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Landeshauptstadt: Vorort-Idylle mit Schattenseiten

Die Anwohner der Siedlung in der Thaerstraße schätzen ihre Ruhe. Doch wünschen sie sich mehr Geschäfte und weniger Verkehr

Von Matthias Matern

Potsdam wächst rasant, überall in der Stadt schießen neue Wohnviertel empor. Doch wie lebt es sich dort eigentlich? Die PNN besuchen die Quartiere und stellen sie in der Serie „Das neue Potsdam“ vor.

Heute: Thaerstraße (Folge 23)

Bornstedt - Die Mülltonnen stehen in Reih und Glied an der Straße, die kleinen Gärten sind gepflegt, die Küchenfenster sind mit weißen Gardinen in Spitzenoptik geschmückt. In der kleinen Neubau- Siedlung an der Bornstedter Thaerstraße herrscht auf den ersten Blick typische, aufgeräumte Vorort-Idylle. Es ist Mittagszeit. Draußen ist es nasskalt. Der Spielplatz neben dem kleinen schilfumstandenen Weiher ist verwaist. Wer sich nicht im Haus zu schaffen macht, ist wohl auf Arbeit, beim Einkaufen – oder geht gerade Gassi.

So wie Marie-Luise Hardt. Mit ihrem Dackel an der Leine ist die 60-Jährige gerade auf dem Weg zum Futterhaus an der Potsdamer Straße. Seit rund 17 Jahren wohnt sie zusammen mit ihrem Mann in einem der Doppelhäuser in der Thaerstraße. Wie die meisten in dem Viertel sind sie gleich nach Fertigstellung der Siedlung eingezogen. „Wir sind hier sehr zufrieden. Es ist schön ruhig und man kann schön spazieren gehen. Das Schloss und der Park sind ja gleich um die Ecke“, sagt Hardt, während ihr Hund immer wieder an der Leine zieht. „Der weiß, gleich gibt es Leckerli. Das pressiert für ihn“, sagt die geborene Rheinländerin.

Errichtet hat die Siedlung die Baufirma Semmelhaack. Insgesamt 48 Doppel- und Reihenhäuser hat das Unternehmen mit Hauptsitz im schleswig-holsteinischen Elmshorn damals dort auf weitgehendes Brachland gesetzt. „Zurzeit sind keine Objekte verfügbar“, heißt es in der Beschreibung der Siedlung auf der Internetseite des Unternehmens. „Es gibt dort ausgesprochen wenig Fluktuation“, bestätigt Petra Polonis, Mitarbeiterin bei Semmelhaack am Firmensitz in Potsdam. Die Häuser seien damals alle sehr begehrt gewesen und waren schnell vergeben. „Der überwiegende Teil ist Wohneigentum, es gibt aber auch einige wenige Mieter“, sagt Polonis.

Dass die Siedlung mittlerweile schon einige Jahre auf dem Buckel hat, ist ihr anzusehen. Während vielerorts in Potsdam inzwischen zumeist nüchtern designte Mehrgeschosser in Würfelform oder moderne Stadtvillen entstehen, dominiert in der Thaerstraße noch das gewohnte rot verklinkerte Musterhaus mit weißen Kunststofffenstern. Auch wenn einige Anwohner hier und da versuchen, ihrem Heim mit einigen Details ihren individuellen Stempel aufzudrücken, besticht die Siedlung vor allem durch ihre Gleichmäßigkeit. Nur in der Straße Zum Lausebusch, einer Parallelstraße der Thaerstraße, wird der Einheitslook gebrochen. Dort hat ein Anwohner sein Haus in strahlendem Weiß gestrichen. Möglicherweise davon angesteckt hat sein Nachbar dem obligatorischen Carport ein leuchtendes Gelb verpasst.

