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Die Kirche am Fuß des Pfingstberges.

© Ottmar Winter

Restaurierung des Altarraums: Millimeterarbeit in der Pfingstkirche

Die Arbeit der Restauratoren in der Potsdamer Pfingstkirche ist in vollem Gange: Bedeutsame Glasmalereien werden erneuert, Wand-Ornamente freigelegt. Ein Besuch.

Von Carsten Holm

Potsdam - Kathrin Rafoth hält in der evangelischen Pfingstkirche behutsam ein 70 Quadratzentimeter großes Stück des historischen Altarfensters in den Händen. Leise, fast ehrfürchtig erzählt sie von der Geschichte des 126 Jahre alten, bemalten Glasteils, als könne lautes Sprechen dem Kunstwerk Schaden zufügen. „Jesus als Kinderfreund“ lautet der Titel der knapp vier Meter hohen und 2,50 Meter breiten Glasmalerei, zu der das bunte Stück gehört. Es wiegt insgesamt 120 Kilogramm, und Rafoth hat es Anfang dieser Woche mit ihrem Ehemann, dem Restaurator Michael Görlach, ausgebaut. Dann haben sie das Werk in seine 21 Einzelteile zerlegt und für den Transport in ihre Erfurter Werkstatt vorbereitet.

Rafoth gerät ins Schwärmen: „Es ist ein Kleinod an Kunst. Das Glas stammt aus der Mayer’schen Hofkunstanstalt in München, eine der renommiertesten Werkstätten, die es Ende des 19. Jahrhunderts gab, und es gibt sie noch heute.“ Restauratoren hätten nicht allzu oft mit Mayer’schen Werken zu tun, deswegen sei der Auftrag in Potsdam für sie und ihren Mann „etwas ganz Besonderes“ – auch, weil in der 1894 von Kaiserin Auguste Victoria eingeweihten Kirche, die im Stil der märkischen Backsteingotik erbaut wurde, sogar noch weitere der führenden Häuser jener Zeit vertreten seien: die Königliche Glasmalereianstalt München etwa und der Freiburger Glas- und Monumentalmaler Fritz Geiges. „Man hat damals hier am Fuße des Pfingstbergs wirklich die Crème de la Crème eingebaut“, sagt sie wie beseelt von ihrem Beruf.

Kathrin Rafoth und ihr Ehemann Michael Görlach.
Kathrin Rafoth und ihr Ehemann Michael Görlach.

© Ottmar Winter

Im Alter von 13 Jahren verliebte sich das Paar

Eine nicht häufig auftretende Konstanz prägt das Leben des Paars. Vor 30 Jahren, gerade 13 Jahre alt, verliebten sie sich ineinander, seit 15 Jahren verhelfen sie jahrhundertealten Glasmalereien, die in Teilen beschädigt oder zerborsten sind, gemeinsam zu neuem Glanz. Der Auftrag der Pfingstkirchengemeinde an der Großen Weinmeisterstraße, die sogenannte Apsis zu restaurieren, das Gewölbe über dem Altarraum, erfüllt die beiden Erfurter.

In der zweiten oder dritten Novemberwoche, rechtzeitig zum Beginn des neuen Kirchenjahres am ersten Advent, wollen sie das Fenster wieder einbauen. Sie müssen dutzende im Laufe der Jahrzehnte beschädigte Glasteile austauschen, müssen Teile, die zu sehr durchgefärbt sind, durch neues Glas ersetzen – und sich schon mal auf den Weg nach Bayern ins oberpfälzische Waldsassen machen. 

Dort residiert die Glashütte Lambertz, in Deutschland der einzige und weltweit einer von drei Herstellern von mundgeblasenem Flachglas. Bald werden sie unter 4000 verschiedenen Glasfarben die für das Altarfenster der Pfingstkirche passende aussuchen, sie in Erfurt bemalen und in Potsdam einsetzen. „Das Spannende und Schöne ist“, sagt Rafoth, „dass man das Ganze Stück für Stück neu wachsen sieht.“

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Restaurierung wurde nach und nach in Angriff genommen

