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Landeshauptstadt: Walhalla des Aufstiegs

Mythos – Zankapfel – Erinnerungsort: Die Potsdamer Garnisonkirche in der deutschen Erinnerungskultur. Von Martin Sabrow (Teil 1)

Die Garnisonkirche spaltet die Stadt wie kein anderes Potsdamer Wahrzeichen. Seit Jahren laufen die Bemühungen, die 1732 eingeweihte Barockkirche wiederaufzubauen. Doch dagegen gibt es Widerstand. Er ist vor allem in der widersprüchlichen Geschichte des Gotteshauses begründet, das mit dem „Tag von Potsdam“ verbunden wird, beim alliierten Luftangriff am 14. April 1945 zerstört und dessen Ruine im Juni 1968 auf Beschluss der DDR-Führung gesprengt wurde. Der renommierte Historiker und Politikwissenschaftler Martin Sabrow, der das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) leitet, hat in einem Aufsehen erregenden Vortrag mit Mythen um die Garnisonkirche aufgeräumt, deren Geschichte offenbar gerade 1933 und 1968 ganz anders verlief als viele zu wissen glauben. Die PNN veröffentlichen den Vortrag in leicht gekürzter Fassung in drei Teilen.

Heute: Die Vorgeschichte der mythischen Bemächtigung (Teil 1)

Eine bis in Ausführungsdetails eingewobene Widersprüchlichkeit und Dissonanz barg schon die Kirche als Bauwerk: Der in den Jahren 1730 bis 1732 ausgeführte Bau wies mit zahlreichen Details auf die Verbindung von Kirche und Staat hin, so etwa im Wechselspiel von Kirchengesang und Gewehrsalven beim Einweihungsgottesdienst am 17. August 1732 oder in der soldatischen Behelmung der Pauken- und Trompetengel an der Orgel oder in dem eigentümlichen Umstand, dass der Kanzelaufgang einträchtig von den zwei allegorischen Figuren aus der antiken Mythologie bewacht wurde, die zum einen die Weisheitsgöttin Minerva, zum anderen hingegen den Kriegsgott Mars vorstellten. Als Träger einer demonstrativen Verklammerung von Gotteslob und Herrscherlob fungierte auch das Kuppeldach, das mit einer vergoldeten Krone mit Reichsapfel und Kreuz schloss. Aus ihr ragte eine drehbare Wetterfahne von zehn Metern Länge, die an ihrer Spitze eine kupferne Strahlenkreuzsonne trug. Die dazugehörige Querstange, die dafür sorgte, dass die Wetterfahne der herrschenden Windrichtung folgte, zeigte auf der einen Seite einen empor fliegenden Adler und auf der anderen den vergoldeten Namenszug des Königs, (der aus statischen Gründen um eine alte Kanonenkugel ergänzt worden war). Der königliche Bauherr und sein Architekt Johann Philipp Gerlach wollten bei der Bestückung der Wetterfahne den Ruhm des preußischen Monarchen mit dem Attribut des christologischen Adlers verschmelzen, der als einziges Tier ohne Schaden in die Sonne zu blicken vermag und auf diese Weise den hohenzollernschen Wappenspruch „nec soli cedit“ beglaubigt.

Ihren Widerhall fand die Verklammerung von Religiosität und Säkularität in der kirchlichen Nutzung des Gotteshauses, das auf ausdrücklichen Willen des königlichen Erbauers nicht nur im Erdgeschoss, sondern auch auf den dem Militär zugewiesenen Emporen und in der den Hohenzollernprinzen und dem Offizierskorps vorbehaltenen Königsloge lediglich mit harten lehnenlosen Holzbänke bestückt war – angeblich, um nach dem Willen des calvinistischen Soldatenkönigs seinen Offizieren keine Gelegenheit zu geben, während des Gottesdienstes zu schlafen; Friedrich Wilhelm I. selbst pflegte der Predigt auf einem eigenhändig bemalten Holzschemel zu folgen, der noch im späten 19. Jahrhundert zusammen mit einer Reihe einfacher Rohrstühle die Bestuhlung der königlichen Loge bildete.

