Von Luise Fröhlich: Kassandra legt die Karten

Am Stern - Gott sei Dank! Die Karten verheißen ein glückliches Jahr. Die junge, blonde Frau ist begeistert. „Keine Katastrophen, keine Krankheiten, eine große Reise, die Beziehung bleibt stabil.“ Madame Kassandra lächelt. Wieder hat sie jemanden glücklich gemacht. Und das mit einem Kartenspiel. Wer hätte gedacht, dass man aus Skatkarten die Zukunft lesen kann?

Seit vergangenem Samstag hat die Wahrsagerin im Stern-Center ihr Zelt aufgeschlagen, nicht zum ersten Mal. Schon seit Jahren ist die Norddeutsche Stammgast im Einkaufstempel. Und über einen Mangel an Kunden kann sie sich nicht beklagen. Termine für einen Zukunftsblick bei Madame laufen nur über eine Empfangsdame – für den gleichen Tag immerhin. „Kassandra hat mir eine berufliche Veränderung vorhergesagt. Das stimmt, ich mache gerade ein Auslandssemester, was bald zu Ende ist. Ich soll weiterhin auf Verträge achten“, sagt ein junger Mann sichtlich fasziniert, der gerade Kassandras Zelt verlassen hat. Außerdem hat ihm Kassandra prophezeit, dass der Kinderwunsch in der Partnerschaft ein großes Thema sein wird.

Eine andere ratsuchende Frau erzählt von einem Besuch bei Kassandra im vergangenen Jahr. Auch sie ist des Lobes voll. „Es ist alles eingetroffen, was sie vorhergesagt hat. Ich hatte eine Scheidung hinter mir und Kassandra sagte mir damals, ich werde mit dem Thema abschließen. Ein paar Wochen später änderte ich meinen Namen wieder in den ehemaligen Mädchennamen, den ich eigentlich nicht wieder annehmen wollte.“

Was aber bewegt die Menschen, eine solche Lebensberatung in Anspruch zu nehmen? In den meisten Fällen führt sie sowohl die Neugierde, als auch eine gewisse Unruhe zu der Kartenlegerin. Was das neue Jahr bringt, fragt sich schließlich jeder. Die Ratsuchenden fühlen sich oft beruhigter, wenn sie erfahren, was sie in Zukunft erwartet. Weitere Beweggründe sind Verzweiflung und natürlich auch konkrete Probleme, aus denen Ausweg gefunden werden soll.

Kassandra scheint oft ins Schwarze zu treffen – ein Eindruck, den viele ihrer Besucher den PNN bestätigen. Dennoch gehört auch Mut dazu, aus dem Gewusel des Stern-Centers ins Halbdunkel des Zeltes zu verschwinden. Schließlich tun nicht wenige Kartenlesen als Hokuspokus und Scharlatanerie ab, bestenfalls noch als puren Zufall, wenn die Vorhersagen eintreffen. Aber „es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die weiß man nicht“, orakelt eine erwartungsvolle Klientin gegenüber den PNN.

Doch Madame Kassandra hat Erfahrung. Seit 26 Jahren weissagt die gelernte Heilerin die Zukunft aus Spielkarten. Das Skatblatt wird dabei nach bestimmten Mustern und Bildern ausgelegt. Vertrauen aufzubauen, ist Kassandra wichtig. Die Klienten werden von Anfang an direkt mit einbezogen; die Karten sollen selbst gemischt und anschließend mit der linken Hand in drei Stapeln nebeneinander platziert werden. Die drei Stapel werden aufgedeckt und Kassandra beginnt mit einer ersten Deutung. Anschließend legt sie in vier Reihen jeweils acht Karten aus und fährt mit der vollständigen Auswertung fort. Aus der Position und der Bedeutung der jeweiligen Karten, ergibt sich für die Expertin der Blick in die Zukunft. Sogar Schlafprobleme soll sie auf diesem Weg schon gelöst haben. Nach eigenen Aussagen spricht Madame Kassandra alle für sie im Kartenblatt ersichtlichen Themen an, auch die negativen. So verspricht sie beispielsweise den Gewinn einer großen Summe Geld, aber auch die Scheidung vom Partner oder den Tod eines nahen Verwandten.

Honorar verlangt die Wahrsagerin nicht und auf einen Dank nach der Beratung reagiert sie wie zu erwarten geheimnisvoll: „Wichtig ist, was Sie daraus machen.“ Sie bittet lediglich um eine Spende für den Verein „Rote Nasen – Clowns im Krankenhaus“, der regelmäßig die Kinderstation im Klinikum „Ernst von Bergmann“ in Potsdam besucht und für die Unterhaltung der kranken Kinder sorgt. Zum Abschluss des Beratungsgesprächs gibt Kassandra jedem einen Glücksstein mit auf den Weg, der in schwierigen Situationen Kraft geben und Halt bieten soll. So hilft einem der Glücksstein den Weg, auf dem man geht, zu pflastern.

Bis Samstag kann man sich bei Madame Kassandra noch die Karten legen lassen. Viele, die aus dem Zelt kommen, wirken befreit und erleichtert. Ein Skatspiel hat offenbar heilende Kräfte.

Luise Fröhlich