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Adoración de los pastores

© MUSEO NACIONAL DEL PRADO

Winters Kälte und Frühlings Versprechen: Eine CD, die Weihnachten neu klingen lässt

Die Leiterin der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci und Flötistin Dorothee Oberlinger hat ein betörendes Weihnachtsalbum herausgebracht.

Was ist der Klang der Weihnacht? Keiner von uns war dabei, aber hierzulande hat man sich geeinigt: auf Glocken, Trompeten, engelsgleiche Stimmen. Dorothee Oberlinger, Leiterin der Musikfestspiele Sanssouci und begnadete Flötistin, mischt dem mit ihrer neuen Doppel-CD neue Töne bei. „Der Gesang, mit dem die Hirten die Geburt des Christkindes begrüßt haben“, liest Sprecher Matthias Brandt hier, „er kam aus Dudelsäcken“.

Fanny Lewald schrieb dies nach ihrer Italienreise im Jahr 1847. „Pastorale“ heißt die CD, auf der man das nachhören kann, auch der Dudelsack ist gleich eingangs dabei. Für Dorothee Oberlinger lag das Thema nahe: „Die Flöte ist ja das Hirteninstrument schlechthin.“ Zentrales Motiv auf der CD sind die „Pifferari“: Hirten, die in Italien traditionell zu Weihnachten aus den Bergen in die Täler hinabstiegen, um für die Menschen in den Dörfern zu musizieren. Auf Flöten, aber auch auf Dudelsäcken.

Dorothee Oberlinger ist nicht nur begnadete Flötistin und Arrangeurin, sie leitet auch die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci.

© JOHANNES RITTER

Blockflöte zu Weihnachten? Zu klischeebehaftet

Diese Hirten soll es heute noch geben, sagt Oberlinger. Sie verbringt jedes Jahr mehrere Wochen auf einer Insel vor Sizilien, ist selbst oft in Italien. Weihnachten aber gehört der Familie, und die von Dorothee Oberlinger lebt in Hunsrück. Dort wird sie auch dieses Fest verbringen. Sie wird mit der Schwester kochen, mit der Familie singen. Aber Blockflöte? Wird es nicht geben, „das ist dann doch zu klischeebehaftet“.

Oberlinger wuchs in Simmern auf, der Vater war Landpfarrer. Als Kind begleitete sie ihn zu den Weihnachtsgottesdiensten über Land, begleitete die Weihnachtslieder an der Orgel. Seitdem sie fünf ist, spielte sie auf der Flöte immer wieder Pastoralen, jene Instrumentalstücke im wiegenden Sechs-Achtel-Takt, meistens von Bläsergruppen intoniert. Auch in Bachs Weihnachtsoratorium gibt es eine.

Das Weihnachtsalbum von Dorothee Oberlinger aber geht einen Schritt weiter. Hier werden die Pastoralen klanglich wieder aus den Sälen des Barock zurück in die offene, manchmal raue Landschaft der Hirten geholt. Das liegt vor allem an der instrumentalen Besetzung: Es spielt nicht nur Oberlingers Ensemble 1700, sondern auch das Folk-Ensemble Le Piffari et le Muse mit Dudelsack, Fiedel und Piffero (Schalmei).

Ein absoluter Glücksfall

Ob Händels Orgelkonzert, Alessandro Marcellos Oboenkonzert oder ein Streicherkonzert von Corelli: Alles hat Oberlinger für die Blockflöte umgeschrieben. Und Oberlingers Flöte jubiliert, als wäre es immer so gewesen. Sie lockt vogelgleich, eine zarte Stimme, weh und warm, die alles zu kennen scheint: des Winters Kälte und des Frühlings Versprechen.

Cover von Johannes Ritter für „Pastorale“, das neue Album von Dorothee Oberlinger.

© JOHANNES RITTER

Was jetzt als Album vorliegt, war ursprünglich als Konzert gedacht, Corona kam dazwischen. Statt des Konzerts spielte man die CD ein. Das erweist sich als absoluter Glücksfall. Die Klanglandschaften hier sind so schön, das man sie mehr als einmal durchwandern will. Matthias Brandt führt als Sprecher durchs Gelände. Einfühlsam, ohne Pathos oder Kitsch auch nur je zu schrammen. Sogar die fast komische Verzückung eines Alfonso Maria de Liguori (1696–1787) ist bei ihm gut aufgehoben. Wie zuvor die Flöte jubelt nun der Reim: „Habt ihr’s vernommen? Der uns machte/ ist zur Welt gekommen!“.

Höhen, die Tiefen kennen

Von Liguori ist auch ein Weihnachtslied zu hören, das echte Mitsingqualität aufweist, dargeboten von der schillernden Sopranistin Dorothee Mields. Auf CD Nummer zwei kehrt Matthias Brandt noch einmal zu den italienischen Hirten zurück. Er liest „Die Schalmei des Delfo“, eine Kindheitserinnerung aus den späten 1980er Jahren von Turi Vasile, dem Produzenten von Fellinis „Roma“.

Ein betrunkener Hirte spielt darin auf seiner Schalmei, bekommt dafür mehrere Gläser Wein - und wird am Weihnachtsabend durch die Musik in den Augen der Kinder zu einem fast gottgleichen Giganten. „Nie wieder haben wir solche Klanggewalt erlebt.“ Wer Dorothee Oberlinger in die überirdischen Höhen auf der CD folgt, mag eine Ahnung davon bekommen, von welcher Gewalt hier die Rede ist. Es sind Höhen, die betören, weil sie die Tiefen kennen.

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