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Landeshauptstadt: Völlig durcheinander

Die Potsdamer Säkularstation protokolliert täglich die Kapriolen des Klimas – lückenlos seit 1893

Die Vögel zwitscherten munter an diesem lauen Märzabend. Eine kleine Gruppe von Klimaforschern, Umweltexperten und Bundestagsabgeordneten traf sich am Mittwoch vor dem Süring-Haus, dem ehemaligen Meteorologischen Observatorium Potsdam hoch oben auf dem Telegrafenberg. Unter ihnen auch Professor Matthias Freude, Präsident des Landesumweltamtes. Am Morgen habe er einen Buchfink gehört, auch die Rohrdommel und die Störche seien aus ihren Winterquartieren schon zurück. „Viel zu früh, das habe ich noch nie erlebt“, sagte Freude.

Professor Friedrich Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) konnte die Beobachtungen des Biologen stützen. Ein Blick auf die Klimareihe der Potsdamer Säkularstation zeigt, dass der vergangene Herbst und Winter wesentlich wärmer waren als in den vergangenen 100 Jahren. Gemessen wird hier auch die Erdbodentemperatur. „Sogar in sechs Metern Tiefe ist der Klimawandel schon angekommen, die Temperaturen sind dort so hoch wie nie zuvor“, erklärte Gerstengarbe. Mit der Folge, dass auch unter der Erde die Tier- und Pflanzenwelt „völlig durcheinander“ gerate. Die Folgen für das biologische System sind kaum absehbar.

An der Potsdamer Säkularstation sind seit 1893 täglich Temperatur, Luftdruck und weitere Klimadaten aufgezeichnet worden. „Die längste vollständige Klimareihe der Welt“, weiß der Biologe Freude. Für die Wissenschaft von unschätzbarem Wert, gerade nun, im Angesicht des Klimawandels, der nur aufgrund von lückenlosen Referenzdaten realistisch beurteilt werden könne. Lückenlos ist die Aufzeichnungsreihe dank des Potsdamer Meteorologen Professor Reinhard Süring , nach der Bombennacht von 1945 hielt der Pensionär als einziger die Stellung und zeichnete täglich die Daten auf. Für den Chef des PIK und Regierungsberater, Professor Hans Joachim Schellnhuber, ist die Säkularstation damit ein „großer historischer Schatz“. Dass nun der Deutsche Wetterdienst zusammen mit dem Potsdamer Süring-Verein den Schulterschluss für den Erhalt der Station übe, ist in seinen Augen der richtige Weg für den Beobachtungsposten, der im vergangenen Jahr schon kurz vor der Schließung stand (PNN berichteten). Schellnhuber, gerade zurück aus Brüssel, machte den Anwesenden einmal mehr die Dramatik der Situation deutlich. Seine Forderung ist klar: Neben Forschung braucht die Menschheit vor allem auch eine neue Industrielle Revolution, die im Zeichen der Energiesicherheit steht. Der Klimawandel sei das vielleicht „größte Spiel“ der Menschheit. Ein Spiel, bei dem nun jeder Zug stimmen muss.

Bezüglich der Potsdamer Säkularstation, die bis 2015 finanziell als gesichert gilt, schwebt dem Präsident des Deutschen Wetterdiensts, Wolfgang Kusch vor, die Potsdamer Station in ein Netz mit weiteren acht deutschen Stationen zwischen Helgoland den Alpen, Aachen und Görlitz aufzunehmen, um so ein Referenznetz für die Klimaforschung zu erhalten. Zusammen mit Gerstengarbe, der sich seit Jahren für die Potsdamer Station einsetzt, wurde die Idee geboren, diese neun Stationen im Wetterdienstgesetz festzuschreiben. „Damit sie bei erneuten Sparrunden in der Zukunft von der Schließung ausgenommen sind“, so Kusch. Was bei den anwesenden Bundestagabgeordneten, die das Anliegen von der Sache her unterstützten, teils auf Widerspruch stieß. Denn, Gesetzesänderungen seien ein langer, schwieriger Weg, hörte man von Seiten der SPD-Abgeordneten. Der Abgeordnete der Grünen allerdings wollte sich für eine zügige Lösung einsetzen.

Draußen war es mittlerweile Nacht geworden. Von Abkühlung konnte keine Rede sein. Ein weiterer, wichtiger Eintrag in der Klimareihe.

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