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Matthias Klipp ist nicht mehr Baudezernent in Potsdam. Der Oberbürgermeister lässt ihn abwählen.

© M. Thomas

Urteil des Potsdamer Verwaltungsgerichts: Bertiniweg ist eine öffentliche Straße

Ein Urteil des Verwaltungsgerichts zum Bertiniweg offenbart Rathaus-Willkür und wirft Fragen im Fall Matthias Klipp, Ex-Baubeigeordneter der Stadt Potsdam, auf: Möglicherweise steht sogar die Baugenehmigung für sein zu groß gebautes Haus infrage.

Potsdam - Für das Potsdamer Rathaus ist es eine herbe Niederlage, für den früheren Baubeigeordneten Matthias Klipp (Grüne) könnte es weiteres Ungemach rund um seinen privaten Hausbau nach sich ziehen. Der Grund: Das Verwaltungsgericht Potsdam hat in einem von Anwohnern per Feststellungsklage erwirkten Beschluss entschieden, dass eine Stichstraße des Bertiniwegs laut Brandenburgischem Straßengesetz keine private, sondern eine öffentliche Straße ist.

Damit wird eine jahrelang von der Stadt vehement vertretene Rechtsauffassung für rechtswidrig erklärt. Außerdem ändert sich damit die Berechnungsgrundlage für die Größe des Klippschen Hausbaus – möglicherweise steht sogar die Baugenehmigung für sein Haus infrage. Es geht damit auch um die Hausbauaffäre, über die Klipp 2015 gestürzt war. Welche Folgen der Beschluss des Verwaltungsgerichts genau hat, ist noch nicht absehbar. Es handelt sich immerhin um eine Entscheidung von Gewicht: Nicht ein Einzelrichter urteilte, sondern eine komplette Kammer. Ein Stadtsprecher sagte den PNN, die Entscheidung werde nun intensiv geprüft. Dazu gehört auch die Frage, welchen Anteil die Landeshauptstadt an den Ungereimtheiten hat. Das Potsdamer Rathaus hatte 2011 die Flächen samt der Stichstraße zu einem Spottpreis an einen privaten Investor verkauft. Finanzdezernent Burkard Exner (SPD) war fast über den Deal gestürzt. Anwohner mussten erst auf Vorkaufsrecht klagen, nachdem auch die von ihnen gepachteten Grundstücke von der Stadt verkauft worden waren.

Anwohnern wurde Anfahrt mit Auto verwehrt - und die Stadt stützte diese Position

Zum Kaufpaket gehörte auch die Stichstraße am westlichen Ende des Bertiniweges. Und der Investor verkaufte die Flächen weiter – an Häuserbauer, darunter Klipp. Sowohl der Investor als später auch Klipp bestanden darauf, dass die Straße eine Privatfläche und nicht frei für den öffentlichen Straßenverkehr sei. Lediglich Polizei und Rettungskräfte durften demnach den Weg befahren. Einigen Anwohner, deren Grundstücke nur über den Weg zu erreichen waren und denen die Straße schon Jahrzehnte als Zufahrt diente, wurde die Fahrt mit dem Auto dorthin verwehrt. Und die Stadt Potsdam stützte die Position noch.

Nun bescheinigte das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. September der Stadt indirekt, Unrecht getan zu haben. Es war vor allem die Klipp bis zu seiner Suspendierung und späteren Abwahl im vergangenen Jahr unterstehende Bauverwaltung, die offenbar die nun gekippte Rechtsauffassung zum Status der Straße vertrat. Dabei war die Straße selbst im Straßenverzeichnis der Stadt über Jahre als öffentlich ausgewiesen worden, ebenso in der Straßenreinigungssatzung, in den Akten des Katasteramtes oder im Amtsblatt. In der Straßenakte der Stadt ist der Weg sogar als Erschließungsstraße aufgeführt, gewidmet im Juni 1992. Entwidmet wurde sie nie.

Auch 2009 war Bertiniweg öffentlich

Der Bereichsleiter der Unteren Straßenbaubehörde im Rathaus schrieb 2009, der „öffentliche Straßencharakter wurde nie aufgehoben“. Allerdings hatten die Stadtverordneten wenige Jahre zuvor, nämlich 2005, einen Bebauungsplan für das Gebiet beschlossen. Und demnach sollte die Stichstraße umgewidmet werden und nur noch Geh- und Fahrrecht (für Rettungskräfte) gelten.

