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Der Bergsteiger Reinhold Messner kommt zu einem Vortrag nach Potsdam. 

© Niranjan Shrestha/AP/dpa

Reinhold Messner kommt nach Potsdam: „Nicht mit Maschinen im Berg rumsausen“

Der Bergsteiger Reinhold Messner kommt nach Potsdam. Er spricht im PNN-Interview über die Dekadenz-Erscheinung des Bergsteigens, Kinder in Kletterhallen und Wölfe in Sanssouci.

Herr Messner, Sie sind am 19. November im Potsdamer Nikolaisaal zu Gast. Wie geht es Ihnen, wenn Sie aus Ihrer Heimat Tirol zu uns ins Flachland kommen?
 

Es geht, aber ich komme ja immer nur für kurze Zeit. Ich halte nicht mehr so viele Vorträge wie früher. Spätestens nach einer Woche muss ich wieder für eine Weile zurück in die Berge. Ich brauche eine Umwelt mit Bergen zum Maßnehmen.

Was meinen Sie damit?

Wenn ich einen Berg sehe, kann ich abschätzen, wie hoch oder wie steil und schwierig er ist. Nachdem ich ihn erstiegen habe, messe ich anders, nicht in Metern oder Zeit. Dann habe ich ihn mit Muskeln ausgemessen und er ist Teil von mir geworden, durch meine Erfahrung, durch das, was mit mir passiert ist.

Ist das die vierte Dimension, die Sie in Ihren Vorträgen ansprechen?

Die vierte Dimension ist das, was ich in den Berg hineinlege. Meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Schwierigkeitsgrad, der Höhe, der Struktur. Meine Begeisterung! Das ist die vierte Dimension, die kann ich mitnehmen und weitergeben – der Berg selbst gehört dir nie. Auch wenn manche glauben, dass sie vom Berg ein Stückchen mitnehmen können. Das ist ein großes Missverständnis.

Wir haben hier von Bergen ja eher wenig Ahnung. Warum sind Sie mit Ihren Vorträgen hier im Flachland dennoch so erfolgreich? Hören die Menschen gerne gefährliche Geschichten?

Ich erzähle ja gar nicht so viel Gefährliches und nicht nur für Bergsteiger und Kletterer, im Saal sitzen ja auch Menschen, die noch nie was Höheres als einen Barhocker bestiegen haben. Denen erzähle ich dieses Mal von 13 Weltbergen. 13 Mal die vierte Dimension. Dabei geht es auch um die Geschichte des Bergsteigens, die ich durchaus hinterfrage. Es ist ja eine Dekadenz-Erscheinung der Welt, die vor 250 Jahren begann.

Mit Ihren Vorträgen, die in Potsdam übrigens immer ausverkauft sind, säen Sie aber Begeisterung fürs Bergsteigen und dann wollen noch mehr Menschen in die Berge.

Das ist in Ordnung. Aber dort, wo die Wege aufhören, sollten wir nicht mit allen möglichen Maschinen rumsausen. Wenn es am Berg eine volle Infrastruktur gibt, wenn wir die Berge präparieren, dann kommen da natürlich viele hoch. Was denen allerdings fehlt, ist die Erfahrung von Einsamkeit und Stille. Aber wenn alles bis ins Kleinste organisiert wird, wenn ich im Reisebüro einen Mount Everest Aufstieg für 50 000 Euro kaufen kann, dann bin ich nur noch Konsument.

Sie bringen jetzt neue Bilder mit - was machen Sie, damit wir Zuhörer nicht einfach nur konsumieren?

Es gibt neue Bilder, Satellitenaufnahmen, die sich bewegen und den Berg dreidimensional erfahrbar machen. Das ist mit normalen Fotos nicht zu vergleichen. Ich als Erzähler bin dann eigentlich nicht mehr auf der Bühne, sondern im Geiste dort bei den Bergen. Das spüren die Zuhörer und das macht alles besonders erfahrbar.

Sie haben als Fünfjähriger angefangen zu klettern. Heute können manche Kinder nicht mal mehr auf einer Bordsteinkante balancieren. Was ist da los?

Ach, heute gehen die Kinder mit ihren Eltern in Kletterhallen, das ist ideal.

Warum nicht einfach mal in den Wald gehen?

Da sind doch die Wölfe!

Sie scherzen.

Nein, hier in Tirol haben wir große Probleme mit den Wölfen, die reißen die Schafe und die Schafe fehlen, um die Landschaft zu pflegen. Da wächst alles zu. Aber das wäre ein eigener Vortrag. Jedenfalls schickt man hier keinen Fünfjährigen mehr alleine in Wald. Ich bin als Dreijähriger noch Feuerholz holen gegangen. Die Welt hat sich eben verändert.

Jetzt sind Sie 74 Jahre alt. Klettern Sie noch selber? Oder werden Sie zum Wanderer?

Ich gehe noch klettern, in drei Wochen will ich in Nepal bis auf 6000 Meter hoch. Aber ich gehe auch gerne mal spazieren.

Könnten Sie einem Spaziergang durch den Park Sanssouci etwas abgewinnen?

Unter Umständen. Mal schauen, ob da schon Wölfe sind.

Reinhold Messner, 74, ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Bergsteiger, zunächst im alpinen Raum, später weltweit, vor allem im Himalaja. Gemeinsam mit Peter Habeler erreichte Reinhold Messner 1978 als Erster den Gipfel des Mount Everest ohne Flaschensauerstoff und bestieg als erster Mensch die Gipfel aller vierzehn Achttausender ohne Flaschensauerstoff. Er durchquerte die Antarktis, Grönland und die Wüste Gobi. 1970 verlor er seinen Bruder Günther bei einer gemeinsamen Nanga-Parbat-Südwand-Expedition. Messner ist erfolgreicher Buchautor und begründete sechs private Museen. Fünf Jahre lang war Messner für die Grünen Südtirols Mitglied des Europäischen Parlaments.

„Weltberge – die 4. Dimension“ über 13 ausgewählte Weltberge ist Reinhold Messners neuester Vortrag. Der Bergsteiger präsentiert digitale Bilder, die auf Basis von Satellitenaufnahmen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt entstanden sind: dreidimensionale, fotorealistische Abbilder, virtuelle Darstellungen aus zuvor unbekannten Perspektiven und in hoher Genauigkeit. Der Zuschauer soll zum Teilnehmer historischer Expeditionen und zugleich Zeuge neuer, kommender alpinistischer Herausforderungen werden. Vortrag am Montag, dem 19. November, im Nikolaisaal, Wilhelm-Staab-Straße 11/12, Karten kosten 30,90 bis 48,90 Euro Reservierung unter Tel.: (0331) 288 88 28 oder online.  

Steffi Pyanoe

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