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Vermittler zwischen Generationen. Juliane und Johannes Dietrich bringen für ihr Projekt Menschen verschiedener Generationen aus Ost und West zusammen. Auch Joachim Gauck wurde darauf aufmerksam.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Stimme der dritten Generation

Juliane und Johannes Dietrich wollen Menschen eine Plattform bieten, die zwischen 1975 und 1985 in der DDR geboren sind

Von Sarah Kugler

Sich über Erfahrungen austauschen, das Selbstbewusstsein stärken und neue Blickwinkel bekommen. Das sind die Ziele der „Biografiearbeit Dritte Generation Ostdeutschland“ – ein Projekt, dem sich Juliane und Johannes Dietrich angenommen haben. Sie wollen Menschen, die zwischen 1975 und 1985 in Ostdeutschland geboren sind, eine Stimme geben. Am kommenden Dienstag bieten sie dazu einen Workshop in der Villa Schöningen unter dem Thema „Mauerfälle – Biografischer Austausch zwischen Ostdeutschen der Ersten, Zweiten und Dritten Generation zur Wendezeit”.

Das Bedürfnis nach Austausch ist aus der persönlichen Erfahrung gewachsen, wie Juliane Dietrich erzählt. 1982 in einem kleinen Ort in der Oberlausitz geboren, hat sie den Umbruch der Wende hautnah mitbekommen. „Natürlich hat sich damals auch viel zum Positiven geändert, aber für mich sind auch einfach viele Strukturen weggebrochen“, sagt sie. „Viele Eltern von Freunden wurden arbeitslos, das Kino bei uns wurde geschlossen und viele Leute sind weggezogen.“ Für sie sei eine Art Loch entstanden, das lange Zeit zu Unsicherheiten geführt hat. „Nach der Schule bin ich viel gereist und bin dabei oft auf Situationen der Diskriminierung gestoßen“, so die Potsdamerin. „Auch in der Uni haben selbst Professoren sich merkwürdig verhalten.“ Für sie habe dann eine innere Suche nach der Heimat begonnen. Auch die Frage, ob es so etwas wie Heimat überhaupt gibt, habe sie stark beschäftigt. Im Jahr 2011 ist sie schließlich auf das 2010 gegründete Netzwerk „Dritte Generation Ost“ gestoßen und nahm an einem der Workshops teil. „Das war für mich ein Aha-Erlebnis“, sagt die diplomierte Sozialpädagogin. „Ich habe mich dort das erste Mal verstanden gefühlt und hatte das Gefühl, meinen Gegenüber interessiert das, was ich zu erzählen habe.“ Seitdem leitet sie selbst Workshops, am Anfang noch mit Paula Hannaske, eine der Autoren des Buches „Dritte Generation Ost: Wer wir sind, was wir wollen“, später mit ihrem Mann Johannes. Das Interesse an den Workshops war von Anfang an sehr groß. Inzwischen gab es unter anderem Veranstaltungen in Berlin, Potsdam, Rostock, Leipzig und Schwerin. Sogar Bundespräsident Joachim Gauck wurde Ende 2013 auf „Dritte Generation Ost“ aufmerksam und lud zum Gespräch ein. „Das hat uns schon gezeigt, dass wir tatsächlich eine Stimme sind beziehungsweise eine Stimme geben“, sagt Dietrich. „Und das ist es ja, was wir wollen.“

In kleinen Gruppen von fünf bis 15 Personen können sich Menschen in den Workshops zu einem bestimmten Thema austauschen. Dabei werden oft noch mal kleinere Gruppen gebildet, die erst mal untereinander das Gespräch suchen. Jeder bekommt die gleiche Gesprächszeit, wobei es vor allem darum geht, den Gegenüber nicht zu unterbrechen und auch nicht zu bewerten. „Dabei kommen natürlich ganz unterschiedliche Geschichten von der Familie, aus der Schule und ähnlichem zutage“, erzählt Dietrich. „Oft kommt es zu Gefühlsäußerungen, was natürlich auch gewünscht ist.“ Nicht immer läuft das konfliktfrei ab, wie sie sagt, da in den Workshops Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen. „Doch letztendlich verbindet die meisten dann doch die Frage nach der eigenen Herkunft und die Suche nach der Identität“, fügt sie hinzu. Auch einen Workshop mit ehemaligen Ost- und Westdeutschen gab es schon, was sehr spannend war, wie Dietrich erzählt. „Das war für beide Seiten eine Bereicherung“, sagt sie. „Weil einfach andere Perspektiven besprochen werden konnten. Das wollen wir auf jeden Fall noch mal machen.“ Auch am kommenden Dienstag in der Villa Schöningen geht es darum, unterschiedliche Wahrnehmungen und Erlebnisse auszutauschen. Dabei soll unter anderem darüber diskutiert werden, wie der Mauerfall erlebt wurde, wie sich das Leben seit der Wende verändert hat und welche Hoffnungen es damals gab beziehungsweise welche es heute gibt.

Neben den Workshops, die auch schon über Videokonferenzen für Ostdeutsche in der ganzen Welt abgehalten wurden, gibt es im November auch eine erste Lesung des Biografieteams. Eine weitere Idee ist ein konkreter Biografieworkshop, in dem Menschen persönlich bei der Spurensuche nach Verwandten oder bei Gesprächen mit der Familie unterstützt werden sollen. „Wir wollen den Leuten einfach das Gefühl geben, sich nicht verstecken zu müssen“, so Dietrich. „Das Selbstbewusstsein soll sich verändern, so wie sich unseres schon geändert hat.“

Der Workshop „Mauerfälle – Biografischer Austausch zwischen Ostdeutschen der Ersten, Zweiten und Dritten Generation zur Wendezeit“ findet am Dienstag, von 15.30 bis 18 Uhr statt. Der Kostenbeitrag beträgt 10 bis 20 Euro. Gesucht werden vor allem noch Teilnehmer der ersten Generation-Ost. Anmeldung per Mail an hallo@mein-leben-entdecken.de. Weitere Informationen zum Projekt unter www.mein-leben-entdecken.de

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