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Maroder Charme. Seit rund 15 Jahren wird die ehemalige Limonadenfabrik in der Geschwister-Scholl-Straße 77 von Kreativen der Künstler- und Musikszene genutzt. Der neue Eigentümer des Gebäudes will auf dem Grundstück zwar Wohnungen bauen, die meisten Mieter sollen aber bleiben können.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Rettung für das Brausehaus

Auf dem Gelände der alten Limonadenfabrik in Potsdam-West sollen Wohnungen entstehen – die Künstler dürfen aber in ihren Ateliers und Proberäumen bleiben

Potsdam-West - Sie wirkt unscheinbar, duckt sie sich doch weit nach hinten auf einem brach liegenden Gelände, ganz nah an den Bahndamm. Die ehemalige Limonadenfabrik ist ein grauer Block, dessen Charme aus den kleinen Details entsteht, die an die untergegangene DDR erinnern: die großen Vorrichtungen für Neonröhren an der Außenseite des Hauses etwa, oder die geschwungene Sirene am grauen Putz der Fabrik. Limonade wird hier schon lange nicht mehr produziert, die ursprüngliche Funktion hat sich aber noch im Namen erhalten: „Brausehaus“ nennen die Nutzer das Gebäude, das teilweise unter Denkmalschutz steht.

„Ich werde ganz oft gefragt, was dieses Brausehaus eigentlich ist“, sagt Julius Mühlstein, der mit seiner Band Sun im Keller des Hauses probt. Dass es nur ein Haus mit Ateliers und Proberäumen ist, könne er darauf nicht antworten, sagt er. Schließlich sei es doch viel mehr als nur vier Mauern mit einem Dach über dem Kopf: Das Brausehaus ist ein Kollektiv verschiedener Leute, das sich einst in der alten Limonadenfabrik gegründet hat, mittlerweile jedoch viel größer ist als die Summe der Bewohner. Musiker und Bands sind darunter, aber auch Tontechniker, DJs und Veranstalter. Viele Bands proben auch woanders, etwa in der Ahornstraße in Babelsberg, gehören aber dennoch zum Brausehaus-Kollektiv.

Seit über 15 Jahren proben im Brausehaus Bands im Keller, darüber liegen Ateliers. Das Gelände hat eine bewegte Geschichte: Erst war es im Besitz von Treuhand und Gewoba, später übernahm es eine Erbengemeinschaft, eine Autovermietung befand sich dort. Die Garagen stehen jetzt leer und werden abgerissen.

Seit August hat das Areal einen neuen Besitzer: Der Potsdamer Chirurg Georg Schollmeier, dessen Praxis in der Bäckerstraße liegt, hat es gekauft. Die Brache in Potsdam-West ist ein Filetgrundstück, Schollmeier will die Garagen und das Trafohäuschen abreißen, auch einen Teil vom Brausehaus. Die Bands erfuhren im Juli davon in einer knappen E-Mail der Hausverwaltung: Es gebe einen neuen Besitzer, hier sei die Kontonummer, auf die die Miete jetzt überwiesen werden soll. Benito Schöpke, der mit seiner Band Conium im Keller des Hauses probt, erinnert sich noch genau, wie die Panik ausbrach. Ein neuer Besitzer, der das Gelände mit Wohnungen bebauen will? Das ist das Ende der kulturellen Nutzung, waren sich alle sicher. Die Alte Brauerei am Brauhausberg war erst wenige Monate zuvor zugunsten von Wohnungsbau geräumt worden, zweifelsfrei drohe dem Brausehaus jetzt dasselbe Schicksal. Ein Potsdamer Problem, ganz klar.

Allerdings hatte niemand damit gerechnet, dass Investor Schollmeier überhaupt nicht plant, das Gebäude zu räumen: „Wir bauen extra so, dass die bleiben können“, so Schollmeier. „Darauf haben die mein Wort.“ Die Situation in Potsdam sei furchtbar für Kreative, sagt er, und hier gebe es junge Menschen mit Idealen.

Vorn zur Straße hin soll ein neues Wohnhaus entstehen. Schollmeier will etwas Anspruchsvolles bauen, im hinteren Teil baut er ein Gartenhaus. Das Künstlerhaus wird saniert, Brandschutztüren werden eingebaut, eine Fluchttür, außerdem soll Schallschutz installiert werden. Die Elektrik ist völlig veraltet, die Wände feucht, die sollen trockengelegt werden. „Ich werde das mit den Nutzern zusammen gestalten, die haben da schon Ideen“, sagt Schollmeier, der selbst in den 90er-Jahren ein Fotostudio in der Benkertstraße hatte und das Zusammenleben von Kreativen und normalen Mietern kennt. Im Rathaus freut man sich über diese Lösung: „Wir haben ein großes Interesse daran, dass das bestehen bleibt“, sagt Stadtsprecher Jan Brunzlow. „Das Grundstück ist das Eigentum von Herrn Schollmeier und wir werden da keine Nutzung unterbinden.“

Nicht nur Musiker sind in dem Haus, es gibt auch noch eine Bürogemeinschaft: drei Ingenieure, und Tobias Zielisch, der Baumgutachter ist. „Ich bin viel draußen und protokolliere Straßenbäume, ab und zu klettere ich auch noch. Höhenangst darf man da nicht haben.“

In dem großen Büro steht eine Tischtennisplatte, auch eine Zielscheibe zum Bogenschießen – geschossen wird aber gerade nicht, weil der Praktikant seinen Schreibtisch vor der Scheibe aufgebaut hat. Eine Etage darüber hat Frauke Wedler ihr Studio, sie schneidert Maßanfertigungen, seit einem Jahr ist sie hier. Einen Raum weiter hat Jana Schulz ihr Grafik- und Designstudio, seit zehn Jahren arbeitet sie in dem Haus, mehrmals hat sie die Räume gewechselt. Jetzt ist damit Schluss: Spätestens Ende Januar wird der Teil des Gebäudes abgerissen, in dem ihr Studio liegt. Ersatz hat sie noch nicht, sie hofft aber, einen Raum im verbliebenen Teil zu bekommen. Sicher ist das aber noch nicht.

Die Jungs aus dem Keller sprechen unterdessen von einem Sechser im Lotto, sie können immer noch nicht glauben, dass sie bleiben können, nicht mal die Miete will Schollmeier ihnen nach der Sanierung erhöhen. „Wir haben die ganze Zeit gesucht, wo denn der Haken an der Sache ist“, sagt Julius Mühlstein. Gefunden haben sie aber keinen.

Oliver Dietrich

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