Marie-Luise Hardts Dackel hat indes offensichtlich Ablenkung durch einen unwiderstehlichen Geruch an einer Laterne gefunden. So wohl sich Hardt in der Siedlung auch fühlt, das Drumherum lässt ihrer Meinung nach zunehmend zu wünschen übrig. „Es hapert etwas mit der Infrastruktur. Man hat den Eindruck, alles geht so ein bisschen den Bach herunter.“ Früher hätte es in der Nähe noch mehrere Geschäfte gegeben, etwa im Bornstedt-Carree. Mittlerweile hätten dort ja fast alle Läden geschlossen. „Zum Beispiel der Rewe. Jetzt müssen wir immer bis zum neuen in der Pappelallee laufen“, betont Hardt. „Das sind bestimmt mindestens zehn Minuten Fußweg.“ Auch beim neuen Aldi-Hof tue sich nichts mehr. „Da gibt es jetzt zwar den schicken, neuen Aldi, aber es hieß doch, dass da noch ein Bäcker, ein Drogeriemarkt und ein weiterer Rewe kommen sollen“, sagt sie und zuckt etwas ratlos mit den Schultern.

Auch ein anderes Thema brennt den Anwohnern der Siedlung unter den Nägeln. Seit einigen Jahren klagen sie über Raser, die die Thaerstraße als Ausweichroute im Berufsverkehr nutzen und sich dabei nicht an das vorgeschriebene Schritttempo halten. Im Bereich der Siedlung ist die Thaerstraße als Spielstraße ausgewiesen. Im Oktober 2015 hatten sich die Bewohner der Siedlung wie berichtet an die Politik gewandt und Abhilfe verlangt. Unter anderem wurde der Einbau von Bodenwellen auf der Fahrbahn gefordert. Die Stadtverwaltung jedoch hatte damals abgewunken. In der Thaerstraße könnten aus verkehrsrechtlicher Sicht keine weiteren Maßnahmen ergriffen werden, etwa durch das Aufstellen von mehr Verkehrsschildern oder zusätzlichen Hinweisen, hieß es damals. Dies sei laut der Straßenverkehrsordnung nicht anordnungsfähig, ein Schild müsse stets reichen. In Aussicht gestellt wurde lediglich, dass mehr Geschwindigkeitsüberwachungen durchgeführt werden.

So ist das Problem bis heute nicht wirklich gelöst und die Raser sind nach wie vor ein Ärgernis – auch für Marie-Luise Hardt. „Das ist eine Spielstraße, aber viele halten sich einfach nicht daran“, schimpft sie. Ihren Hund würde sie deshalb nie ohne Leine draußen rumlaufen lassen. Für andere sei das Problem natürlich noch weitaus gravierender. „Unser Nachbar hat ein kleines Kind, der regt sich darüber immer besonders auf.“

Während Marie-Luise Hardt inzwischen der neu entflammten Ungeduld ihres Dackels nachgegeben hat und ihm in Richtung des Tierfuttergeschäfts folgt, lädt um die Ecke ein älterer Mann in leuchtend blauer Thermojacke einige Einkäufe aus seinem Auto aus und übergibt sie seiner Frau an der Haustür. Das Paar wohnt genau gegenüber dem kleinen Spielplatz. Auch sie gehören zu den Anwohnern der ersten Stunde. Seinen Namen will er zwar nicht nennen, aber zum Thema Raser hat er dennoch etwas zu sagen. „Ein Glück, dass noch kein schwerer Unfall passiert ist“, sagt er und zeigt auf den Spielplatz, der direkt und ohne Umzäunung an die Fahrbahn grenzt. Es braucht nicht viel, um sich vorzustellen, was für ein Betrieb an einem Sommernachmittag rund um den Spielplatz herrscht. „Ich habe schon Paketdienste gesehen, die hier bestimmt mit 70 Sachen langgefahren sind. Das ist einfach ein Unding“, sagt der Mann in der blauen Thermojacke und verschwindet in sein Haus.

Mit einem Schlag herrscht wieder Ruhe in der kleinen Siedlung an der Thaerstraße. Zumindest weitere Anwohner sind zu dieser Stunde nicht anzutreffen. Nur aus einem der Gärten hört man für kurze Zeit jemanden Holz hacken, doch dichte Hecken versperren den Blick. In den kahlen Ästen der Bäume sitzen ein paar Krähen und krächzen vor sich hin. Fast verlassen wirken die kleinen Straßen.

Es ist Mittagszeit. Draußen ist es nasskalt. Wer sich nicht im Haus zu schaffen macht, ist wohl auf Arbeit oder beim Einkaufen – aber Gassi geht gerade keiner.

In der nächsten Folge lesen Sie am Dienstag, dem 31. Januar: Stadthäuser Mühlenstraße

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