Der Bereichsleiter hielt 2009 fest: Der Fachbereich Grün- und Verkehrsflächen werde diese Vorgaben nun umsetzen. Doch selbst dort stellte man 2009 fest, so zeigen es die Akten, dass der Bertiniweg auf den Karten des Fachbereichs öffentlich ist. Selbst bei einem Ortstermin legten sich die Fachleute darauf fest, dass es dabei bleiben sollte. Und noch 2014 und 2015 eröffnete die Stadt ein Verfahren gegen eine Baufirma, weil diese ein Baugerüst aufgestellte hatte. Das Rathaus erteilte eine Ausnahmegenehmigung für die „Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes“. Ein leitender Mitarbeiter des Grundstücksmanagements, das dem Finanzbeigeordenten Exner damals noch unterstand, hatte 2011 gegenüber dem Amtsgericht Potsdam sogar erklärt, dass die Grundstücke der Anwohner über die Erschließungsstraße erreichbar sein sollen. Dasselbe hatten Rathausmitarbeiter im selben Jahr bei einer Anwohnerversammlung versichert.

Anwohner witterten Willkür

Auch deshalb kam den klagenden Anwohnern das Verhalten der Bauverwaltung wie blanke Willkür vor. Denn die bestand jahrelang mit aller Härte darauf, dass es sich nach dem B-Plan eben nicht um eine öffentliche Straße handle. Auch weil sich die Stadt durch ein Urteil des Landgerichts Potsdam aus dem Jahr 2013 bestätigt sah. Das entschied auf Klage von langjährigen Anwohnern, dass der Investor, der das Areal von der Stadt erwarb, einen Poller an der Straße als Zufahrtssperre wieder abbauen muss. Das Gericht hatte in dem Zivilverfahren aber auch entschieden, dass die klagenden Anwohner im Gegensatz zu anderen keine Gewährung der Zufahrt verlangen können.

Auch Klipp verwies stets auf das Urteil, wonach im B-Plan für die klagenden Nachbarn kein Fahrrecht eingeräumt werde, sondern nur ein Notwegerecht für Rettungskräfte besteht. Klipp, der den Hausbau im Bertiniweg am Jungfernsee 2013 selbst publik gemacht hatte, um jeden Verdacht der Einflussnahme seiner Behörde auf den Hausbau von vornherein zu zerstreuen, untersagte den Nachbarn später sogar, über sein Grundstück, also seinen Teil der Straße, zu ihren Grundstücken zu fahren, um zu ihren Häusern zu gelangen. Auch das Grundstücksmanagement der Stadt teilte dann 2013 entgegen früherer Versicherungen schriftlich mit, es handle sich nach dem B-Plan nicht um eine öffentliche Straße, die der Erschließung der Anwohnergrundstücke diene. Die Verwaltungsrichter sehen das nun komplett anders. Und das könnte Folgen haben. Denn Nachbarn gehen auch gegen die Baugenehmigung für Klipps Haus vor und sehen sich durch den jüngsten Beschluss gestärkt. Sie hoffen, dass das Verwaltungsgericht auch bei der Baugenehmigung seiner Linie folgt. Dass bei Klipp aber die Abrissbirne anrücken muss, damit rechnet das Rathaus nicht. Denn das ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Dennoch wirft das alles im Fall Klipp neue Fragen auf.

Klipp würde nach Urteil 311 Quadratmeter öffentliche Straße besitzen - nicht nur 36

Zur Erinnerung: Klipp hatte – nach Recherchen durch „Bild“ und PNN – sein im Frühjahr 2014 errichtetes Haus zur groß gebaut. Dabei spielt auch besagte Stichstraße eine Rolle. Klipp hatte für die Hausgröße das gesamte von ihm miterworbene Straßenstück einberechnet. Ob Fehler oder Absicht: Dabei waren auch 36 Quadratmeter öffentliche Straße in seinem Besitz. Sein Haus fiel dadurch statt erlaubter 160 dann 169 Quadratmeter groß aus – und das, obwohl ihn seine Bauverwaltung auf den Rechenfehler hinwies.

Nach den Vorgaben des B-Plans gilt der Grundsatz: Je mehr private Fläche, desto größer darf das Haus gebaut werden. Mit dem jüngsten Beschluss der Verwaltungsrichter aber würde Klipp nicht nur 36 Quadratmeter, sondern insgesamt 311 Quadratmeter öffentliches Straßenland besitzen. Und die dürfen bei der Hausgröße nicht angerechnet werden. Nach den Regeln des B-Plans hieße das, sein Haus dürfte nur 118 Quadratmeter groß sein – 50 weniger als aktuell.

Für das Rathaus bleibt die Frage, wer das alles verzapft hat, ob der Fehler im Rathaus, in der Verantwortung Klipps liegt oder beim damaligen Investor. Und ob und wie der Verstoß bei Klipps Hausgröße nachträglich geheilt werden kann.

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