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Von Alexander Fröhlich: „Bürgerkrieg“ in der Idylle

Knapp zwei Wochen ist der Uferweg in Groß Glienicke gesperrt – jetzt sollen die Kontrahenten miteinander reden

Groß Glienicke – Es ist eine Idylle. Flach über das Wasser schweben Schwäne, die Bäume tragen erstes Grün, überall Vogelgezwitscher. Am Groß Glienicker See erwacht die Natur. Und in ihren Gärten bestellen Anwohner die Beete, in vielen Häusern herrscht Frühjahrsputz. Doch die friedliche Stimmung trügt, schon am Ortseingang fordern Schilder „Freies Ufer“, an den Zäunen hängen Zettel: „Gegen die egoistische Schädigung des Gemeinwohls.“ Ein Rentnerpaar aus Berlin-Spandau muss vor einer quer über den westlichen Uferweg frisch gepflanzten Hecke kehrt machen. „Wir spazieren hier immer von Kladow aus um den See, heute das erste Mal in diesem Jahr wieder.“ Sie haben auch schon davon gehört, dass es Streit um das Seeufer gibt in Groß Glienicke, aber nicht, dass es so weit gekommen ist.

Schon seit knapp zwei Wochen ist Schluss mit der Idylle in der 5000 Einwohner zählenden Gemeinde, einem noblen Ortsteil der Landeshauptstadt Potsdam mit üppig hergerichteten Villen. Mehrere Anwohner haben den früheren Kolonnenweg der DDR-Grenztruppen auf ihren Grundstücken am Westufer gesperrt. Eine junge Frau, die gegen den Winterspeck joggt und vor drei Jahren samt Familie extra wegen der Idylle am See mit Uferweg in den Ort zog, sagt: „Das ist eine Schweinerei, auch wegen der Kinder.“ Und den Bewohnern des Seniorenheims würde der Weg zum Spazieren genommen, sagt eine andere junge Frau. Eine Radlerin dagegen spricht von „kommunistischen Verhältnissen“, weil jetzt wieder Privateigentum enteignet werden soll.

Es herrscht allseits Aufruhr im beschaulichen Groß Glienicke. Zwar hatten bereits vergangenen Sommer mehrere Anwohner am Südufer den Weg versperrt, doch die Aufregung ebbte wieder ab. Jetzt ist das anderes, schließlich geht es um das Westufer, wo es sich prächtig flanieren lässt, wo die Badestelle liegt, wo die Villen stehen. Eine Bürgerinitiative hat sich gegründet, die zweite „Montagsdemo“ steht an, der Protest soll weitergehen bis „alle Wälle fallen“. Am Ostermontag kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Wachleuten und Demonstranten.

Das war genau vor dem Haus von Baudis Münich, Anfang 50, einer der Anrainer, die den Uferweg dicht gemacht haben. „Das ist wie Bürgerkrieg“, sagt er. Ein von ihm engagierter Wachmann hätte im Krankenhaus untersucht werden müssen, mehrere Anzeigen wegen tätlicher Attacken und herausgerissener Pflanzen liegen bei der Polizei. Sogar Drohungen haben ihn erreicht, sein Auto und Haus würden brennen. Im Ort werden Münich und die anderen Wegesperrer schräg angeschaut, dumme Sprüche inklusive. „Aber uns bleibt nichts anderes übrig, was die Stadt Potsdam mit uns macht, ist pure Willkür“, sagt Münich.

Tatsächlich gibt es sein einiger Zeit Vorwürfe gegen das Rathaus, es würde sich nicht an Absprachen halten. Seit November gab es mehrere Treffen. Am Ende erklärten vier Anrainer die Gespräche für „final beendet“. Inzwischen hat die Stadt den ersten Schritt zur Enteignung getan und Kaufangebote für den Uferstreifen verschickt – allerdings ohne eine konkrete Summe zu nennen. „Die Stadt hatte seit dem Jahr 2000 Zeit, mit uns zu sprechen“, sagt Münich. So lange schon gibt es einen gerichtlich bestätigten Bebauungsplan zur Gestaltung des Ufers. In diesem Frühjahr soll es aber losgehen. Selbst der Grünen-Stadtverordneten Andreas Menzel hat den Verdacht, dass die Stadt „Erwartungen geweckt hat, die von vornherein unrealistisch waren“. Zu Beginn der Verhandlungen hätte er den Weg der Stadt sogar kostenfrei übertragen, sagt Münich. Nun droht er damit, die Schreiben der Stadt mit deren Angeboten öffentlich zu machen – als würde das Rathaus damit lächerlich gemacht.

So richtig versteht keiner mehr diesen Streit um den früheren Postenweg derGrenztruppen, es ist juristisch vermintes Gebiet. Ohne den Bau der Berliner Mauer gebe es diesen Weg gar nicht, sagt Münich. Aber nach 1989 blieb er wie er war – auch das war eine Befreiung. „Viele Leute sind nach Groß Glienicke gezogen, weil es diesen schönen Uferweg hier gibt“, sagt Menzel, er ist auch Sprecher der Bürgerinitiative. Aber auch viele Anwohner von der anderen Seite des Sees auf der Berliner Seite in Kladow, wo es gerade kein freies Ufer gibt, mischen mit beim Protest. Alle Anzeigen bei der Polizei sind jedenfalls gegen Berliner erstattet worden.

Vereine im Ort wollen nun den Dialog wieder anschieben. Für diesen Sonntagnachmittag rufen sie zur einer Kundgebung auf der Badewiese auf, die von beiden Seiten nicht mehr über den Uferweg, sondern nur noch über die Seepromenade erreichbar ist. Anrainer sollen über ihre Erfahrungen mit der Stadtverwaltung berichten, der Ortsbeirat kommt zu Wort, auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hat zugesagt.

Bis Freitagabend sollten die Sperren am Ufer verschwinden, das hat die Stadt verfügt. Kommen die Anrainer dem nicht nach, droht ihnen ein Zwangsgeld in vierstelliger Höhe. Und die Stadt könnte am Montag selbst Räumkommandos anrücken lassen – in die Idylle.

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