Zum Beginn des vorerst letzten Bauabschnitts der Restaurierungsarbeiten sind Michael Lunberg, Oberkonsistorialrat der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Gemeindepfarrer Stephan Krüger zu Besuch gekommen. Nach und nach haben der Kirch- und Orgelbauverein sowie der Bauausschuss der Gemeinde die Restaurierung seit 2009 in Angriff genommen: Orgelempore, neue Orgel, Freilegung von Ornamenten unter der weißen Farbe, wofür auch damals schon die Babelsberger Diplom-Restauratorin Anne Charlotte Schlüter gewonnen wurde. Lunberg, der nach der Hochzeit den Namen seiner Frau angenommen hat, ist ein Sohn des früheren Gemeindepastors Günter Schalinski. Der war von 1976 bis 2003 Seelsorger der Pfingstgemeinde, heute lebt er in einem Potsdamer Seniorenheim. Lunbergs Bruder Stefan Schalinski, mit dem er auf dem großzügigen Areal der Kirche aufgewachsen ist, trieb als Vorsitzender des Bauausschusses die Restaurierung voran.

Die Finanzierung der Kosten von rund 155 000 Euro ist so gut wie gesichert: 45 000 Euro kommen vom Kirchenkreis Potsdam, 30 000 Euro von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, 30 000 Euro wurden aus der Stadtkasse beantragt. 45 000 Euro müssen die 2100 Mitglieder der Kirchengemeinde aufbringen. Gern erzählt Lunberg die Geschichte eines wohlhabenden Mannes aus der Gemeinde, der eines Tages in die Kirche kam und sah, dass ein übermaltes Wandstück, hinter dem sich eine Pfingsttaube verbirgt, wegen der Kosten noch nicht für die Restaurierung vorgesehen war: „Er sagte, er wolle, dass auch dieses Stück fertig wird und fragte nach dem Fehlbetrag. Das waren 10 000 Euro, und die hat er uns dann überwiesen.“

Michael Görlach bei der Arbeit. Das Altarfenster wurde in 21 Einzelteile zerlegt.
Michael Görlach bei der Arbeit. Das Altarfenster wurde in 21 Einzelteile zerlegt.

© Ottmar Winter

Kirche hat Überraschungen zu bieten

Jetzt beginnt die Arbeit der Diplom-Restauratorin Anne Charlotte Schlüter. Die 34-Jährige hat dieses Jahr schon vier Monate Lehmdecken aus dem 16. Jahrhundert am alten Rathaus im niedersächsischen Goslar hinterfüllt und gesichert, hat zuvor unter anderem Ölmalereien im Renaissanceschloss von Altdöbern in der Niederlausitz konserviert und retuschiert, nun wird sie in der Pfingstkirche die Leimfarbe im Altarraum so gut es geht abwaschen, um der verborgenen figürlichen Malerei zu neuem Leben zu verhelfen. Sie kennt ein Schwarz-Weiß-Foto aus dem Jahr 1900 und weiß schon jetzt, dass sie einen gemalten Vorhang mit Faltenwurf und Engelsdarstellungen freilegen wird. „Und doch bin ich oft überrascht, was zum Vorschein kommt“, sagt die Babelsbergerin.

Es ist Millimeterarbeit, die Anne Charlotte Schlüter in der Pfingstkirche einmal mehr bevorsteht. In den 1950er-Jahren wurden die Wände der Kirche wie vielerorts geweißt, „gemäß der lutherischen Überzeugung, dass nichts vom Wort von der Kanzel ablenken sollte“, mutmaßt Oberkonsistorialrat Lunberg. Schlüter hält es auch für möglich, „dass hohe Kosten für die Restaurierung der Ornamente gespart werden sollten“. Leimfarbe ist wasserlöslich, aber es dauert stets einige Stunden, bis Ornamente freigelegt sind. Im unteren Bereich des Altarraums aber wurde einst mit schwer löslicher Farbe gearbeitet, dort muss Schlüter chemische Lösungspaste auf- und vorsichtig wieder abgetragen. Als nächsten Schritt prüft die Restauratorin, ob der Putz tragfähig ist oder ob er „Hohlstellen hat oder klappert“. Dann füllt sie die Lücken mit flüssigem Kalkmörtel auf, „mit einer Spritze, minimalinvasiv wie im Krankenhaus“.

Auch Anne Charlotte Schlüter lebt mit Begeisterung für ihren Beruf, der zwischen Handwerk und Kunst zu verorten ist. Sie nähert sich dem Alten, ob in Rathäusern oder Kirchen, mit großem Respekt: „Die Objekte, an denen ich arbeite, sind doch alle einmalig. Die Ehrfurcht vor ihnen muss man behalten, sonst wären es, was ich mache, ja nur Sanierungen.“

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