zum Hauptinhalt
Auch Erzieher werden in Potsdam derzeit händeringend gesucht.

© dpa

Unternehmen unter Druck: Potsdam: Die Kehrseite des Job-Booms

In Potsdam sind immer weniger Menschen arbeitslos. Aber der Boom am Arbeitsmarkt hat einen gefährlichen Nachteil: Unternehmen finden kaum noch Bewerber.

Verkehrte Welt in Potsdam: Auf dem Potsdamer Arbeitsmarkt sei derzeit eine Umkehr der Situation der 1990er-Jahre zu beobachten, sagt Ramona Schröder, Chefin der Potsdamer Arbeitsagentur. Denn zunehmend müssten nicht mehr die Arbeitslosen um die Firmen werben, sondern umgekehrt. „Der Fachkräftemangel ist längst kein abstraktes Phantom mehr, er ist ganz reell und mit teilweise schmerzhaften Nebenwirkungen in unserer Region angekommen“, erklärte Schröder am gestrigen Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

Für die Arbeitsagentur heißt das auch, dass immer mehr die Frage in den Mittelpunkt rückt, wie sich Unternehmen gut und effizient präsentieren können. Speeddating ist eine mögliche Plattform – fünf oder sechs Arbeitgeber treffen dort auf zehn bis zwölf Arbeitssuchende und lernen sie in kurzen Gesprächen kennen. „Manche Arbeitgeber scheuen sich noch ein wenig, aber die Teilnehmer machen meist gute Erfahrungen mit dieser Methode“, so Schröder.

Auch beim Lehrstellenmobil könnte der Fokus in Zukunft auf das Profil der Arbeitgeber gelegt werden statt auf die Ausbildungsstelle. „Wir machen den Ausbildungsbetrieben immer stärker klar: Entscheiden Sie sich für diesen Jugendlichen, sonst bekommen sie vielleicht gar keinen Azubi“, erklärte Agenturchefin Schröder. Außerdem könne man den Engpässen mit gezielter beruflicher Qualifizierung in den Berufen begegnen.

Auch eine Frage der Löhne: Besondere Knappheit an Fachkräften in Pflege, Kinderbetreuung, Lager und Logistik

Welche Branchen vom Mangel besonders stark betroffen sind, ist nicht überraschend: Pflege, Kinderbetreuung, Lager und Logistik. Gerade bei Pflegern oder Erziehern, die in Potsdam händeringend gesucht werden, sei das aber auch eine Frage der Tarife, so Schröder – in Anspielung auf den großen Nachbarn Berlin, wo Pflegeberufe deutlich besser entlohnt werden als in Potsdam.

Der Fachkräftemangel ist die andere Seite einer Medaille, die in den letzten Monaten stets hell und heller glänzte: Dem Arbeitsmarkt in der Landeshauptstadt geht es prächtig. Wer die monatlichen Zahlen Revue passieren lässt, findet eine Liste von Erfolgsmeldungen. So geht auch das Jahr 2017 mit einem Rekordtiefstwert der Arbeitslosenzahl einher: Erstmals seit 1991 waren brandenburgweit weniger als 100 000 Menschen arbeitslos, im Bezirk der Arbeitsagentur Potsdam waren es zum ersten Mal im Jahresschnitt weniger als 20 000 - im Stadtgebiet waren im Dezember 5138 Menschen arbeitslos gemeldet. Die Arbeitslosenquote lag im Bezirk damit bei lediglich 5,8 Prozent. Damit steht die Stadt noch etwas besser da als das Land, wo die Zahlen sich aber ähnlich gut entwickeln. Ganze 13 Prozent weniger Arbeitslose als im Vorjahr gab es 2017 in der Landeshauptstadt. Die positive Entwicklung betreffe fast alle Personengruppen, darunter Jüngere, Ältere und Schwerbehinderte, so Schröder. Die einzige Gruppe, deren Anteil an den Arbeitslosen gestiegen ist, waren die Ausländer. Das liegt vor allem an den Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr auf den Arbeitsmarkt kamen.

Im Dezember ist die Zahl der Arbeitslosen zwar im Vergleich zu November leicht auf fünfeinhalb Prozent gestiegen, das ist aber saisonbedingt üblich. Im Vergleich zum Vorjahr ist sie aber deutlich gesunken.

Trotz Boom: Nicht jeder Job reicht in Potsdam zum Leben

Schröder geht davon aus, dass sich die Entwicklung auch 2018 so fortsetzen wird. „Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht überraschend und grundlegend ändern, wird die Arbeitslosigkeit auch weiter sinken“, sagt die Agenturleiterin voraus. „Mich würde es nicht wundern, wenn wir heute in einem Jahr an der Fünf-Prozent-Marke kratzen.“

Die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist gestiegen. Rund 84 250 solcher Stellen gab es in der Stadt im Juni, das ist die aktuellste Zahl. Das waren fast 2700 Stellen mehr als im Vorjahr, ein Anstieg um 3,3 Prozent. In dem steigenden Bedarf sieht Schröder auch Chancen. Zum einen für Geflüchtete: „Gerade in Lager, Logistik, Reinigung und Pflege ist die Nachfrage da“, betonte sie, dort könnten Arbeitsverhältnisse vermittelt werden.

Zum anderen für Langzeitarbeitslose – ein Hauptfokus auch in diesem Jahr. Ihr Anteil ist 2017 bereits um ein Fünftel gesunken, auf 31,1 Prozent aller Arbeitslosen. „Dieses Potenzial ist da und steht Arbeitgebern zur Verfügung – das wollen wir ausschöpfen“, sagte die Chefin der Arbeitsagentur. Auch Thomas Brincker, Chef des Potsdamer Jobcenters, verwies auf die Möglichkeiten, im anhaltenden Job-Boom Langzeitarbeitslose zu vermitteln. „Gerade Ältere haben ja Arbeitserfahrung, die Langzeitarbeitslosen haben Fähigkeiten. Wir werben dafür, dass Arbeitgeber dieses Know-how erkennen“, so Brincker.

Nicht bei allen, die einen Job gefunden haben, reicht dieser allerdings zum Leben: Noch immer gibt es in Potsdam etwa 400 Menschen, die Vollzeit arbeiten, zudem aber noch Sozialleistungen beziehen, weil das Geld sonst nicht reicht. Die Zahl der sogenannten Aufstocker ist zwar gesunken, um fast 100 seit dem Vorjahr. Aber ihre Existenz wirft für Brincker durchaus die Frage auf: „Reicht der Mindestlohn, um die hohen Potsdamer Mieten zu bezahlen?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false