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Landeshauptstadt: Verwaltung wirbt für „Freiland“

Elona Müller: „Wir sind überzeugt“ / Linke stellt Dringlichkeits-Antrag / Jugend-Befragung angekündigt

Die Verwaltung hat dafür geworben, ein „Freiland“-Jugendzentrum in der Friedrich-Engels-Straße entstehen zu lassen – und weitere Details zu dem Vorhaben genannt. „Wir sind überzeugt, dass es ein selbst organisiertes Jugendzentrum geben muss“, sagte Sozialbeigeordnete Elona Müller gestern vor Journalisten.

Wie berichtet, hatte die Verwaltung Ende vergangener Woche ein Konzept vorgelegt, wie „Freiland“ umgesetzt werden könnte. Dafür werden Investitionskosten in Höhe von mehr als einer Million Euro veranschlagt. Als Voraussetzung für die Pläne stellen die Potsdamer Stadtwerke das Gelände ihres früheren Wasserbetriebs kostenlos zur Verfügung und geben zudem 440 000 Euro. „Der Aufsichtsrat der Stadtwerke geht dabei nach meinen Informationen mit“, so Müller gestern. Daneben kommen 500 000 Euro zusätzlich aus dem Kultur- und Sozialtopf der Stadt. Auf dem „Freiland“-Gelände soll sich damit der Jugendklub S13 ansiedeln können, ein Veranstaltungshaus für den Spartacus e.V. und andere Jugendvereine entstehen, dazu kommen Bandprobenräume und Graffitiflächen. „Wenn die Stadtverordneten zustimmen, könnten wir nächstes Jahr beginnen“, so Müller.

Gleichzeitig nahm sie Stellung zu bisherigen Unklarheiten – etwa auf welche Weise die Verwaltung eine bisher existierende Finanzierungslücke für den geplanten Zuschuss von 125 000 Euro geschlossen hat. Demnach kommt Geld aus der Projektförderung des Fachbereichs Kultur. Ebenso soll der derzeit geschlossene Jugendklub „Nowawes“ in Zentrum-Ost nach seiner Neueröffnung eine halbe Stelle weniger erhalten. Auch ist geplant, eine halbe Stelle aus dem Stadtjugendring (SJR) an Freiland anzudocken. Interessant daran: SJR-Chef Dirk Harder gilt als einer der aussichtsreichen Bewerber, um das Jugendareal dauerhaft zu betreiben – er hatte die ursprüngliche Idee auch entwickelt. Wie Sozialbeigeordnete Müller gestern erklärte, werde die Verwaltung nach derzeitigem Stand ein Interessenbekundungsverfahren durchführen, um einen Betreiber zu finden. Bevorzugt werde dabei ein Stiftungsmodell, um so auch die geplante finanzielle Unterstützung der Stadtwerke zu ermöglichen, so Müller.

Bei den Parteien geht derweil die Diskussion um „Freiland“ weiter. Die Linke kündigte an, aus dem Konzept für Freiland einen Dringlichkeitsantrag für die morgige Sitzung des Stadtparlaments zu machen. Potsdams SPD-Chef Mike Schubert nannte dies „Wahlkampf“-Getöse und mahnte zu einer genauen Prüfung des Vorhabens. Und Dauer-„Freiland-Kritiker Steeven Bretz (CDU) sagte, er könne nicht erkennen, dass die Folgefinanzierung des Projekts gesichert sei. Davor warnten gestern auch die Jungen Liberalen: Mit dem vorgelegten Papier sei eine weitere Pleite für Potsdams Jugendkultur vorprogrammiert, da über die notwendigen Einnahmen nur spekuliert werde.

Indes will die Verwaltung unter den Potsdamer Jugendlichen zwischen 14 und 27 Jahren eine repräsentative Befragung durchführen, um deren Bedürfnisse beim Thema Jugendkultur zu ermitteln. „Die Ergebnisse sollen empirische Grundlage für mittel- und langfristige Planungen bieten“, heißt es im aktuellen Rahmenkonzept Jugendkultur, über dass die Stadtverordneten in ihrer Sitzung am Mittwoch erstmals beraten. Die Idee ist nicht neu: Erst im Frühjahr hatte das Stadtparlament einen Antrag der Linken über eine solche Befragung abgelehnt, unter Verweis auf Kosten von rund 30 000 Euro.

