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Von Peer Straube: Der Untergang des Hauses Carlshagen

Die einst prächtige Villa am Luftschiffhafen ist seit 20 Jahren dem Verfall preisgegeben. Ein Nutzer ist nicht in Sicht

Von Peer Straube

Potsdam-West - Man kann sie fast noch sehen, die blitzblanken Schuhe, wie sie im Rausch des Tanzes über das blitzblank gewienerte Parkett im prächtigen Esszimmer wirbeln. Man ahnt noch den Butler in seiner Livree, wie er die teuren Mäntel und feinen Pelze entgegennimmt und sie sorgfältig in die kleine Garderobe gleich neben dem Eingang hängt. Fast nimmt man noch den Duft der gebratenen Fasanen und der pikanten Suppen wahr, der aus den dampfenden Terrinen emporsteigt, die aus dem Küchentrakt im Keller über den Speiseaufzug zur Anrichte gebracht werden. Man stellt sich das Feuer vor, das im edlen Marmorkamin prasselt und die vermögenden Gäste mit heimeliger Wärme willkommen heißt. Natürlich, sich all das vorzustellen, kostet schon ein bisschen Mühe. Doch die Spuren des alten Glanzes sind noch da, auch nach all den Jahren des Verfalls.

Die Villa Carlshagen am Luftschiffhafen hat diese glanzvollen Tage gesehen, doch es ist ein Jahrhundert her. Das Parkett ist heute morsch und zerbrochen, Decken und Teile des Dachs eingestürzt, am Holz hat sich der Hausschwamm seit Jahrzehnten gütlich getan. Man wähnt sich hineinversetzt in die Geschichte vom „Untergang des Hauses Usher“, Edgar Allan Poes düsterer Geschichte.

Die Villa Carlshagen ist eines der größten Sorgenkinder, die die städtische Baugesellschaft Pro Potsdam auf dem Sportareal am Luftschiffhafen hat. Für 150 000 Euro wurde unter der Leitung von Architekt Markus Kling das Schlimmste verhindert. Ein Notdach hält das Wasser ab, schwere rote Doppel-T-Stahlträger halten die tragenden Außenwände – weil die meisten Zwischendecken eingestürzt sind. Das repräsentative Treppenhaus gibt es nicht mehr. Weil es ebenfalls einzustürzen drohte, wurde es ausgebaut – der Blick wandert nun durch einen hohlen Schacht. Der prächtige Speisesaal, mit herrlichem Blick auf den Templiner See einst das Schmuckstück des Hauses, ist nicht mehr begehbar. Den vom Schwamm befallenen Keller kann man nur noch mit Atemmaske betreten.

Während rundherum auf dem Weg zum Traum vom Sportpark Luftschiffhafen saniert, abgerissen und neu gebaut wird, ist für die Villa keine Rettung in Sicht. Drei Millionen Euro kostet allein die Sanierung, hinzu kommt eine gute weitere Million für die denkmalgerechte Wiederherstellung der Außenanlagen nebst Terrasse und Springbrunnen. „Eine Nutzung haben wir nicht“, zuckt Pro- Potsdam-Chef Horst Müller-Zinsius bedauernd die Schultern. Der letzte bekannte Interessent, der Landessportbund, musste die Waffen strecken, weil er sich die Pacht nicht leisten konnte.

Die Geschichte des Anwesens ist illuster. Um 1900 ließ es der jüdische Bankier Carl Hagen als Sommerresidenz im klassizistischen Stil errichten, Gästetrakt, ovaler Esssaal, Terrasse und Eingangshalle kamen einige Jahre später hinzu. Als der Bankier 1938 starb, flüchtete die Familie ins Ausland. Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich in der Villa eine Kinderklinik für Radiologie. Seit deren Auszug im Jahre 1990 war das Gebäude dem Verfall preisgegeben. 2007 kaufte die Pro Potsdam das 10 000-QuadratmeterGrundstück von einer Erbengemeinschaft. Zu den Nachfahren des Bankiers zählen auch die Musikerin Nina Hagen und ihre Mutter, Eva-Maria Hagen.

„Vielleicht“, sinniert Müller-Zinsius, „findet sich ja ein Liebhaber.“ Der könnte über Denkmalabschreibung immerhin Steuern sparen. Und das mit einem rauschenden Fest im Speisesaal feiern.

Das Video stellte uns freundlicherweise PotsdamTV zur Verfügung.

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