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Landeshauptstadt: Wald-Potsdams Ende

Das Scheitern eines gigantischen Siedlungsprojekts rettete unersetzliche Naturräume

Wäre es nach dem Willen der Stadtplaner der 20er Jahre gegangen, würde sich im Waldgebiet östlich und westlich der Michendorfer Chaussee heute „Wald-Potsdam“ erstrecken, eine Siedlung für nicht weniger als 29 000 Bewohner. Diesem gigantischen Projekt, das die Fläche des Stadtgebietes nach Süden zu fast verdoppelt hätte, gaben die Stadtverordneten am 6. November 1925 ihre Zustimmung. Vorangegangen war die Billigung eines Kaufvertrages für ein bis dahin der Preußischen Staatsforstverwaltung gehörendes 160 Hektar großen Geländes westlich der Chaussee; die auf der anderen Straßenseite ansetzende 200 Hektar große Fläche verblieb dem Forstfiskus, war aber ab 1935 ebenfalls für eine Bebauung vorgesehen. Auch dafür sollte die Stadt den Bebauungsplan aufstellen.

Die Stadtverordneten gingen davon aus, dass mit dem nach der Inflation einsetzenden wirtschaftlichen Aufschwung „solche Personen, die im nahen Berlin ihrem Beruf nachgehen“, aber ihre Freizeit „fern vom Getriebe der Großstadt in Ruhe genießen“ wollten, nach Wald-Potsdam ziehen würden. Sie setzten also auf wohlhabende Angehörige des Mittelstandes, was den Protest des Berliner Magistrats auslöste. Seine Forderung, auch Wohnungen für die minderbemittelte „Arbeiterschaft von Nowawes“ mit dessen Industriebetrieben einzuordnen, blieb jedoch unberücksichtigt. Am 8. November 1927 legte Oberbürgermeister Arno Rauscher, ein nicht zu übersehender Mann von annähernd zwei Metern Größe und „barockem Körperumfang“, den Grundstein für ein Wald-Potsdam als „Wohnstatt für Wohlhabende, Bürgertum und Mittelstand“.

Wie aber sollte die Großsiedlung aussehen? Dazu hat der Potsdamer Historiker Thomas Wernicke gründliche Recherchen angestellt. Das Baugebiet wurde durch den Brauhausberg und die Vorderkappe (Hermannswerder) im Norden, den Templiner See im Osten, die Ravensberge im Westen und etwa vom Caputher Heuweg im Süden begrenzt. Ein riesiges Areal also, auf dem rund 8000 Einfamilien- und Reihenhäuser errichtet werden konnten. Die Entwürfe zeigen mehrere Plätze: ein südlich des Telegrafenbergs unter Einbeziehung des 1830 gebauten Schützenhauses gelegener Markt, mit „Markthalle, Wärmehalle, Schenke und Polizeistation“, eine südwestlich des heutigen Sowjetischen Friedhofs eingeordnete „Grünfestwiese“, westlich der Michendorfer Chaussee etwa in Höhe des Kleinen Ravensberges den Mittelplatz, östlich am Kieskutenberg einen großen Sanatoriumsbau und an der dazwischen liegenden Strecke einen Kirchplatz.

Erschlossen werden sollte die Siedlung durch zwei Nord-Südachsen links und rechts der Michendorfer Chaussee. Die westliche führte über die Schießstände, gabelte sich an deren Ende in Richtung Sanatorium/Kirchplatz bzw. Mittelplatz. Die östliche führte vom Markt zum Mittelplatz und weiter bis zur heutigen Bahnstrecke des Berliner Außenrings. Am Nord- und Südrand waren Querverbindungen geplant. Davon ist die nördliche von besonderem Interesse, denn sie sollte Nowawes über den Tornow und eine Havelbrücke mit dem Bahnhof Charlottenhof verbinden – gewissermaßen eine Vorwegnahme der heute diskutierten Ortsumgehung.

Außerdem musste sich Potsdam im Kaufvertrag verpflichten, eine Straßenbahnlinie einzurichten. Sie sollte über eine neu zu bauende (und dann auch gebaute) Straße über den Brauhausberg auf einem eigenen Gleiskörper (Reste davon sind an der Sternschanze noch erkennbar) an der Michendorfer Chaussee entlang führen und von dort über das Schmerberggestell nach Caputh verlängert werden. Die Kosten wurden auf knapp 1,7 Millionen Mark geschätzt.

Das Projekt „Wald-Potsdam“ blieb jedoch in der Weltwirtschaftskrise stecken. Gebaut wurde lediglich am Brauhausberg, die neue Straßenbahn endete am Schützenhaus. Als schärfster Gegner von Wald-Potsdam, dessen Siedlungscharakter er im „revolutionären Nationalsozialismus“ als nicht mehr zeitgemäß betrachtete, profilierte sich der Vorsitzende des Finanzausschusses der Stadtverordnetenversammlung, der NSDAP-Abgeordnete Hans Friedrichs. Als Oberbürgermeister ließ er dann 1935 einen neuen Bebauungsplan aufstellen. Danach kamen nur noch eine Häuserzeile an der Leipziger Straße und einige Privatbauten hinzu. Kurioserweise wohnte Friedrichs selbst in diesem „Rumpf-Wald-Potsdam“, Am Brauhausberg 12.

Das ehrgeizige Projekt hätte eines der wichtigsten Waldgebiete der Stadt in großen Teilen vernichtet. Auch wenn zur Havel hin eine 105,4 Hektar große Dauerwaldzone erhalten bleiben sollte, wären unersetzliche Naturräume verloren gegangen. Aus dieser Sicht können wir froh sein, dass Wald-Potsdam ein Luftschloss blieb.

Erhart Hohenstein

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