Ein Beispiel für eine Umfrage lieferten indes am Wochenende Studenten vom Institut Erziehungswissenschaften der Universität Potsdam. Sie befragten 100 Jugendliche: 50 Prozent zeigten sich demnach unzufrieden mit dem derzeitigen Freizeitangebot, teilten gestern Heinrich Kanstein mit, einer der Initiatoren. Vor allem Diskotheken und Klubs sowie altersgerechte Sportangebote werden vermisst. „Die Befürchtungen vieler Jugendlicher ist zudem, dass mit ’Freiland’ zwar ein Raum für die Jugend geschaffen wird, dieser aber trotz gut gemeinten Absichten an den Bedürfnissen vorbei konzipiert wird“, so Kanstein – der deswegen jugendliche Mitsprache forderte. H.Kramer

Braucht Potsdam ein „Freiland“?

Braucht Potsdam ein Projekt „Freiland“? Ein neues Jugendzentrum soll an der Friedrich-Engels- Straße entstehen, dafür wollen die Stadtwerke als Großsponsor auftreten. Die Linke peitscht das Projekt durch, SPD und CDU haben ihre Bedenken. Als Hauptargument gegen das Projekt gelten bislang die hohen Investitionskosten. Diskutieren Sie mit im Internet unter www.pnn.de.

PRO

Potsdam wächst. Mit dieser einfachen Wahrheit lässt sich begründen, warum die Stadtverordneten gut beraten sind, für das geplante „Freiland“-Jugendareal zu stimmen: Der Bedarf nach Jugendangeboten wird in den kommenden Jahren eher größer als kleiner. Zudem ist der Ansatz für das neue Areal – junge Menschen gestalten sich ihre Räume weitgehend selber und entwickeln dort Ideen, die sie mit Hilfe eines Betreibers umsetzen – bislang völlig neu für die Landeshauptstadt und allemal einen Versuch wert. Genau das ist es, was viele hundert Jugendliche mehrmals bei Demonstrationen im vergangenen Jahr gefordert haben. Denn die Probleme, die zu den „Freiland“-Plänen geführt haben, sind ja immer noch akut : Der Jugendklub S13 hat immer noch keinen akzeptablen Platz, und auch die beliebten Veranstaltungen und Partys des „Spartacus“- Vereins werden von vielen Potsdamer Jugendlichen immer noch schmerzvoll vermisst. So müsste sich die Diskussion um „Freiland“ nicht mehr um das „ob“, sondern vor allem das „wie“ und das „wann“ drehen. Denn fraglich ist schon, wenn die Stadtwerke als Finanzier für Jugendarbeit auftreten und für ein etabliertes Jugendhaus wie das „Archiv“ aktuell kein Geld da sein soll. Notfalls kann „Freiland“ noch ein Jahr warten. Henri Kramer

CONTRA

Ganz Potsdam ist ein Freiland, dazu braucht es keiner neuen Location für Jugendliche. Wer in dieser Stadt einen Platz zum Chillen oder für Party und Projekte sucht, findet einen. Ob Partys auf Freiflächen am Babelsberger Park oder in einem kleinen Eckladen mit Kultur, Café und Sport in der Charlottenstraße. Entstanden in Eigeninitiative. Genau darum geht es – wer etwas Eigenes haben will, muss etwas Eigenes schaffen. Die Versorgungsmentalität ist ein gesellschaftliches Phänomen. Wie sich die Jugendlichen allerdings ihre kulturelle und geistige Selbstständigkeit erhalten wollen, indem sie als erstes nach dem Staat rufen und sich ein Objekt von öffentlicher Hand bezahlen lassen, bleibt ihr Geheimnis – betteln kann jeder. Sich Nischen in der Gesellschaft schaffen, so wie es einst Lindenpark, Waschhaus und Archiv getan haben, darin liegt der Reiz. Auch wenn nicht immer erstrebenswert ist, was aus den alternativen Projekten geworden ist. Doch auch das ist Zeichen des Zeitgeistes. Aber wie weiter mit dem Freiland-Projekt? Absagen. Einzig die Suche nach Bandproberäume sollte intensiviert werden. Allein dafür bedarf es aber keiner Millioneninvestition in einen neuen Standort. Vielleicht reichen dafür vorhandene frühere Luftschutzkeller in Typ-Erfurt-Schulen? Jan Brunzlow

H. Kramer

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