Erst unter Friedrich II. entwickelte sich allmählich und zögernd die Garnisonkirche zu einem Gedenkort preußischer Machtstaatlichkeit. Denn Sophia Dorothea, die Witwe des „Soldatenkönigs“, fand 1757 ihre letzte Ruhe anders, als Friedrich Wilhelm es gewollt hatte, nicht in der Potsdamer Garnisonkirche, sondern in der Schloss- und Domkirche zu Berlin. Ihren Platz nahm dreißig Jahre später ihr Sohn Friedrich II. ein, der nach seinem Tode 1786 entgegen seinem Testament von 1769 nicht auf der Terrasse von Schloss Sanssouci bestattet wurde, sondern an der Seite seines Vaters in der Gruftkammer der Garnisonkirche – in der gleichen schlichten Weise wie sein Vorgänger. Mit diesem Platzwechsel zwischen Sophia Dorothea und Friedrich II. war das Fundament gelegt, das die Hof- und Garnisonkirche im 19. Jahrhundert zu einem auratischen Ort des preußisch-deutschen Wiederaufstiegs werden ließ. ()

Nach den Befreiungskriegen und wieder nach den Reichseinigungskriegen nahm die Garnisonkirche die feierlich geweihten Kriegstrophäen der preußischen Armee auf und entwickelte sich auf diese Weise zu einer Art Walhalla des preußisch-deutschen Aufstiegs zur europäischen Großmacht, als die es 1869 Theodor Fontane von der Freitreppe des Schlosses Caputh aus erblickte: „() am Horizonte stand in scharfen Linien steif-grenadierhaft die Garnisonkirche von Potsdam: das Symbol des Jüngstgeborenen im alten Europa, des Militärstaats Preußen.“ So wandelte sich die Potsdamer Garnisonkirche vom Ausdruck individueller herrscherlicher Gestaltungsmacht im 19. Jahrhundert zum Symbol des nationalen Aufstiegs im Bündnis von Thron und Altar, wie es nicht anders der Berliner Dom oder die Institution des Kaiserlichen Hofpredigers vorstellten.

Zu einem wirkmächtigen, historischer Kritik sich entziehenden Mythos entwickelte sich die Garnisonkirche erst nach dem Ende der Hohenzollernmonarchie, als sie neuerlich mit Fahnen und Standarten des Kaiserlichen Heeres bestückt wurde. Darin verdichtete sich nun das Vergangene zu einem kohärenten Symbol, wie es ein Major a. D. (Erich Gutschmidt) 1932 zum Ausdruck brachte: „Konnte so früher der Besucher der Kirche im Anschauen der Kriegstrophäen Preußen-Deutschlands kriegerische Entwicklung verfolgen, so wird manches deutsche Herz heute vor Schmerz fast vergehen, wenn es die Fahnen und Standarten statt in der Hand einer stolzen Truppe nur noch als Zeugen einer großen Vergangenheit ansehen soll.“

Es mag scheinen, als habe Major Gutschmidt hier der Erinnerungskultur unserer Tage aus dem Herzen gesprochen. Tatsächlich aber zittert durch das Zitat der Schmerz über die Unwiederbringlichkeit einer Vergangenheit, deren Wiederkunft der Erinnernde in der Garnisonkirche ebenso sehr ersehnt, wie er an dem Wissen um die Unmöglichkeit dieser Wiederkehr leidet. Eben dies aber leistet der Mythos, der die Vergangenheit mit der Zukunft verklammert und aus dem Gestern die Kraft und die Orientierung für das Morgen schöpft. () Solche Zuversicht vermochte die Weimarer Republik nicht zu vermitteln. Sie hatte der durch Niederlage und Systemwechsel erzwungenen Entmythisierung keinen zugkräftigen Gegenmythos entgegenzusetzen, der aus der Vergangenheit glaubhaft in die Zukunft wies, und das sollte zu ihrem Verhängnis beitragen. Die Verwandlung des oben zitierten Schmerzes eines abgerüsteten Majors in den Triumph einer neuen Ordnung bildete nur ein Jahr später der „Tag von Potsdam“. Seine Wirkung beruhte eben darauf, dass er der erzwungenen Abspaltung der glorreichen Vorzeit von der aussichtslosen Jetztzeit eine glaubwürdige Neuvermählung von Vergangenheit und Zukunft entgegensetzen konnte, die dem Mythos der historischen Wiederauferstehung in der Garnisonkirche einen auratischen Ort gab.

Der zweite Teil erscheint am morgigen Dienstag, dem 26. Juli

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