleistung zu halten.

Welches sind die größten Herausforderungen für die kommenden Jahre?

Das Wichtigste wird sein, in einer wachsenden Stadt mit konkurrierenden Nutzungswünschen auch die Wirtschaft als Rückgrat einer gesunden Gesellschaft zu stärken. Dafür haben die Stadtverordneten im vergangenen Jahr den Wirtschaftsrat berufen. Damit hat die Wirtschaft endlich eine fachliche und politische Lobby. Das war vorher nicht so.

Das Interview führte Matthias Matern

Stefan Frerichs (53) ist seit 2007 Leiter der Wirtschaftsförderung der Stadt Potsdam. Studiert hat er Geowissenschaften. Frerichs stammt aus Emden in Ostfriesland.

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