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Von Annette Kögel (text) und Thilo Rückeis (fotos): Chinesisches Abenteuer

Schüler aus Berlin und Peking schrieben die „Paralympics Zeitung“ – und wurden selbst zu Stars der Spiele

Peking – „Das war das Beste, was mir je im Leben passiert ist“, sagt Alexandra Großeholz und schaut versonnen ins Stadion. Sie meint die Paralympics und die knapp zweiwöchige Zeit als Schülerreporterin für die „Paralympics Zeitung“ des Tagesspiegels in China. Als sie das so ergriffen sagt, scheint für einen Moment die Zeit stillzustehen bei der Abschlussfeier im pulsierenden „Vogelnest“.

Die 18-jährige Jugendliche vom Spandauer Lily-Braun-Gymnasium gehört zum 40-köpfigen Team aus Berliner und Pekinger Schülern, die während der Olympischen Spiele der Menschen mit Behinderungen ein einzigartiges Projekt in einer völlig anderen Welt stemmten. Es war – angesichts der sonst üblichen Abschottung – nach Einschätzung von Chinakennern eine noch nie da gewesene Kooperation zwischen chinesischen und auswärtigen Schülern: Die 18 Berliner und 18 Pekinger Schüler konnten frei zusammenarbeiten, interviewten selbstständig unter anderem die Bundeskanzlerin, trafen den Bundespräsidenten und baten Innensenator Ehrhart Körting zum Gespräch.

Die Jugendlichen des Tagesspiegel-Teams mussten aber auch selbst häufig Interviews geben über das Projekt des „Mirror of the Day from Berlin“. Die bedeutendsten Tageszeitungen Chinas mit Millionenauflagen wie „People“s Daily“ und „China Daily“, US-Medien sowie der größte Fernsehsender Chinas CCTV berichteten über die Nachwuchsschreiber in ihren überall auffallenden türkisen „Paralympics Zeitung“-T-Shirts.

Während die Jugendlichen in Peking leidenschaftlich recherchierten, schrieben und mit knallblauen Tagesspiegel-Tröten anfeuerten, erkannten deren Eltern daheim ihre Kinder auch in einer ARD/ZDF-Reportage wieder. „Es war spannend, im Schnittraum mitzuerleben, wie der Beitrag entsteht“, sagt etwa Schülerin Caroline Schlemmer. Auch die Fotoreporter Thilo Rückeis und Uli Gasper standen dem Team mit den Lehrern Etta Ites-Paetzold und Weijian Liu zur Seite.

Noch viel wichtiger, als selbst im Rampenlicht zu stehen, waren den Berlinern von acht Oberschulen unter Federführung des Reinickendorfer Bertha-von Suttner-Gymnasiums aber die Begegnungen mit den behinderten Athleten.

„Das Wort ,behindert passt überhaupt nicht, die Sportler sind total cool“, sagt die 17-jährige Susann Krajewski. Diese Erkenntnis gewannen auch die 17-jährige Hanna Leibold und die 19-jährige Franziska Kjasimow, als sie den südafrikanischen Sprintstar, dreifachen Goldmedaillensieger und beidseitig unterschenkelamputierten Oscar Pistorius interviewten. Sie hätten einen völlig neuen Blick auf das Leben bekommen, sagen auch Marielle und Eva, Bettina und Di Huyen, Susann, Joanna und Lena.

All das konnte man nachlesen in den vier sechssprachigen Ausgaben. Die chinesischsprachigen Jugendlichen aus Berlin wohnten und arbeiteten in der Mittelschule Nummer 80, einer der anerkanntesten Schulen des Landes. Dort wurden die Deutschen von einer Delegation unter Schulleiterin Shulin Tian empfangen wie Staatsgäste. An der Schulfassade und im Paralympischen Dorf hingen riesige Plakate mit Bildern und Grußworten der Schirmherren, Berlins Regierendem Klaus Wowereit und seinem Amtskollegen Guo Jinlog, mit Faksimile der Zeitung und Tagesspiegel-Logo.

„Ich war ziemlich aufgeregt, als ich den deutschen Präsidenten Köhler getroffen habe, aber er war sehr geduldig und offen“, sagt die 16-jährige Yudi Wu – nachts um halb eins im Redaktionsraum der Schule: Die Sportreporter sind in ihrem Elan nicht zu bremsen. Für die Berlinerinnen war das China-Abenteuer auch eine Lektion in Sachen Lebenskunde. In den nicht gerade luxuriös ausgestatteten Mehrbettschlafräumen der Schule wird den Jugendlichen nämlich üblicherweise um 22 oder 23 Uhr Licht und Strom abgedreht, und die Internatsschüler dort haben anders als die „Sportreporter“ nur wenige Stunden Ausgang pro Woche.

„Wir haben uns auch mal nachts mit dem Taxi verfranst, weil die Fahrer uns nicht verstanden haben. Und uns Sehenswürdigkeiten wie den Sommertempel oder die Große Mauer angeguckt, auf die wir selbst richtig Lust hatten“, sagt Kyra Ksinzyk. Sie feiert am letzten Tag in der Disko Suzie Wong ihren 18. Geburtstag: „So selbstständig wie hier war ich bislang noch nie.“ Jene jungen Berliner, die noch nie in der 18-Millionen-Metropole waren, kamen voll unerwarteter Eindrücke zurück – so wie der Hahn im Korb, Alessandro Ambrosio des Toro von der Schöneberger Sophie-Scholl-Gesamtschule.

All diese Erfahrungen hat auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung als Förderin des Projektes mit ermöglicht. Die „Paralympics Zeitung“ war unter anderem in den europäischen Botschaften in Peking, im German Paralympic-Club und in der deutsch-chinesischen Handelskammer zu erhalten. Auch in den Flugzeugen der Hainan Airlines zwischen Berlin und Peking lag sie aus.

Dass nicht alles im Journalismus und im Leben nach Plan läuft und man dann halt improvisieren muss, auch das haben alle gelernt. Das Computersystem streikte mitunter, das ohnehin langsame Internet funktionierte oft gar nicht, der Drucker ebenso wenig – und daher die Korrekturleserei mitunter auch nicht wie gewünscht. Und doch: Knapp zehn Flugstunden von Berlin entfernt, in dem riesigen Land, das sich mit einem Tempo entwickelt, bei dem man als Europäer kaum mitkommt, folgten alle dem Motto der Spiele: „One World, One Dream.“ Über dem Eingang zur Schulredaktion stand übrigens der schöne Verschreiber: „Redaktionstraum der Berlin-Pekinger Paralympics Zeitung.“

Die Paralympics Zeitung im Internet: www.tagesspiegel.de/sport/Paralympics

Annette Kögel (text), Thilo Rückeis (fotos)

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