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Erzählen aus ihrem Leben in der DDR: Bernd Richter (l.) und Holger Rupprecht.

© Andreas Klaer

Von Guido Berg: 1986 starb die DDR

Zwei unterschiedliche Leben in der DDR: Ex-Stasi-Häftling und DDR-Doping-Opfer Bernd Richter und Ex-DDR-Sportlehrer und heutiger Bildungsminister Holger Rupprecht erzählen Schülern ihre Geschichte

Die DDR war nicht der große Gleichmacher, wie manche „Den Doofen Rest“ von Deutschland sehen. Bisweilen unterscheiden sich die Biografien dramatisch. Zu einem unbeschadeten Leben im „ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden“ gehörte viel Glück. Im Oberstufenzentrum „Johanna Just“ trafen gestern nun zwei aufeinander, von denen hatte der eine vom Glück recht viel abbekommen – und der andere verdammt wenig.

Der eine ist Holger Rupprecht, seit fünf Jahren Bildungsminister in Brandenburg. Zu dem Schlimmsten, was ihm in der DDR geschah, gehört eine ihm fälschlicherweise zugesprochene Rädelsführerschaft für eine Disziplinentgleisung junger Pennäler im Wehrlager: Die Jungs hatten sehr laut „Es gibt kein Bier auf Hawaii“ angestimmt, „ein Super-Eklat“. Allerdings flog Rupprecht nicht von der Erweiterten Oberschule (EOS), weil sein Vater dies als stellvertretender Direktor seiner Schule verhindern konnte.

Der andere heißt Bernd Richter. Das Los, das er zog, hat aus ihm einen schwer kranken Mann gemacht, wie der 53-Jährige den Schülern des Oberstufenzentrums erklärt. Es gibt Menschen, die haben Einzelhaft in Stasi-Gefängnisse hinter sich. Und es gibt ehemalige DDR-Bürger, die als jugendliche Leistungssportler „Vitamin-Tabletten“ bekamen, die sich später als folgenschwere Doping-Mittel herausstellten. Bernd Richter hat beides erleiden müssen.

In einem für einen Politiker beispielloser Weise setzte sich Holger Rupprecht vor den Schülern mit seiner Biografie auseinander. So schuf er einen eindrucksvollen Kontrast zu Bernd Richters Vita. Rupprecht sagt Sätze wie „Ich kann auf mein Leben nur kritisch zurückblicken“ oder „Ich war staatstragend“. Für manches, was er getan oder unterlassen hat, „schämt man sich auch“. Rupprecht bekam dank seines Vaters einen der begehrten Plätze auf der EOS. Er darf studieren und Lehrer werden, sein „Traumberuf“, wie er sagt. Er studiert an der „roten Hochschule“ in Potsdam Sport und Geografie. Fortuna meint es auch gut mit ihm, als er nicht zum Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen wird, weil sein Jahrgang 1953 so zahlreich war. Allerdings wird er noch 1986, als 33-jähriger Vater zweier Kinder, für drei Monate zum Reservedienst eingezogen, dorthin, wo niemand hin will, in die mecklenburgische Wald- und Wiesen-Wüste von Eggesin. Doch mit 22 Jahren ist Rupprecht Lehrer, nach zwei Pflichtjahren in Schwerin bekommt er eine Stelle als Hauptsportlehrer in Potsdam. Das etwas falsch läuft in der DDR, das hat er gemerkt, gesteht er heute ein, doch aktiv zu werden, „dazu hatte ich nicht den Mumm“. Er war nicht bei der Stasi, nicht in der Partei, so ist er nach der Wende 1989 „reif für eine Karriere“. 1991 wird Rupprecht Direktor des Humboldt-Gymnasiums und 2004 Brandenburgs Bildungsminister. Rupprecht: „Ich bin ein Wendegewinner.“

Bernd Richters Geschicke werden zunächst von seiner Mutter gelenkt, die sich von seinem Vater scheiden lässt, 1958 nach West-Berlin übersiedelt und einen alkoholkranken Ex-Fremdenlegionär heiratet. 1962 ist die fünfköpfige Familie „zurückabgehauen“. Sie ging in die DDR mit nicht mehr dabei als einen vollen Wäschekorb und einen Fernseher.

In Treuenbrietzen werden die Richters schnell als asozial eingestuft. Bei einem 3000-Meter-Lauf in der Schule rennt Bernd Richter „wie um mein Leben“. Die Sportgruppe, in den sie ihn aufnehmen wird seine zweite Heimat. Richter: „Zu Hause gab es eh nur Prügel.“ 1967 kommt Richter an eine Kinder- und Jugendsportschule (KJS), er wird Hammer- und Diskusswerfer und gewinnt bald „sämtliche Preise“. Die Tabletten bekommt er, damit er an Gewicht zulegt, schwere hormonelle Probleme sind die Folge. „Wir waren Versuchskaninchen.“ Nachdem ihm ein großer internationaler Wettkampf in Kuba versagt wird und seine Mutter ihn von der KJS nehmen will, beschließt Richter, in den Westen abzuhauen. In Leverkusen gibt es einen Sportverein mit einer guten Jugendarbeit, da will er hin. Doch noch vor der ungarisch-jugoslawischen Grenze wird er gefasst. Ein Freund hatte ihn verraten. Ein halbes Jahr Stasi-Einzelhaft hätten ihm, dem Hochleistungssportler, leicht das Leben kosten können. Nach einer Amnestie beginnt er eine zweite Sportkarriere bei der Armee, wird aber wieder verhaftet, weil er einen Kameraden bestohlen haben soll. Später, im Zivilleben, lernt er Maurer und wird sogar Diplom-Ingenieur. In Potsdam begutachtet er den Bauzustand von Häusern. Als er sich weigert, noch zu rettende Altbauten als unsanierbar zu stempeln, wird er zur SED-Kreisleitung gebracht, wo ihm teils noch heute politisch aktive Genossen erklären, „wie man umzugehen hat mit Aufträgen der Partei“.

Eines haben Richter und Rupprecht gemeinsam: Bei beiden war es das Jahr 1986, als die DDR für sie „gestorben“ war. Richter, weil er beruflich diskriminiert wird. Rupprecht, weil er eine von der Stasi inhaftierte Freundin, deren zwei Kinder Rupprecht und seine Frau betreuen, im berüchtigten Frauen-Gefängnis Hoheneck besucht: „Ein schreckliches Erlebnis.“ 1989 demonstriert auch Holger Rupprecht gegen den SED-Staat. „Aber da war das Risiko nicht mehr groß“, sagt er.

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